Auf den letzten Drücker nach Marseille

Bei »Last Minute« denkt man an günstige Flugreisen. Ein Test unseres Autors hat ergeben, dass die Bahn oft das bessere Last-Minute-Verkehrsmittel ist – obwohl sie in einer Hinsicht nicht mit den Fluglinien mithalten kann.

Illustration: Nishant Choksi

Der Herbst kommt, und wer wollte da, wenn möglich, nicht noch ein paar Tage die Spätsommer-Sonne genießen? Meine kleine Familie (Freundin, Baby, ich) hatten jedenfalls Lust auf einen verspäteten Sommerurlaub. Um ein paar Tage Sonne sicher zu haben, wollten wir das Ziel jedoch erst eine Woche vor Abreise aussuchen; ab zehn Tage vor der Reise ist die Wettervorhersage einigermaßen aussagekräftig. Als erstes schauten wir nach Flügen. Andalusien oder Südfrankreich kosteten jeweils um 270 Euro. One Way, pro Person. Wie auch immer die Mär von den günstigen Last-Minute-Flügen entstanden ist – heute stimmt sie meines Erachtens kaum noch irgendwo, nicht mal bei Ryanair.

Wie sieht es bei der Bahn aus? Klar, mit dem Zug  kommt man nicht in einer erträglichen Zeitspanne nach Andalusien. Aber warum auch, wenn es einem auf Sonne und Meer ankommt und man beides genauso gut in Südfrankreich oder Kroatien genießen kann? Tickets nach Rijeka gibt es ab Frankfurt ab 62,30 Euro mit Bahncard. Da muss man dann allerdings ab München den Nachtzug nehmen, auf einem normalen Sitzplatz, und die Fahrt dauert dann noch zehn Stunden. Hm. Ich will wissen, was ein Liege- oder Schlafwagen kostet. Ich erinnere mich, dass ich dafür mal einen Preis von circa 120 Euro recherchiert hatte, gültig für ein Abteil mit Zweierbelegung, wobei man sich nicht aussuchen konnte, mit wem man das Abteil teilt. Aber diesmal schaffe ich es bei acht Versuchen nicht, über die Webseite international-bahn.de für verschiedene Daten den jeweiligen Preis herauszufinden. Bei jedem Versuch muss ich aufs Neue mein Geburtsdatum eingeben, es nervt total, ich gebe auf. Liege- und Schlafwagen, das erfahre ich später von den ÖBB per Mail, verkehren nur von Ende Mai bis 24. September.

Egal, die Wettervorhersage ist für die französische Mittelmeerküste ohnehin besser als für die kroatische. Ich schaue, was die Zug-Tickets von Frankfurt nach Marseille kosten – 61,35 Euro eine Woche vor Abfahrt! Das ist weniger als ein Viertel der Kosten fürs Flugticket – und im Gegensatz zu den Airlines fährt unsere Tochter kostenlos mit, auf einem eigenem Sitzplatz. Als Familie sparen wir locker mehrere hundert Euro mit der Bahnfahrt. Der Trip dauert mit dem französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV – tagsüber, ohne Umsteigen – sieben Stunden und 52 Minuten. Akzeptabel. Und die ganze Reise ist umweltfreundlicher als mit jedem anderen Verkehrsmittel.

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Die Buchung hat über eine Stunde gedauert – und die Tickets sind in der Zwischenzeit teurer geworden

Damit steht unser Ziel fest. Reise-Euphorie stellt sich ein, als wir eine passende Ferienwohnung gefunden haben, doch dann kommt die Reservierung. Kleinkindabteil, Familienbereich, wie sieht das alles aus im TGV? Wir googlen, versuchen erst das eine, dann das andere zu reservieren – »Bestätigung erst bei Buchung« heißt es jeweils. Am Ende ist beides nicht verfügbar. Der TGV ist reservierungspflichtig, wir werden gefragt, ob wir stattdessen andere Plätze wollen, irgendwelche. Hoffentlich wenigstens zusammen? Wäre ja ganz schön, wenn unsere sechs Monate alte Tochter nicht alleine sitzen müsste. Notgedrungen klicken wir »ja«.

Auch nachdem wir gebucht haben, wissen wir nicht, wie die Plätze liegen, aber die Nummern sind aufeinanderfolgend, also wohl nebeneinander. Dafür hat die Buchung über eine Stunde gedauert – und die Tickets sind in der Zwischenzeit teurer geworden, liegen jetzt bei 75,55 Euro pro Person. Ärgerlich, aber immer noch günstig im Vergleich zum Flug.

Als wir ein paar Tage später den TGV betreten, liegen unsere Plätze tatsächlich zusammen. Es gibt aber, obwohl über die Bahn-Webseite angezeigt, weder Kleinkindabteil noch Familienbereich. Wenn man eine Verbindung mit Umstieg bucht, wie wir auf der Rückreise, kann man zwar für den deutschen Zug seine Plätze aussuchen, hat aber für den viel längeren Reiseanteil im französischen Zug keinerlei Wahlmöglichkeit, also noch nicht mal, ob man in den eingesetzten Doppelstockwagen oben oder unten sitzen möchte. Mit Kinderwagen und viel Gepäck problematisch. Die Reservierungssysteme zwischen deutscher und französischer Bahn harmonieren also nicht.

Fazit: Bei »Last Minute« nur an Flüge zu denken, nicht auch an die Bahn, sollte man sich abgewöhnen, die Preise für Bahnreisen in die Sonne sind auf jeden Fall Last-Minute-tauglich. Die Buchungs- und Reservierungssysteme der verschiedenen Bahn-Unternehmen über Ländergrenzen hinweg können aber leider mit denen der Airlines noch nicht mithalten.