Die Gorch Fock, das stolze Symbol der deutschen Marine. Namensgeber war übrigens ein nicht unumstrittener Schriftsteller.
Das Schiff ist der andere Ort schlechthin, ein abgeschlossener Kosmos, dessen Rituale und Gesetze von den Instanzen des Festlandes aus nicht vollständig kontrolliert werden können. Seine Autonomie hat die Vorstellungskraft der Daheimgebliebenen seit Jahrhunderten gereizt und herausgefordert. In den letzten 14 Tagen hat der Tod einer Kadettin auf der Gorch Fock die Nachrichten in Deutschland bestimmt und eine politische Krise ausgelöst. Auf den ersten Blick steht der Unfall in der »Takelage«, beim Erklettern der »Rahe« (unbekannte Wörter, die fremd und abenteuerlich klingen), in keinem Verhältnis zur Wucht der Entscheidungen, zur Fülle der Berichterstattung. Wäre ein vergleichbarer Unfall auf dem Festland geschehen, in einer Bundeswehrkaserne etwa, hätte er wohl kaum ein solches Echo hervorgerufen. Doch woran liegt es, dass der Fehltritt einer übernächtigten Offiziersanwärterin über Wochen hinweg zu Sondersitzungen im Bundestag und Sondersendungen im Fernsehen führt?
Es hat vielleicht mit dem Schauplatz zu tun, an dem dieses Ereignis stattgefunden hat. Denn das Schiff ist nicht nur ein geschlossener, Legenden bildender Raum; seit Jahrhunderten wurde die Besatzung auf See auch als Modell für das Funktionieren von Gemeinschaft verstanden, als Probe auf das Exempel gesellschaftlicher Lebensformen. Das Schiff ist die traditionelle Metapher des Politischen, der Bezwingung von Naturgewalten durch soziales Miteinander (veranschaulicht etwa im Begriff des »Staatsschiffes«), und genau deshalb hat die Unordnung auf der Gorch Fock auch diese scheinbar unverhältnismäßigen Reaktionen nach sich gezogen. Auf dem Ausbildungsschiff der deutschen Marine, das den Winden des Ozeans noch mit Segeln und Menschenkraft trotzt, steht die Ordnung des Politischen im Ganzen auf dem Spiel.
Wie mächtig das Symbol des Schiffes immer noch ist, war in der letzten Woche daran zu erkennen, dass auch das zweite Großereignis in den Medien an einem »anderen Ort« spielte: im Dschungel.
Die grobmaschigen Hängebrücken im Camp vermischten sich in der Wahrnehmung des Fernsehzuschauers irgendwann mit den Segelmasten der Gorch Fock – eine horizontale Takelage. Doch mit dieser Assoziation waren die Gemeinsamkeiten der beiden Orte auch erschöpft. Denn der Dschungel – von den Abenteuerromanen des frühen 18. Jahrhunderts bis zu den Strafkolonien Kafkas das Außerhalb der Zivilisation schlechthin – ist inzwischen ein perfekt ausgeleuchtetes Fernsehstudio, das Zentrum der global vernetzten Welt. Das Schiff dagegen hat sich bis heute einen Rest des Nichterfassbaren bewahrt.
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