Ü40-Party

Zu den meistdiskutierten soziologischen Beobachtungen der Zeit gehört die endlose Verlängerung der Adoleszenz. »Eigentlich sollten wir erwachsen werden« lautete anfangs der Untertitel einer beliebten Zeitschrift, die sich vorwiegend an Leser zwischen 25 und 30 Jahren wendet, und dieser Satz könnte auch als Leitspruch einer ganzen Generation verstanden werden. In einem Alter, in dem die Menschen vor nicht allzu langer Zeit auf Haus, Familie und lebenslange Anstellung Wert legten, denkt man über ein Zweitstudium oder einen Auslandsaufenthalt nach. Jetzt ist ein neuer Veranstaltungstyp in den Stadtmagazinen und Programmzeitschriften aufgetaucht, der diese Entwicklung besonders anschaulich macht. Denn die ersten Clubs laden mittlerweile zu »Ü40-Partys« ein: ein Format, das die bislang bekannten Veranstaltungen für Über-Dreißigjährige abzulösen beginnt.

Die ersten »Ü30-Partys« wurden, wie sich jeder erinnert, Ende der Neunzigerjahre gefeiert. Die Bezeichnung markierte eine Schwelle: Sie setzte das Alter fest, von dem an die Teilnahme am Nachtleben nichts mehr Selbstverständliches ist, sondern an bestimmte Einschränkungen geknüpft wird. Ab 30, so die Aussage dieser Partys, kommt dem Ausgehen eine neue Bedeutung zu, was sich an dem ungewöhnlich frühen Veranstaltungsbeginn ablesen lässt, an der rückwärtsgewandten Musikauswahl (Funk, Soul, »das Beste aus den Achtzigern«) und den selbstironischen Motti (die erste Münchner Ü30-Party etwa hieß »Älternabend«). Es geht um eine andere Ökonomie der Nacht als bei den Jüngeren: nicht um die restlose Verausgabung mit offenem Ausgang, nicht um die Feier der reinen Gegenwart, sondern um eine streng befristete, nostalgisch gefärbte Unterbrechung der längst in festen Bahnen verlaufenden Existenz.

Die Etablierung der Ü40- und das Abnehmen der Ü30-Partys weist auf eine Verschiebung hin. Kaum ein 34- oder 37-Jähriger in Berlin, Hamburg oder München könnte es heute mit seinem Selbstverständnis in Einklang bringen, einen Clubabend zu besuchen, der das Erinnerungsselige, die Nichtzugehörigkeit zum zeitgenössischen Publikum bereits im Namen führt. Leute in ihren Dreißigern benötigen keine ausdrückliche Adressierung mehr im Nachtleben, keine Einhegung unter ihresgleichen. Sie sind mittlerweile Bestandteil jener namenlosen Masse von Partybesuchern, die in der kommenden Nacht wieder alles erwarten, für die alle Optionen denkbar sind. Die altersbedingte Anrede ist vielmehr um ein Lebensjahrzehnt vorangerückt, hat sich auf Menschen übertragen, die man bislang nur an den Türen der Clubs sah, wenn sie ihre minderjährigen Kinder nach einem Konzert abholen wollten.

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Die »Ü40-Party«: ein Indikator für die Inflation von jugendlichem Bewusstsein. Und vermutlich äußert sich diese Inflation in nächster Zeit auch in weiteren Wortschöpfungen. Wann wird es die erste Liebeskomödie im Fernsehen geben, deren Personal als »Leute um die vierzig« firmiert? Wann wird in Romanen oder Filmen zum ersten Mal von »Fortysomethings« die Rede sein? All diese flapsigen Redewendungen waren vor wenigen Jahren noch für den provisorischen Lebensentwurf der Leute »um die Dreißig« im Umlauf. Doch in der Biografie jener Werbeleute und Journalisten, die diese Ausdrücke Ende der Neunziger für ihrer eigene Altersgruppe erfanden, hat sich in der vergangenen Dekade womöglich nichts Entscheidendes getan. Der Jargon der Vorläufigkeit wird daher für den Anbruch des nächsten Lebensjahrzehnts aufrechterhalten.

Lange war die Vorstellung vom Älterwerden mit der Gewissheit verbunden, dass zwischen den speziellen Adressierungen der Jugend und des Alters (in Gestalt von Studententarifen und Seniorentellern) die lange, drei oder vier Jahrzehnte währende Fläche des reinen Erwachsenenlebens läge, ohne alle Spezialangebote und Sonderermäßigungen. Die Ü40-Party ist ein weiteres Indiz für das fortwährende Schrumpfen dieser Lebensspanne.