Warum will jeder dieses Buch?

Eine seltsame Gutenachtgeschichte ist schon vor Erscheinen ein märchenhafter Erfolg.

Wenn’s so einfach wäre, würde jeder mal einen Bestseller schreiben. Aber niemand in der Buchbranche kennt das Geheimnis des Erfolgs, fast jeder Bestseller ist eine Überraschung. Die Erklärungen klingen allenfalls im Nachhinein schlüssig. Hape Kerkelings Jakobsweg-Buch? Hat eine große Sehnsucht nach Spiritualität getroffen. Richard David Prechts Wer bin ich? - wurde seinerzeit von Elke Heidenreich in ihrer Literatursendung bejubelt. Sarrazin? Schwamm auf der »Das wird man ja wohl mal sagen dürfen«-Welle. Aber wie will man den wahnwitzigen Erfolg eines amerikanischen Buchs erklären, das nächste Woche in Deutschland unter dem Titel Verdammte Scheiße, schlaf ein! erscheinen wird? Das Original heißt Go the Fuck to Sleep, es ist, laut Verlag, ein Kinderbuch für Erwachsene. Zu schönen Bildern hat der Autor Reime gedichtet, in denen er sein Kind auffordert, nun verdammt noch mal einzuschlafen. Warum hat dieses Buch in Amerika bereits vor Erscheinen den ersten Verkaufsrang bei Amazon errungen? Warum wird es gerade in viele Sprachen übersetzt, und: Warum hat sich Fox die Filmrechte an dem Bändchen gesichert?


Eine mögliche Erklärung wäre, dass der Titel eine unsagbare Wahrheit enthält, die so viele Eltern denken, aber niemals aussprechen. Während früher die meisten Eltern ihre Kinder ins Bett brachten und befahlen, dass jetzt geschlafen werde, werden viele Kinder heute umhegt und in den Schlaf gesungen, es wird vorgelesen, manchmal kann sich das über Stunden hinziehen, weil die Kinder einfach keine Lust haben zu schlafen. Dagegen ist nichts zu sagen, im Gegenteil, aber meist sind die Eltern vom Tag gestresst, vielleicht haben sie noch Arbeit mit nach Hause genommen, und plötzlich ist da dieser Gedanke: verdammte Scheiße. Der Autor Adam Mansbach hatte sich eines Abends bei Facebook Luft gemacht, als seine Tochter endlich schlief: Bald werde sein neues Werk namens Go the Fuck to Sleep erscheinen. Er hatte es nur so dahingeschrieben, weil er genervt war, er plante kein Buch. Aber die Reaktionen waren derart überwältigend, dass Mansbach sich tatsächlich an die Arbeit machte.

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Im dem Buch werden Idyll und Wirklichkeit immer wieder effektvoll nebeneinandergestellt: »Das Schaf schmiegt sich an seine Lämmer. / Das Kätzchen schnurrt leise und fein, / Du liegst endlich in deinem Bett, mein Schatz. / Verdammte Scheiße, schlaf ein.« Einerseits ist das wirklich witzig, anderseits ist es bemerkenswert, welche Aggression sich in den Zeilen verbirgt. Diese eigentümliche Spannung zwischen Witz und Wut hat etwas Unheimliches, es umweht sie der Reiz des Verbotenen. Läse man das Buch den Kindern vor, wären sie umgehend hellwach.

Illustration: Ricardo Cortés