Es gab Momente, da hätte man für ein wenig rauchfreie Luft seine Großmutter verkauft – an den Teufel, an Philip Morris, an den Marlboro-Mann oder wer immer sie sonst haben wollte. Warum, schrie die gequälte Seele, müssen die genialsten Bands in den garstigsten, sauerstoffärmsten Kellerlöchern spielen? Warum läuft grundsätzlich dort die beste Tanzmusik, wo der Bass durch die undurchdringlichsten Rauchschwaden dröhnt? Und warum hüllen sich die tollsten Mädchen so oft in die dichtesten Schleier aus verbranntem Tabak? Mit tränenden Augen und röchelndem Atem erkannte man ein Naturgesetz: Wer auszog, um das Abenteuer zu suchen und ein interessanterer Mensch zu werden, musste auch die sieben Höllenkreise des Passivrauchens durchschreiten – anders ging es nicht. Selbst vor der letzten freien Steckdose im Bordbistro hatte die Bahn stets drei graugesichtige Wächter postiert, die pilstrinkend und kettenrauchend ihren grausamen Tribut forderten. Wie sich unschwer erkennen lässt, ist dies ein Text aus der Perspektive eines Nichtrauchers. Andere Perspektiven kommen nicht vor, da fehlt es an Einfühlungsvemögen und wohl auch an Vorstellungskraft. Die neue, immer frischere und rauchfreiere Welt, die jetzt überall beschworen wird, erscheint diesem Nichtraucher jedenfalls als ein Paradies. Irland, Schottland, Italien zum Beispiel: Die haben das Naturgesetz einfach aufgehoben – die Welt ist trotzdem nicht untergegangen. Die genialsten Bands spielen dort jetzt in Kellerlöchern, die so rein sind, dass man tagsüber auch Mikrochips darin produzieren könnte. Wenn die beste Tanzmusik läuft, riecht man nur noch den Schweiß des Ausdruckstänzers, und die tollsten Mädchen erkennt man jetzt so klar, dass man jeder Pore einzeln »Guten Tag« sagen könnte. Irland, Schottland und Italien zählen zu der wachsenden Zahl von Ländern, die das Rauchen in allen öffentlichen Räumen verboten haben – auch in den Kneipen und Clubs. In Deutschland, das sagt nicht nur der Spiegel, aber der vor allem, könnte es auch bald so weit sein. Es gibt da anscheinend eine Gesetzeskeule namens »Arbeitsschutz«, mit der man noch die mächtigste Tabaklobby platt machen kann. Es ist speziell für diesen ewigen Nichtraucher keine Frage, dass ein solcher Schritt politisch sinnvoll wäre. Er hegt keinerlei Zweifel an den neuesten Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation, was Krebs erregenden Feinstaub in Raucherräumen oder Todesraten unter Passivrauchern betrifft, und er würde jederzeit für das Recht eines Menschen eintreten, sich solchen Gefahren nie wieder auszusetzen. Selbst die immer dreister formulierten Anleitungen für Raucher, wie sie angesichts des neuen Zeitgeists möglichst schnell zu Nichtrauchern werden, liest er mit gewissem Vergnügen – etwa auf Netdoktor.de. »Mit Alltagsritualen brechen«, lautet da ein Vorschlag, im Klartext: Wenn Sie in Zukunft auf Sex verzichten, brauchen Sie auch die Zigarette danach nicht mehr. Brillant auch der Tipp: »Vermeiden Sie Langeweile!« Je schöner man sich aber die neue, rauchfreie Zukunft ausmalt, desto mehr verspürt man auch leichtes Gruseln. Was werden das für Typen sein, mit denen man Hardrock in Frischluftkellern hört? Hat nicht der notorische Nichtraucher sich vor allem deshalb in verquarzte Grüfte gestürzt, weil er Menschen wie seinesgleichen dort eben nicht begegnen wollte? Und wo lauert überhaupt noch Entgrenzung und Exzess in den Tiefen der Nacht, wenn nicht Schmutz (Nikotin, Teer, Benzol) und Gefahr (Lungenkrebs) ein wenig mit dabei sind? Auch das Recht auf Zerstörung des eigenen Körpers ist am Ende ein Recht. Viele große Vorbilder des Nichtrauchers, von George Harrison bis Steve McQueen, haben es für sich in Anspruch genommen. So weit würde er natürlich nie gehen. Aber ab und zu in die Höhle des Lasters hinabsteigen, die Nase von der Luft des Todesmuts umwehen lassen und, wenn sie denn dick genug ist, sich eine Scheibe davon abschneiden – das muss schon sein. Die Regel eines neuen, rauchfreien Lebens wird jedenfalls nur erträglich sein, wenn es irgendwo auch die Ausnahmen noch geben darf.