Für viele Fahrgäste klingt es wie Hohn, aber mit der Bahn zu reisen, kann der Schlüssel zum großen Glück sein. Einem Bekannten von mir ist es so ergangen. Er fuhr im IC von Osnabrück nach Bonn, vor sich einen neuen Laptop, und versuchte, an einem Tisch zu arbeiten. Auf den Platz gegenüber setzte sich eine Frau, die ihn immer wieder anschaute. Aber er starrte auf seinen Computer und kämpfte gegen seine Müdigkeit. Er hatte vor allem Angst, dass ihm der neue Rechner geklaut werden würde, sobald ihm die Augen zufielen. Trotzdem schlief er ein.
Als er wieder aufwachte, war der Laptop noch da, aber die Frau weg. Schade, dachte er und packte kurz vor Bonn seine Sachen zusammen. Da gab ihm der Mann auf dem Nebensitz zu verstehen, dass auf dem Tisch noch etwas für ihn liege. Es war ein Gutschein für »Body Butter«, mit der gekritzelten Botschaft »Viele Grüße von gegenüber« plus einer Telefonnummer. Den Gutschein löste er nicht ein, stattdessen rief er am Abend die Nummer an – seit zwölf Jahren sind die beiden nun ein Paar und haben mittlerweile zwei Kinder.
Dann schnarchten zwei andere Fahrgäste weiter hinten so laut, dass der Mann und die Leserin sich anschauten – und lachten
2015 wollte die Bahn mit der der App »Lokin« das Kontakte-Knüpfen im Zug erleichtern. Reisende konnten sich für einen Zug anmelden und mit Mitfahrern chatten, vielleicht damit auch Leute, die vor allem auf ihren Bildschirm starren, leichter ins Gespräch kommen. Aber kaum jemand nutzte die App – schließlich ist ein Zug meistens nicht voller Menschen, die hier nach dem nächsten Flirt suchen. Und selbst diejenigen, die nicht abgeneigt wären, schätzen am Bahnreisen vielleicht ausgerechnet, dass sie hier ganz leicht mit richtigen Menschen in Kontakt kommen können, anstatt wie beim Online-Dating zu chatten. Lokin wurde jedenfalls wieder eingestellt.
Das bedeutet aber nicht, dass die Liebe in deutschen Zügen heute keine Chance mehr hätte. Eine Leserin schilderte mir ein Erlebnis vom September diesen Jahres. Sie war mit ihrer 19-jährigen Tochter in einem überfüllten IC von Nürnberg in Richtung Köln unterwegs. Die beiden hatten nicht reserviert und mussten deshalb ständig die Sitzplätze wechseln. »Meine Tochter war nicht amused«, schrieb mir die Frau. Ab Mainz konnten die beiden nicht mehr nebeneinander sitzen – ein Glücksfall für die Mutter, denn so nahm ein Mann Anfang 50 neben ihr Platz, auf seinem reservierten Sitz. »Es dauerte ewig, bis er seine Sachen sortierte und sich hinsetzte – ich war erstmal genervt.« Dann schnarchten zwei andere Fahrgäste weiter hinten so laut, dass der Mann und die Leserin sich anschauten und lachten. Sie kamen ins Gespräch, stellten fest, dass sie beide erwachsene Kinder haben, aus Nordrhein-Westfalen kommen, Fußball und das SZ-Magazin mögen. »Die Fahrt bis Köln verging viel zu schnell. Er gab mir seine Karte und bat mich um eine baldige Nachricht.« Sie schrieben sich noch am gleichen Abend, drei Tage später besuchten sie sich und küssten sich zum Abschied am Bahnsteig. Jetzt sind die beiden ein Paar. »Wir haben beschlossen, niemals schlecht über die Bahn zu reden und jedes Jahr am 28.09. gemeinsam mit ihr unterwegs zu sein«, schrieb sie mir.
Ich wünsche alles Gute! Wenn auch Ihnen im Zug etwas Schönes passiert ist, melden Sie sich gerne – ich bin froh, wenn ich in dieser Kolumne nicht immer nur schimpfen muss.