SZ-Magazin: Herr Alt, als Maler arbeitet man häufig in den privaten Räumen fremder Menschen. Damit umzugehen, muss man sicher erstmal lernen, oder?
Sebastian Alt (35): Ja, und es gibt eine Geschichte aus meiner Ausbildungszeit, seit der ich weiß, wie skurril das sein kann.
Was ist passiert?
Damals habe ich mit meiner Ausbilderin bei einer älteren Dame gearbeitet. Wir haben ihre komplette Wohnung gestrichen, in einem Mehrfamilienhaus, sehr klein, mit einem ganz schmalen Flur und alles stand mit dunklen Möbeln voll, die heute wieder modern wären. Die Dame selbst war immer sehr schick. Und sie hatte eine Katze, die sie sehr geliebt hat, vermutlich auch, weil sie alleine lebte. Von der hat sie uns jeden Morgen erzählt, wenn wir noch im Hausflur standen.
Was hat sie erzählt?
Dass es der Katze nicht gut geht. Dass sie kaum noch frisst und dass sie auch schon mit ihr beim Tierarzt war. An den ersten zwei Tagen habe ich mir das noch alles angehört, aber in meinem Hinterkopf lief immer schon die Uhr mit. Wir mussten ja einiges schaffen. Am dritten Tag habe ich nicht mehr richtig zugehört – und dadurch die entscheidende Botschaft verpasst.
Und zwar?
Als wir reingingen, stand links die Schlafzimmertür offen und ich sah die Katze auf dem Bett liegen, auf einer Tagesdecke mit floralem Muster. Ich sagte sowas wie: »Na, heute sieht sie aber doch ganz zufrieden aus!« Meine Ausbilderin hat mich mit dem Ellenbogen angestoßen, mir signalisiert, dass ich besser nicht weiterreden soll – und mir zugeflüstert: »Die ist tot!« Das hatte die Dame uns wohl vorher erzählt.
Wie hat sie darauf reagiert?
Ich habe es irgendwie gerettet. Dass ich meinte, die Katze sähe so aus, als sei sie friedlich eingeschlafen. Die Besitzerin hat dazu nichts gesagt. Aber sie fand uns die ganze restliche Zeit auch noch nett, war also offensichtlich nicht beleidigt.
Mussten Sie an dem Tag um die tote Katze herum arbeiten?
Nein, wir waren dann im Wohnzimmer, glaube ich. Das Schlafzimmer war entweder schon fertig oder wir hatten dort noch nicht angefangen. Zum Glück! Sonst hätten wir die Katze am Ende noch mit einer Abdeckfolie vor Farbflecken schützen müssen. Allerdings musste ich später noch mit dem Bestatter sprechen.
Mit dem Bestatter? Wieso das?
Die Frau hatte einen Arzttermin oder so, jedenfalls musste sie gehen und sagte, dass jemand anrufen würde und wir sollten auf jeden Fall rangehen. Es sei wichtig, dass der Termin für die Bestattung geklärt würde. Ich habe damit gerechnet, dass irgendein Bekannter anruft, der ihr helfen will. Als es klingelte und ich ranging, meldete sich aber jemand mit „»Tierbestattungen Sowieso« – bis dahin wusste ich nicht mal, dass es Tierbestatter gibt! Wir haben unsere Meerschweinchen damals ja auch einfach im Garten beerdigt…
Wie lief das Gespräch ab?
Der Mann sagte: »Es geht um die Bestattung Ihrer Katze.« Da habe ich dem natürlich gesagt, dass ich nur der Maler sei. Trotzdem hat er mich gefragt, welche Urne es sein soll. Dazu wollte ich mich nicht äußern – aber als die Dame zurückkam, hat sie uns auch danach gefragt.
Wieso?
Wir werden oft um unsere Meinung zur Einrichtung gebeten, ob zum Beispiel die Lampen, Stühle oder Gardinen mit der Wandfarbe oder dem Bodenbelag zusammenpassen. Welche Urne am besten in der Wohnung aussehen würde, wurde ich seitdem allerdings nie wieder gefragt.
Gewöhnt man sich daran, in einer so intimen und privaten Umgebung zu arbeiten? Stumpft man mit der Zeit ab?
Als Betriebsinhaber bin ich mittlerweile seltener auf der Baustelle dabei, weil die Organisation drumherum sehr umfassend ist. Aber ich persönlich habe durch die Arbeit ein großes Interesse dafür entwickelt, wie andere Menschen leben. Ich finde das total spannend. Allerdings bin ich auch sensibler geworden und habe für mich selbst genauer definiert, wie sich jemand im besten Fall verhält, wenn er meine heiligen Hallen betritt.
Was sind die Standards, die Sie für sich festgelegt haben?
Teils ganz banale Sachen wie Schuhe ausziehen, zumal wenn es draußen geregnet hat. Dann aber auch so Themen wie: Wer geht in der Wohnung voraus? Ich finde, da sollte man immer sehr zurückhaltend sein und erstmal fragen: Darf ich schon mal in den Flur gehen? Ist es okay, wenn ich hier was ablege? Und insgesamt: absolute Sorgfalt walten lassen, was die in der Wohnung befindliche Dingen angeht.
Was haben Sie aus der Situation mit der toten Katze für Ihr restliches Berufsleben mitgenommen?
Egal, was ich für einen Tag habe, ich begegne den Kunden morgens erstmal mit einem Lächeln und versuche, wirklich ganz da zu sein – und zuzuhören. Na, und fürs Privatleben habe ich eine Geschichte mitgenommen, die man gut auf Partys erzählen kann!