In den USA grassiert das Phänomen schon länger, hierzulande erreicht es gerade einen Höhepunkt: eine schwer erklärliche, beinahe schon hysterische Identifikation mit einer romantischen Vampirismus-Idee, die vor allem jüngere Frauen und weibliche Teenager befallen hat. In der Bestsellerliste von Amazon sind aktuell nicht weniger als zwölf der ersten zwanzig Plätze von Büchern besetzt, welche zum Herzschmerz-Blutsauger-Universum der amerikanischen Autorin Stephenie Meyer gehören; die dazugehörige Verfilmung Twilight – Biss zum Morgengrauen führt die Kinocharts an.
Auch die Zeitschrift Bravo, Seismograf jugendlicher Sehnsüchte, steckt in einem Vampirfieber, das auf das ganze Lebensgefühl ihrer Leser übergreift. »Wie viel Vampir steckt in dir?«, fragt der aktuelle Bravo-»Psychotest«. Die Option, »doch lieber ein normaler Mensch zu bleiben«, ist darin nur noch für die ganz Zaghaften vorgesehen.»Was fühlst du bei dem Gedanken an frisches Blut?«, heißt es zum Beispiel in Frage 5, und die mögliche Antwort suggeriert, dass man die pulsierende Lebenskraft dieses neuen Energydrinks durchaus als erregend empfinden kann. Abgestandenes Blut ist ja auch wirklich unzumutbar. Damit hat sich allerdings der Vampirmythos doch sehr weit von seinen osteuropäischen Ursprüngen entfernt. Dort war die Vorstellung des Vampirismus zunächst mit Leichen verbunden, die hartnäckig immer wieder aus dem Grab entflohen. Sie verschreckten die Dorfgemeinschaft durch nächtliche Streifzüge und Überfälle, sie brachten Krankheit und Tod, und also mussten verdächtige Gräber exhumiert werden.
Ein rätselhaft unverwester Körper, weiterwachsende Haare und Fingernägel galten als die Kennzeichen eines Vampirs. Solche Körper dann wurden gepfählt, in besonders hartnäckigen Fällen auch zusätzlich der Kopf abgetrennt und der Mund mit Knoblauch gefüllt. Vom Blutsaugen war damals noch nicht viel die Rede.
Seither hat der Vampir einen weiten Weg zurückgelegt, den Leichengeruch ist er erfolgreich losgeworden. Sein Aufstieg zu Coolness und Sexiness vollzog sich dabei in mehreren Stufen – mit Roman Polanskis Tanz der Vampire in den Sechzigern und mit der Bestsellerautorin Anne Rice in den Achtzigern und Neunzigern. Natürlich reflektierte das alles auch immer den Zeitgeist, von einer Idee sexueller Befreiung bis zum todschicken Flirt mit der Bisexualität, den sich Tom Cruise und Brad Pitt in der Rice-Verfilmung Interview mit einem Vampir erlaubten.
Was natürlich sofort zu der Frage führt, welcher Grundstimmung wir den aktuellen Vampirboom verdanken. Dabei fällt der prüde Charakter der Stephenie-Meyer-Bücher auf: Die Highschool-Prinzessin Bella Swan und ihr Vampirschwarm Edward Cullen sind über mehrere dickleibige Bände hinweg füreinander bestimmt, Sex ist dabei aber tabu. Der Vampirbiss als irreversibler Akt spiegelt und verschärft dabei die doch eher banale Pflicht zur Verteidigung der Jungfräulichkeit.
Gleichzeitig legitimiert er sie neu und lädt den Sex mit einer Gefährlichkeit auf, die er lang nicht mehr hatte. Wenn unkontrollierte Ekstase plus Biss den Eintritt in die Unsterblichkeit bedeuten, will das wohl überlegt sein – oder, wie Bravo es schlüssig formuliert: »Es gibt viele Vorteile, ein Vampir zu sein, aber auch einige Nachteile.«Einen weiteren Hinweis für die Deutung des Phänomens liefert Bravos Testfrage Nummer 3: »Wie würdest du deine Hautfarbe beschreiben?«
Die einzig korrekte Antwort hier lautet: »ziemlich blass«; der »eher dunkle Typ« dagegen wird ausgeschlossen. Während das alte Überlegenheitsgefühl des reinweißen Amerika/Europa gerade von Obama und einer neuen Coolness der Hautfarbenvermischung hinweggefegt wird, hat Stephenie Meyer mit ihrem Clan der fahlhäutigen Nobelvampire unter der Hand einen fiktionalen Rückzugsort geschaffen. Wer nicht »ziemlich blass« im Gesicht ist, muss schon am Türsteher dieser neuen Wohlfühl-Community scheitern.
Foto: Süddeutsche Zeitung