»Ich halte es eigentlich nur bei mir aus«

So wohnt Berlin: zu Hause bei Georg Heinrichs.


SZ Magazin: Guten Morgen, Herr Heinrichs, wie geht es Ihnen?
Georg Heinrichs:
Ich bin sehr müde und lahm und am Ende.

Oh, das tut uns leid.
Ich bin immerhin 85. Ich habe ja leider keine Krankheit, ich kann mich nicht entschuldigen, ich bin einfach hinfällig.

Dabei wohnen Sie so schön.
Ich wohne sehr schön, aber ich wollte gar nicht hierher. Wir hatten keine Kinder, und wie Frauen so sind, wollte meine Frau welche haben. Da haben wir zwei adoptiert, aus Persien. Und ich habe meiner Frau zuliebe dieses Haus gekauft, von Bruno Paul, der ein relativ guter Architekt ist. Das Haus ist so alt wie ich, 1925/26 gebaut. Aber das Wohnen im Grunewald ist nicht mein Ideal. Ich mag Natur nicht so sehr. Dann starb meine Frau, mein Sohn ist ausgezogen, und jetzt wohne ich hier allein mit meiner 35-jährigen Tochter.

Meistgelesen diese Woche:

Sie könnten umziehen.
Nein, ich habe so viel Klunker. Zehntausende Bücher und all die Kunst. Ich kann nicht weg. Außerdem bin ich zu schlapp, um noch mal umzuziehen.

Aber Sie wären lieber in der Stadt?
Ja! In der Uhlandstraße 175, in der 4. Etage mit Dachgarten. 260 Quadratmeter hatten wir dort, auf der gleichen Etage mein Büro mit 300 Quadratmetern. Das war fantastisch. Da habe ich zehn Jahre gewohnt. Immerhin liegt das Haus hier an der Clayallee, da hört man wenigstens ein bisschen Autolärm. So weiß ich, dass ich noch lebe.

Haben Sie ein Lieblingszimmer?
Ich sitze seit 15 Jahren immer in meinem Charles-Eames-Sessel im Wohnzimmer. Ich gucke nicht ins Grüne, natürlich, sondern auf eine Skulptur von Oskar Schlemmer, die ich damals für 500 Mark gefunden habe, und einen Corbusier. Das ist mein Lieblingsplatz.

Mit welchem Möbelstück verbinden Sie persönliche Erinnerungen?
Mit meinen Möbeln von Alvar Aalto. Ich habe mit ihm gearbeitet, war für seine
Musterwohnung der Aufpasser, und habe von ihm einige Möbel übernommen. Die stehen nun alle um mich herum.

Was würde Ihnen nicht ins Haus kommen?
Klassizistische Möbel von Schinkel.

Wie weit ist es bis zum nächsten Supermarkt?
Das weiß ich nicht. Meine Tochter fährt immer hin, sie ist gerade zurückgekommen. Ich gehe täglich auf der Clayallee spazieren, hin und her, etwa einen Kilometer, ich muss laufen, sagt meine Tochter, sie will ja, dass ich gesund bleibe.

Wie würden Sie den Geruch in Ihrer Wohnung beschreiben?
Es riecht nach Tabak. Meine Ärztin hat gefragt: Rauchen Sie noch? Ich hab gesagt, ja, ich rauche noch. Sie hat gesagt: Rauchen Sie weiter.

Wie viel rauchen Sie?

Fünf bis zehn Stück am Tag.

Welche Marke?
Ich habe Mafinos geraucht, diese ägyptischen Zigaretten. Aber die gibt es nicht mehr, jetzt rauche ich Lucky Strike, weil die Päckchen so schön sind. Die hat der amerikanische Designer Raymond Loewy entworfen.

Mit oder ohne Filter?
Mit, leider. Meiner Tochter zuliebe.

Sie machen ganz schön viel Ihrer Familie zuliebe.
Das denke ich auch. Wenigstens finden sie es schön hier.

