Noch immer gilt Fett bei vielen als gefährlicher Stoff und sein Image ist katastrophal. Es klebt die Haare zusammen, bringt die Haut zum Glänzen und wird vom Körper in so genannten Problemzonen gespeichert – alles Dinge, die uns nicht gerade besser aussehen lassen. Fettablagerungen verstopfen die Arterien und führen zu Infarkten, Fett ist der zähe Batzen, der beim Fleischessen zwischen den Zähnen klemmt, Fett ranzt in Friteusen vor sich hin, und, ja: Fett bildet faulige Pfropfen in Abflussrohren, die irgendwann nur noch vom Notdienst entfernt werden können und dann so irrwitzig stinken, dass man denkt, das Waschbecken sei mit dem siebten Kreis der Hölle verbunden.Zugegeben, auch ich habe das Fett, ganz im Sinne der herrschenden Diät-Arithmetik, lange Zeit diskriminiert. Beim Metzger fragte ich nach besonders mageren Stücken und zahlte dafür gern mal etwas mehr. Im Supermarkt zogen mich Aufkleber wie »light« oder »fettfrei« magisch an, auch wenn sie, zum Beispiel auf Chipspackungen, im Grunde zu schön klangen, um wahr zu sein. Und viele Produkte kamen mir überhaupt nur deshalb ins Haus, weil die aufgedruckten Nährwerttabellen besonders niedrige Fettwerte versprachen: Diese Reiswaffel zum Beispiel, die nach staubiger Luft schmeckte, aber nur ein halbes Gramm Fett enthielt. Oder dieser Joghurt mit Fettgehalt von 0,1 Prozent, dessen Verzehr mir eine Vorahnung dessen gab, was Philosophen als »Begegnung mit dem Nichts« bezeichnen. Kurz gesagt: Wie viele Ahnungslose tat ich alles, um das Fett mit mathematischer Präzision aus meinem Leben zu verbannen.Es war dann die Schauspielerin Salma Hayek, eine schöne und lebenslustige Frau, die mich erstmals zum Nachdenken brachte. »Das Hirn besteht aus Fett«, erklärte sie ernsthaft und mit mexikanischer Verve in einem Interview, das ich vor Jahren mit ihr führte. »Der Mensch braucht Fett, um zu denken.« Dann berichtete sie von Freunden in Los Angeles, die mit Low-Fat-Diäten begonnen hatten, und darüber, wie sie glaubhaft versicherte, vor ihren Augen verblödet waren. Außerdem wies sie darauf hin, dass der Besitz eines harten, fettfreien Körpers unweigerlich auch die Seele verhärten lasse. Den wissenschaftlichen Gehalt dieser Thesen konnte ich nie ganz nachprüfen, aber dennoch blieb das nagende Gefühl zurück, dem Fett vielleicht Unrecht zu tun.Was damals noch absurd klang, darf inzwischen als bestätigt gelten, und zwar selbst von Koryphäen wie dem New England Journal of Medicine: Fett kann eigentlich gar nichts dafür. Dies ist der Leitgedanke aller neueren, in Amerika schon massenhaft propagierten Diät-Methoden: Egal ob Atkins-, South-Beach-, Glyx-Diät oder wie sie sonst noch heißen, sie haben einen neuen Schuldigen gefunden: die Kohlenhydrate. Nudeln, Brot, Reis, Kartoffeln, stärkehaltiges Gemüse und Süßigkeiten sind nun das Teufelszeug, das man unbedingt meiden muss – denn Fett kann nur dann gespeichert werden, wenn der Insulinspiegel im Blut eine gewisse Schwelle überschreitet. Wer kaum Kohlenhydrate aufnimmt, der lockt auch nicht das Insulin hervor, der kann ganze Friteusen austrinken und wird doch alles Fett sofort wieder verbrennen – nun ja, im Prinzip wenigstens.Dennoch hat sich nie jemand beim Fett für das erlittene Unrecht entschuldigt, was wir hiermit nachholen möchten. Wenn ich heute kräftig Öl in die Pfanne gieße, denke ich an flüssiges Gold und an Salma Hayek, mit der ich unheimlich schlaue Gespräche führe. Weißbrot dagegen verbinde ich inzwischen mit teigigen Körpern, Kartoffeln mit aufgedunsenen Gesichtern, und Reiswaffeln, die übrigens irrsinnig viele Kohlenhydrate enthalten, mit einer besonders schmerzhaften Form der Folter. Zwei Packungen habe ich behalten, als Mahnmal gewissermaßen, sie zerfallen im Regal langsam zu Staub, während ich sie hin und wieder mit hasserfüllten Blicken betrachte. Denn es ist mit den Nährstoffen wohl genauso wie mit den Menschen auch: Einer muss immer die Arschkarte haben.