Der Spott ist dick aufgetragen in diesem Artikel über Gesichtscreme aus dem Jahr 1964: »Der Mann des Hauses, der bald wie ein Junge aussehen möchte, muss sich nicht mehr heimlich die faltenverbergende Hautlotion seiner Frau ausleihen. Er wird seine eigene kaufen können – in einer ›männlichen‹ Verpackung.« So schrieb die New York Times vor 60 Jahren über die Ankündigung der Firma »Helene Curtis Industries, Inc.«, eine hautglättende Lotion für Männer einzuführen. Ein Text aus einer Zeit, als Männer ihre Falten mit Stolz trugen, als das Produkt jahrzehntelangen Kettenrauchens und wettergegerbter Kernigkeit.
Aber stimmt diese Analyse vielleicht noch? Möchte ich als »moderner Mann« wie ein Junge aussehen? Das frage ich mich, während ich die »Q10 Anti-Falten Power«-Tagescreme für »die anspruchsvolle Haut« in meine 47-jährige Gesichtspartie sanft kreisend einmassiere. Also? Nein, ich suche nicht den Jungbrunnen, ich hab nur was gegen Vogelspuren im Gesicht: »Krähenfüße« genannte Fältchen in den Augenwinkeln.
Im Sommer sind sie mir das erste Mal aufgefallen – was daran liegen könnte, dass ich endlich zur Lesebrille stehe, die ich brauche, wodurch ich mein näheres Umfeld und mich selbst mal wieder richtig scharf sehe. Zwei Dioptrien ließen keine Zweifel mehr zu: Ich altere (Überraschung!). Die grauen Haare konnte ich noch gelassen akzeptieren, bei den Falten dagegen wackelt mein Beauty-Mantra, das ich in meiner Familie bis dahin gerne verkündet hatte, es lautet: Normale Haut braucht die ganzen Cremes nicht, im Gegenteil, die machen sie nur kaputt, wodurch Rötungen und Reizungen entstehen, die dann wiederum von teuren Produkten behoben werden. Den Beweis sah ich ja täglich im Spiegel: nie eingecremt, trotzdem vergleichsweise jugendliches Aussehen (lag vor allem an mangelndem Bartwuchs).
Jetzt aber, mit Mitte 40: Krähenfüße. »Wo denn?«, fragte meine Frau. »Na, da!«, sagte ich betrübt. »Ach so, sieht man kaum«, fand sie. Finde ich aber schon. Darum wiederholte sich in meinem Leben gerade ein Schreckmoment, den ich so ähnlich schon mit Mitte 30 beim Thema Altersvorsorge hatte und neulich beim Thema Bitcoins – Mist, ich hab’s bisher verpennt und jetzt ist es zu spät. Erst mal die Gedanken ordnen vorm Badezimmerschrank. Ist es wirklich zu spät? Oder kann ich die Gräben in meiner Haut wieder zuschütten, etwa mit dem nur 700 Euro teuren »ultimativen reparierenden Nachtkonzentrat« von Chanel? Lohnt sich das?
»Zu spät ist es natürlich nie, aber je tiefer die Falten sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man sie mit Cremes und Salben noch wegbekommt«, sagt Dr. Stefan Duve aus dem Haut- und Laserzentrum an der Oper in München. »Nur kleine Trockenheitsfalten würden mit einer Creme noch zu korrigieren sein«, daher sei es für die Zukunft dennoch sinnvoll, mit dem Cremen zu beginnen, auch in meinem Alter.
Mama, komm schnell! Papa hat jetzt eine Beauty-Routine!
Tatsächlich gekauft habe ich mir übrigens eine Tagescreme mit Lichtschutzfaktor 30 für 2,99 Euro. Weil sie, ähem, der Testsieger des SZ-Magazins unter zehn Anti-Aging-Cremes aus der Drogerie war. Morgens und abends Gesicht waschen (auch neu) und ein bisschen um die Augen und auf der Stirn verteilen, fertig. »Mama, komm schnell! Papa hat jetzt eine Beauty-Routine!«, rief mein Kind belustigt, als ich damit anfing. Dann betrachtete es mein Gesicht sehr genau, drehte es nach links, rechts, oben, unten – um fachmännisch festzustellen: »Du hast Problemzonen. Zu trockene Haut.«
Kurz ins Geschichtsbuch geschaut: Schon Männer der Antike nutzten feuchtigkeitsspendende Lotionen, auch Jugendlichkeit galt früh als Ideal – bis Kirche und Aufklärung Männer zur Natürlichkeit aufforderten und Kosmetik verpönten. Noch mal ins Jahr 1964, bitte: Sind Falten überhaupt schlimm? Stehen sie Mick Jagger, Morgan Freeman oder Judi Dench nicht sehr gut? Ich bin Team Pamela Anderson – ungeschminkt als Statement gegen Jugendkult, Sexismus und Oberflächlichkeit. Tägliches Eincremen nervt eh.
Aber neuerdings erkenne ich bei mir auch Stirnfalten, Augenringe, Tränensäcke – je mehr Antioxidantien ich auftrage, desto größere Furchen glaube ich zu bemerken. Das ist meine größte Sorge: Irgendwie süchtig danach zu werden, wie Schauspieler, eine verzerrte Selbstwahrnehmung zu bekommen. »Ich brauche Botox«, hab ich schon mal gesagt, als Witz. Noch?
Ich will gar nicht jünger aussehen, nur cooler älter, glaube ich. Ich möchte bitte nur schönere Falten kriegen als Krähenfüße. Zum Beispiel so Liam-Neeson-Stirnfalten, die einen straßenhart und altersweise dreinblicken lassen. Der Schönheitswahn, die Sau, kriegt einen halt doch immer.