Zwischen der Bahn und ihren Fahrgästen ist es, wie in jeder Beziehung: Am schlimmsten ist es, wenn nicht mehr gesprochen wird. Vergangenen Monat in einem Regionalzug bei Neustadt an der Weinstraße. Bestes Wetter, tolle Aussicht. Der Zug hält kurz vor dem Bahnhof Mußbach. Er steht auf freier Strecke. Die Minuten verrinnen, die Ankunftszeit für den nächsten Halt ist längst verstrichen. Fahrgäste drehen ihre Köpfe, einige beginnen, auf die Bahn zu fluchen. Auch ich merke, dass in mir Unruhe aufkommt, die sich schnell zur Wut steigert. Dabei sind wir erst sieben Minuten zu spät und ich muss nicht, wie sonst oft, einen Anschlusszug erreichen; ich bin auf dem Weg zu einer Familienfeier, wenn ich da etwas zu spät komme, ist das kein Drama. Das Problem ist, dass wir Fahrgäste hier einer Situation ausgeliefert sind, die wir nicht einschätzen können. Vielleicht ein vorausfahrenden Zug, zu dem wir Abstand halten müssen? Könnte in wenigen Minuten behoben sein. Oder schlimmstenfalls, wie es Bahndeutsch heißt, ein Personenschaden? Die Weiterfahrt würde sich um Stunden verzögern. Wir wissen es nicht. Mit diesem Gefühl der Ohnmacht können wir Menschen einfach schlecht umgehen. Es würde uns helfen, wenn jemand vom Personal der Bahn begründete, warum wir gerade nicht weiter fahren. Aber es bleibt still.
Wobei es Ansagen gibt, die nur wenig Linderung verschaffen. Am schlimmsten ist die Durchsage »Verspätung wegen Störungen im Betriebsablauf«. Eine Floskel ohne Inhalt, genauso gut könnte die Durchsage lauten: Wir haben Verspätung, weil wir Verspätung haben. Nachfragen kann man ja nicht, weil der Zugbegleiter in seinem Dienstabteil beziehungsweise der Lokführer in der Fahrerkabine sitzt. In der Analogie zur Beziehung wäre das in etwa so, als ob meine Freundin sich im Bad einschließen und rufen würde: »Wir haben echt ein Problem.« Und ich könnte nicht in Erfahrung bringen, ob nur der Abfluss verstopft ist oder ob sie Schluss machen will.
Laut Bahn wird »diese Formulierung in Einzelfällen von den Kolleginnen und Kollegen genutzt.« Gewünscht sei aber, Fahrgäste so konkret wie möglich zu informieren. Dieses Ziel ist noch lange nicht erreicht, vor allem, wenn man bedenkt, siehe oben, dass es oft überhaupt keine Informationen für die Reisenden gibt.
Ich stelle mir vor, wie die Polizei die Kinder bei ihren Eltern abliefert. Was ist dagegen schon ein verpasster Anschluss?
Andererseits kommt es tatsächlich vor, dass Bahnmitarbeiter sehr gut kommunizieren. Zum Beispiel in einem Intercity in Ostfriesland. Der Zug bleibt am Bahnhof Mariahafe stehen. Kaum hat er gehalten, kommt schon die Durchsage der Zugchefin: «Wir haben hier gehalten, weil die Strecke vor uns eingleisig ist. Wir müssen einen entgegenkommenden Intercity durchlassen.« Das ist der Moment, in dem bei mir Panik aufkommt, meinen Anschlusszug zu verpassen. Aber dann fährt die Zugchefin fort: »Dieser Halt ist im Fahrplan berücksichtigt, es entsteht dadurch keine Verspätung.« Perfekt, der ganze Zug ist beruhigt, keiner flucht.
Die meisten Züge verlangsamen oder stoppen ihre Fahrt natürlich, ohne dass das Zugpersonal direkt wissen kann, ob daraus eine Verspätung wird und wenn ja, wie groß diese sein könnte. Aber auch in diesen Fällen erscheint mir Transparenz für die Stimmung an Bord am besten.
Ein Beispiel von letzter Woche im Regionalexpress von Frankfurt nach Saarbücken. Dort machte die Zugbegleiterin die Durchsage: »Wir haben vier Minuten Verspätung, Grund dafür war ein erhöhtes Fahrgastaufkommen und dass die Lichtschranken der Türen immer wieder blockiert wurden – ob nun bewusst oder unbewusst, sei mal dahin gestellt.« Der angehängte Tadel für die Fahrgäste sorgte für Schmunzeln bei einigen Passagieren und für Kopfschütteln bei anderen. Aber eine solche Äußerung ist für mein Empfinden immer noch besser, als wenn gar nicht gesprochen wird. Wir Fahrgäste wussten nun, was los war, bekamen zudem einen Tipp, was wir selbst gegen Verspätungen tun können, nämlich nicht die Lichtschranken zu blockieren.
Die eben erwähnte vorbildliche Zugchefin im Intercity von der Nordsee ins Rheinland wurde auf der weiteren Fahrt übrigens noch hart geprüft. »Unbestimmte Verzögerung wegen spielender Kinder im Gleis«, sagt sie in Düsseldorf Flughafen durch. Ausgerechnet jetzt, denke ich, in wenigen Kilometern, in Düsseldorf Hauptbahnhof muss ich umsteigen. Natürlich bin ich genervt, aber ich mache mir auch Sorgen um die Kinder. Nach 15 Minuten unfreiwilligem Aufenthalt sagt die Zugchefin: »Die spielenden Kinder sind jetzt von der Polizei mitgenommen worden und die Strecke ist wieder frei.« Ich stelle mir vor, wie die Polizei die Kinder bei ihren Eltern abliefert, wie die Erwachsenen schimpfen und dennoch glücklich sind, dass ihren Kindern auf den Gleisen nichts passiert ist. Was ist dagegen schon ein verpasster Anschluss? Dieses Verständnis konnte ich nur aufbringen, weil ich gut informiert wurde.