Jetzt werden keine Reden mehr geschwungen, jetzt wird wieder getuschelt bei den Stoibers: hier im Wirtshaus »Grüner Baum« in Wolfratshausen.
SZ-Magazin: Herr Stoiber, dürfen wir Sie als Rentner bezeichnen?
Edmund Stoiber: Als Staatsangestellter geht man in Pension.
Einverstanden, Pension. Was war denn Ihr schönstes Erlebnis, seitdem Sie in Pension sind?
Dass ich über Weihnachten in den Skiurlaub fahren konnte, ohne mich nach der Klausurtagung in Kreuth richten zu müssen.
Und das unangenehmste?
Sie meinen: im Zusammenhang mit meinem Rücktritt als Ministerpräsident? Glauben Sie mir: Ich sitze nicht zu Hause und sage mir, Menschenskind, das ist aber jetzt unangenehm, dass ich nicht mehr Ministerpräsident bin.
Das glauben wir Ihnen nicht.
Lassen Sie es mich kurz erklären: In den Ämtern, in denen ich war, kann man weder Erfolgen noch Niederlagen lang hinterherhängen. Man muss die Disziplin aufbringen, strikt nach vorne zu schauen. Bei der Niederlage gegen Gerhard Schröder 2002 war es genauso, da ging es um 6000 Stimmen, von rund 50 Millionen Wahlberechtigten. Entweder man hadert da wochenlang mit sich, oder man geht zur Tagesordnung über. Ich habe immer Letzteres gemacht.
Disziplin ist das eine, die Empfindung das andere.
Ich weiß schon, viele haben mir nicht zugetraut, dass ich loslassen kann, aber ich hatte ja Zeit, mich auf den neuen Lebensabschnitt einzustellen.
Was meinen Sie damit?
Dass ich akzeptiere, dass ich jetzt nicht mehr Agierender bin. Ich interessiere mich natürlich für alles, was die CSU betrifft, bin involviert und fiebere mit, aber nach fast 30 Jahren in den höchsten Ämtern in Bayern genieße ich jetzt auch ein Stück persönlicher Freiheit. Ich habe bis zuletzt gearbeitet, gekämpft, gefightet, diskutiert, aber nach dem Schlusspfiff am 9. Oktober habe ich keine Leere gespürt. Im Gegenteil.
Ihr letztes Interview mit dem SZ-Magazin liegt fast auf den Tag genau zehn Jahre zurück. Damals haben Sie sehr von Ihrem Jugendfreund Bubi geschwärmt...
...den ich jetzt auf jeden Fall wieder öfter treffen möchte, im Frühjahr und Sommer wollen wir zusammen in die Berge, zum Wandern. Früher musste ich extrem präzise planen, um ein- oder zweimal im Jahr zu ihm nach Oberaudorf fahren zu können. Und dann waren die Besuche immer von der Frage beherrscht: Verpasse ich etwas Wichtiges? Habe ich überhaupt die Zeit, ihn zu treffen?
Das hört sich freudlos an.
Vielleicht. Aber wenn man nicht bereit ist, solche Dinge hintenanzustellen, darf man nicht Ministerpräsident werden.
Kann man diese Zeitökonomie, die bei Ihnen wahrscheinlich bis elf Uhr abends reichte...
...länger! Elf Uhr genügt nicht. Ich war immer verfügbar.
Kann man die eigentlich so einfach ablegen?
Die habe ich schon abgelegt. Ganz einfach deshalb, weil ich jetzt nicht mehr nachts um elf oder halb zwölf mit Angela Merkel, Franz Müntefering oder Peter Ramsauer telefonieren muss oder darf, je nachdem...
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Edmund Stoiber über seine Lieblingsfilme und seine Zeit als starker Raucher.
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Sitzen Sie jetzt manchmal einfach so da und lassen den Tag auf sich zukommen?
Das würde ich mir manchmal noch mehr wünschen. Aber auch jetzt noch ist fast jeder Tag in der Woche verplant. Für mein Engagement in Brüssel, für Reden, Veranstaltungen. Sie glauben nicht, wie viele Briefe ich bekomme, von Schulklassen, Verbänden, Mittelständlern, und jeder hat ein Anliegen. Die kann ich doch nicht alle in den Papierkorb schmeißen. Gott sei Dank ist der Terminkalender nicht mehr so eng wie früher. Das genieße ich.
In Ihrem letzten Interview mit dem SZ-Magazin erwähnten Sie auch, dass Sie zuletzt in den Sechzigerjahren im Kino waren. Haben Sie da schon etwas nachgeholt?
