Gute Frage, wie Kimchi auf die Wangen kam. Vielleicht begann es ja als kleines Missgeschick, und man hat durch Zufall die hautstraffende Wirkung von eingelegtem, scharfem Kohl entdeckt. Oder jemand wollte eine asiatische Version der im Westen verbreiteten Joghurt-Maske schaffen. Der Trend zu fermentiertem Gemüse in Schönheits- und Kosmetikprodukten wurde jedenfalls unter ungeklärten Umständen vor fünf, sechs Jahren in Südkorea gesetzt: in dem Land, in dessen Küche seit jeher alles Mögliche gegoren wird, in dem so viele Schönheitsoperationen wie sonst nirgends auf der Welt durchgeführt werden, in dem die Kosmetikbranche seit Jahren beachtlich wächst und sogar Schminke hautpflegende Inhaltsstoffe beinhalten muss.
Kimchi ist gesund, fördert die Verdauung, stärkt das Immunsystem, hemmt Entzündungen, das alles weiß man längst – warum also nicht einfach vergorenen Kohl als Cremebestandteil ins Gesicht schmieren, wenn es der Schönheit dient?
Laut einer anderen Erzählung kam ein US-Raumfahrtphysiker vor fünfzig Jahren als Erster auf die Idee, mit fermentierten Pflanzen und Gemüsesorten in Pflegeprodukten zu experimentieren. Jener Physiker soll seine eigenen schweren Verbrennungen nach einem Unfall mit einem Extrakt aus fermentierten Algen behandelt haben, nachdem gängige Mittel versagt hätten. Der Kosmetikhersteller Estée Lauder sagt von sich, er habe vierzig Jahre später die Idee des Physikers aufgegriffen: Die Algen wanderten laut Firmenangaben in die »Crème de la mer«, Kostenpunkt 150 Euro das Döschen mit 30 Millilitern.
In der Küche ist Fermentieren ein altbekanntes Verfahren, um Lebensmittel länger haltbar zu machen: Man gibt eine Starterkultur hinzu, das sind natürliche Mikroorganismen wie Hefe, gute Bakterien oder Schimmelpilze, die aus den Zutaten selbst oder aus der Umgebung stammen. Wichtig ist, saubere Gläser zu verwenden und luftdicht zu verschließen, dann vermehren sich die Starterkulturen, Kohlenhydrate werden zu Milchsäure mit konservierenden Eigenschaften umgewandelt, der pH-Wert sinkt, und es entsteht ein saures Milieu, in dem ungesunde Keime nicht gedeihen können, die das Lebensmittel verderben würden. Am Ende steht ein haltbares und in Textur, Geschmack und Nährwert verändertes Lebensmittel. Der Prozess setzt zusätzliche Antioxidantien, Enzyme und Vitamine frei, die das Essen gesünder machen. Und außerdem verändern vergorene Pflanzen, Früchte oder Kräuter ihre molekulare Struktur so, dass sie besonders gut in die Haut einziehen und ihre straffende Wirkung entfalten, das ist inzwischen nachgewiesen.
Inzwischen wird so ziemlich alles auf die Haut geschmiert, was auf den Tisch kommt
Kosmetikfirmen haben für eine ganze Reihe von Lebensmitteln Verwendung gefunden und fermentieren inzwischen grünen Tee, Reissamen, Preiselbeeren, Chili, Kürbis, Pilze und eben Algen. In »Tundra Chaga Pressed Serum« von Blithe steckt eine Mischung aus Oliven- und Arganöl, das 120 Stunden lang fermentiert worden sein soll. Inzwischen wird so ziemlich alles auf die Haut geschmiert, was auf den Tisch kommt.
Auch in Shampoos steckt Gemüse: Das Ökobrand Hands on Veggies aus der Österreich stellt Haarshampoos aus Chili, Kürbis, Arganöl, Fenchel und Rosmarin, Duschgels aus Artischocke, Avocado und Stiefmütterchenextrakt und Body-Mousse aus Karotte, und Kokosnuss her. Mit angeblich unterschiedlicher Wirkung: Kokosferment etwa soll laut Hersteller besonders gut pflegen, Feuchtigkeit spenden und Konservierungsmittel ersetzen. Chiliferment soll Hautirritationen vorbeugen, die Durchblutung fördern und den Haarwuchs anregen. Kürbisferment wiederum ist reich an Vitamin A, es wirke »weichmachend und entfaltet eine sanfte Peelingwirkung«.
Auch Grünzeug, das gemeinhin als unverwertbar galt, wandert nun in die Kosmetik: Hyaluronsäure etwa ist ein wichtiger Bestandteil des Bindegewebes und wurde für ein Serum lange aus Hahnenkämmen produziert – ehe veganes Hyaluron entdeckt wurde, das sich biotechnisch durch Fermentation aus Pflanzen gewinnen lässt. Verkauft wird es als »Hydro Booster – Intensivkonzentrat bei feuchtigkeitsarmer Haut«.
Natur statt Chemie, so lautet der generelle Trend in der Kosmetik. Hersteller von Cremes und Shampoos verwenden neben fermentiertem Gemüse sogar Gewürze: Kurkuma spielte in den vergangenen fünf Jahren eine große Rolle. Das Gewürz darf in keinem indischen Curry fehlen, es wird auch Gelbwurz genannt und sorgt für die gelbe Farbe im Curry. Leider auch im Gesicht. Bei zu hoher Dosierung bekommt man nach Gesichtsmasken mit Kurkuma die gelbe Farbe oft erst nach eineinhalb Tagen ab. Von weiteren Experimenten mit Kurkuma hat die Kosmetikbranche vorerst abgesehen.