Nein, noch nicht so richtig.
Sie haben seitdem keinen Film im Kino gesehen?
Doch, das Wunder von Bern hat mich an meine Jugend erinnert. Oder: Wer früher stirbt, ist länger tot ist eine lustig-ernste Geschichte über vieles, was die bayerische Seele ausmacht. Früher konnte ich mich nie einfach so ins Kino setzen, ich hatte immer meinen Tross dabei. Zuerst haben die im Kino angerufen: »Der Ministerpräsident kommt.« Anschließend wurde ein Vorauskommando losgeschickt, die haben das Kino durchsucht. Und dann erst sind meine Frau und ich gekommen. Ich will die anderen Leute doch nicht stören. Die sitzen möglicherweise im Kino und denken: Mein Gott, der Stoiber, was für ein Wichtigtuer! Aus einem Kinobesuch macht der ein Riesending.
Welcher der aktuellen Filme würde Sie denn interessieren?
Kirschblüten – Hanami mit Elmar Wepper. Und ich mag James-Bond-Filme. Die empfinde ich als entspannend.
Wann haben Sie in den vergangenen Wochen eigentlich zum ersten Mal gedacht: Günther, Erwin, das kann ich besser?
Ich gebe als Ehrenspielführer sicher nicht zu jedem Spielzug einen Kommentar ab. Fragen Sie mich lieber, was meine Nachfolger alles richtig machen. Dann kriegen Sie auch einen Kommentar.
Was haben Erwin Huber und Günther Beckstein bisher gut gemacht?
Sie haben den Stabilitäts- und Erfolgskurs Bayerns fortgeführt. Wir haben sicherlich ein enormes Zeichen gesetzt für Deutschland in Form des ausgeglichenen Haushalts...
...der noch von Ihnen stammt.
Von uns allen. Das ist die Leistung der ganzen CSU. Erwin Huber und Günther Beckstein haben den Weg fortgesetzt. Die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück, und wir rücken den Spitzenreitern, den Baden-Württembergern, immer näher auf den Pelz.
Dafür sieht es so aus, als würden Ihre Nachfolger die CSU in eine schwierige Situation manövrieren.
Alles, was ich in diesem Zusammenhang sagen würde, wird doch instrumentalisiert. Deshalb will ich dazu öffentlich nur so viel sagen: Erwin Huber und Günther Beckstein tragen jetzt die Verantwortung, die sollen das ordentlich machen, und ich wünsche, dass alles gut gelingt.
Hat das Rauchverbot der Partei bei den Kommunalwahlen sehr geschadet?
Der Gesetzentwurf der Regierung Stoiber aus dem letzten Jahr sah ja einige wenige Ausnahmen vor. Ich selber bin heute ein überzeugter Nichtraucher. Aber ich gestehe: Früher habe ich selbst mal geraucht, 60 Zigaretten am Tag, Gauloises und Roth-Händle. Rauchen hatte damals auch was Atmosphärisches, stellen Sie sich mal die alten französischen Filme ohne Zigaretten vor.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Edmund Stoiber über seine Fehler und den CSU-Putsch.
Sie haben vor ein paar Jahren gesagt, die Endlichkeit Ihres Tuns sei Ihnen immer bewusst gewesen: »Du machst schon morgen einen schweren Fehler und musst zurücktreten.« Welchen Fehler haben Sie vor Kreuth 2007 gemacht, als gegen Sie geputscht wurde?
Ich will jetzt nicht über meine Fehler reden. Welcher Mensch macht keine Fehler? Ich war fast ein Vierteljahrhundert im bayerischen Kabinett, ich bin, glaube ich, das am längsten amtierende Mitglied der Staatsregierung – von 1982 bis 2007. Ich blicke dankbar zurück und schaue jetzt nicht: Wo hast du etwas falsch gemacht?
Trotzdem ist es erstaunlich, dass einem Profi wie Ihnen die Kontrolle über die Ereignisse entgleitet. Was ist da vorgefallen?
Mein Ziel war es, einen vernünftigen Generationenwechsel nach der Landtagswahl vorzunehmen. Aber es gab eben bestimmte Parteikollegen, die einen Wechsel schneller wollten. In dieser Situation wollte ich eine lang anhaltende, zehrende Diskussion oder irgendwelche Brüche verhindern. Auch wenn es mir nicht leicht gefallen ist, habe ich deshalb gesagt: Ich trete im September zurück. Genauso wie Strauß wollte auch ich die CSU immer stark halten. Und ich bin zufrieden, nicht nur weil wir bei der letzten Wahl 60 Prozent erreichen konnten. Sondern vor allem deshalb, weil die CSU bei 58 Prozent lag, als ich im letzten Herbst abgetreten bin.
Und Sie sind sich ganz sicher, dass die CSU im September wieder weit mehr als die absolute Mehrheit bekommt?
Ich unterstreiche, was die jetzige Führung sagt, 50 plus x. Das ist ein Markenzeichen, das Franz Josef Strauß gesetzt hat. Dafür müssen jetzt alle zusammenstehen und kämpfen.
Aber eine merkwürdige Partei ist die CSU doch schon: Erst wollen sie Sie so schnell wie möglich loswerden. Jetzt wünschen sich viele CSUler ihren Edmund wieder zurück.
Wenn der Ehrenvorsitzende neben dem Vorsitzenden eine gebührende Akzeptanz hat – das ist doch gut für die Partei.
Täuscht der Eindruck, dass die CSU eine ziemlich schwer zu führende Partei ist?
Weil die Bandbreite der Parteimitglieder so ungeheuer groß ist: Bauern, Studenten, Metzger, Hausfrauen...
Sie haben die ja ganz gut zusammengehalten.
Auch das ist das Erbe von Franz Josef Strauß. Er hat immer betont, unsere Heimat ist die Leberkäs-Etage. Aber er sagte auch, wir müssten uns um die anderen sozialen Gruppen kümmern: Hochschullehrer, Schauspieler. Einmal hat er mich gefragt, ob ich mit ihm auf den Filmball komme. Darauf ich: Was soll ich denn da? Da hat er geantwortet: Edmund, da musst du lernen, dich auch in der Kaviar-Etage zu bewegen.
Gibt es nach 30 Jahren in der Öffentlichkeit eigentlich eine Seite von Edmund Stoiber, die man nicht kennt?
Natürlich muss man auch mit Klischees leben. Auch wenn das Klischee selber von der Übertreibung lebt. Da war bei mir alles dabei, vom blonden Fallbeil bis zum Aktenfresser, der nichts anderes hat in seinem Leben als nur die Akten. Das führte dann zu dem Bonmot: Der Stoiber mag lieber eine dicke Akte als eine schöne Nackte.
Gibt es denn Klischees, bei denen Sie den Menschen am liebsten entgegenschleudern würden: So bin ich nicht?
Schon. Humorlos, akten- und machtversessen. Das ist mir immer wieder unterstellt worden, trifft aber nicht zu.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Edmund Stoiber über seinen Charme und seine Wut auf Gerhard Schröder.
Vor allem wurde Ihnen doch immer wieder vorgeworfen, dass Ihnen im Unterschied zu Strauß das Gemütshafte abgehe.
Strauß war in seiner ganzen Lebensweise ein sehr barocker Mensch. Auf der anderen Seite auch ein sehr disziplinierter: Wenn es am Abend zuvor länger geworden ist, stand er um vier Uhr morgens auf und arbeitete sich durch die Akten.
Das Barocke, das Leichte, auch das Charmante – hat es Ihnen daran immer gefehlt?
Das glaube ich nicht. Ich lebe gern und bin auch gern charmant. Früher, als ganz junger Generalsekretär, hat Strauß mal gesagt: »Stoiber, du bist ein bayerischer Preuße. Du setzt immer alles gleich um.« Da muss ich heute schmunzeln. Ich hab wirklich manches sofort umgesetzt, was Strauß gar nicht so ernst gemeint hat. Ich war immer ein sehr pflichtbewusster Mensch, und ich setze auf die Macht der Argumente und ihre Überzeugungskraft. Vielleicht habe ich nicht so oft ein Glas Wein oder ein Glas Bier mit den Parteifreunden getrunken. Aber ich wollte neben der Politik auch Zeit mit meiner Familie verbringen.
Sie sprechen oft von Pflichtbewusstsein und der Partei. Sind Sie weniger narzisstisch als andere Politiker?
Keine Ahnung, aber was ich mir nicht vorwerfen kann, ist, dass ich meine Interessen über die der Partei gestellt habe. Ich hätte doch nur das Angebot annehmen müssen, Bundespräsident oder Chef der Europäischen Kommission zu werden. Habe ich aber nicht, weil es damals schlecht für die Partei gewesen wäre. Die brauchte mich an anderer Stelle.
Eine Situation, die haften geblieben ist, war das Fernsehduell mit Gerhard Schröder 2002, als er Sie unterbrach und sagte: »Wir wollen hier doch nicht über Freising reden.« Da hat er Sie an Ihrem schwachen Punkt erwischt – waren Sie sauer auf ihn?
Natürlich war ich da sauer. Ich wollte argumentieren, und Schröder hat die Situation ausgenutzt, um mich als einen Politiker hinzustellen, der sich nur um Freising kümmert, während er die ganze Republik im Auge hat. Da muss man dann eben seine Lehre draus ziehen.
Welche denn?
Dass man erst gar keinen Anlass, keine Angriffsfläche für solche Attacken bietet. Ich war vielleicht ein bisschen zu argumentationsfreudig und hätte noch zwei oder drei Sätze gebraucht, ihn darauf hinzuweisen, wie stark wir in Bayern sind. Und wie es eigentlich in Niedersachsen ausschaut, wo er so lange regiert hat. Da wollte ich hin.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Edmund Stoiber über neue Jobs und über die Frage, ob er ein guter Politiker war.
Sie haben aber auch einmal gesagt, dass Sie mit Gerhard Schröder mehr verbindet als mit vielen anderen Politikern.
Das stimmt auch. Wir kennen uns lange und sind beide Kinder der alten Bundesrepublik. Unser erstes Streitgespräch hatten wir bei der Bundestagswahl 1980. Der Generalsekretär der CSU Edmund Stoiber und der Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder, im Sender Freies Berlin. Da ging es wirklich hart zur Sache, von beiden Seiten. Aber danach haben wir uns noch zusammengesetzt. Übrigens war Schröder ja gar nicht der politische Idealist, der er als Juso-Vorsitzender zu sein schien, er war viel pragmatischer. Trotzdem: Für mich war er damals der Jungsozialist, im wahrsten Sinne des Wortes – Schröder träumte sogar noch von der Verstaatlichung...
...und Sie waren für ihn der typische Kommunistenfresser?
Ja sicher. Jedenfalls kamen wir auf Strauß zu sprechen. Schröder sagte: Ich bin zwar völlig gegen den, aber ich würde ihn gerne mal kennenlernen. Der fand Strauß als Typ spannend. Seitdem hat uns immer gegenseitiger Respekt verbunden, auch als Ministerpräsidenten. Im vergangenen September hat er mich sogar zu Hause in Wolfratshausen besucht. Das ist eigentlich eine ganz lustige Geschichte: Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass der SPD-Ortsverband ganz aus dem Häuschen ist, weil Schröder anlässlich der Hundertjahrfeier vorbeikommen und eine Rede halten würde. Ich habe dann einen Brief verfasst, weil er ohnehin Geburtstag hatte, und mit reingeschrieben: »Lieber Gerhard Schröder, gerade lese ich, dass Sie im Herbst nach Wolfratshausen kommen. Wenn Sie Lust haben, schauen Sie doch bei mir auf eine Brotzeit vorbei.« Hat er dann auch gemacht.
Hat er Ihnen auch erklärt, wie man jetzt richtig Geld verdienen kann?
Nach seinem Besuch standen wir vor unserem Haus, und die Journalisten fragten ihn, was er von meinem Amt als Vorsitzender der High Level Group zum Bürokratieabbau halte. Da warf ich ein: »Null-Euro-Job!«, worauf Schröder meinte: »Sehen Sie, meine Damen und Herren, so etwas kann ich mir nicht leisten!«
Und Sie wollen keine anderen Jobs annehmen?
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich neuerdings im Aufsichtsrat der Nürnberger Versicherungsanstalten. Die haben mich sehr darum gebeten. Ansonsten bin ich sehr zurückhaltend.
Gibt es noch andere Kontakte zu politischen Gegnern wie Gerhard Schröder?
Otto Schily hat mir einen sehr freundlichen Brief geschrieben, Franz Müntefering hat alles Gute gewünscht, und Kurt Beck sagte: »Wir werden Sie vermissen.«
Würden Sie im Rückblick sagen, Sie waren ein guter Politiker?
Oh, das ist schwer. Das müssen andere beurteilen. Aber wenn ich jetzt mal nur Fakten sprechen lasse: 1994 habe ich in schwieriger Zeit die Europawahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen, genauso die Landtagswahlen 1994. Obwohl uns vorher 38 Prozent prognostiziert worden waren...
Herr Stoiber, sagen Sie doch einfach nur »Ja!« − das wäre ein schöner Abschluss des Gesprächs.
Nein, nein. Das müssen Sie schlussfolgern. Als Kommentatoren oder was auch immer. 2002 Bundestagswahl – fast 60 Prozent. 2003: 60 Prozent. Da muss ich ganz ehrlich sagen, offenbar haben die Leute gesagt: Wir haben Vertrauen zu dem. Alles in allem kann er es!
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