Haben Sie Ihrer Familie mal gesagt, dass Sie nicht gern im Grunewald leben?
Ständig. Aber ich habe meine Frau geliebt und hatte mein Vergnügen in der Arbeit. Ich habe sehr gern und sehr viel gearbeitet, nie einen Entwurf aus der Hand gegeben, alles selber gezeichnet. Keiner im Büro durfte einen Strich machen, den ich nicht genehmigt hatte.

War Ihr Büro weiterhin in der Stadt?
In der Uhlandstraße, ja. Da bin ich jeden Tag hingefahren. Hier im Haus habe ich mir mein Studio in einem Zimmer eingerichtet, das keiner haben wollte, weil es nach Norden zeigt. Die alte Küche, da schaut man direkt auf das Nachbarhaus.

Was hat Berlin, was andere Städte nicht haben?

Berlin ist da, wo ich geboren bin. Ich liebe Berlin. Aber ich kenne eigentlich nur die Uhlandstraße, das zweite Eckhaus vom Kurfürstendamm aus nach Süden. Wenn ich die Straße runter gelaufen bin, kam ich zu meiner Schule, die Hindenburg-Realschule, die wurde später natürlich umbenannt. Wann immer ich meine Tochter überreden kann, fährt sie mich in die Uhland- Ecke Ludwigkirchstraße, zu einem türkischen Italiener, »Mancini«. Da kann ich auf der Terrasse sitzen, Autos vorbei fahren sehen und Kaffee trinken.

Herr Heinrichs, wie haben Sie das Schuhaufbewahrungsproblem in Ihrem Haus gelöst?

Einbaumöbel. Im Vorraum meines Schlafzimmers hat Bruno Paul (der Architekt und Möbeldesigner, Anm. d. Red.) für seinen Bauherrn damals Schränke eingebaut, mit Schüben aus wunderschönem Holz und Korbgeflecht. Da stehen meine Schuhe übereinander, es sind ungefähr sechs Paar.

Können Sie wegwerfen?
Ich behalte alles. Mein Zimmer sieht genauso aus, wie ich es vor dreißig Jahren eingerichtet habe.

Dann kaufen Sie nicht viel dazu?
Gar nichts. Es ist wie mit meiner Architektur. Die habe ich vor fünfzig Jahren erfunden, und seitdem arbeite ich so.

Sind Sie ordentlich?
Sehr ordentlich. Penibel. Alles hat seinen Platz, sodass ich es blind finde.

Tapete oder Wandfarbe?
Bei mir gibt es nur Weiß. Ich sammle dreidimensionale Dinge, Reliefs. Die Wohnung hängt ziemlich voll, in der Kunst ist Farbe drin, freundliche Farbe. Und die Möbel haben Farbe, auch wenn sie nur schwarz oder weiß oder aus Holz sind. Aber meine Lieblingsfarbe, wenn Sie das wissen möchten, ist Dunkelblau. Alle meine Autos waren dunkelblau, mitternachtsblau. Weil es eine sehr ruhige Farbe ist. Ich liebe die Ruhe, ich liebe die Ausgeglichenheit, alle meine Häuser sind horizontal in der Struktur, die Fenster sind entweder weiß oder dunkelblau. Sie sind in vielen Berliner Wohnungen gewesen.

Gibt es einen speziellen Berliner Einrichtungsstil?
Ich bin in nicht vielen Häusern gewesen. Aber in einem Haus, das ich gebaut habe, die
Autobahnüberbauung, sind ungefähr 1200 Wohnungen drin. Einige davon habe ich gesehen. Das war so erschütternd, dass ich mich nachher nicht mehr getraut habe, irgendwo hineinzugehen.

Was war so schrecklich?
Da gab es Fischbecken, grün-gelb karierte Tapeten und diese Kunstgewerbemöbel. Die stehen ja auch bei Leuten, die ich schätze. Die Leute haben keine Wohnkultur.

Was meinen Sie mit Kunstgewerbemöbeln? Auf alt gemachte neue?
Genau. Alte Möbel mag ich auch nicht. Die kann man im Museum angucken, aber antike Möbel zur täglichen Benutzung – das kann ich nicht haben. Von solchen Dingen muss ich mich richtig erholen, zu Hause bei mir. Ich halte es eigentlich nur bei mir aus.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der kein Geld hat, sich aber trotzdem angenehm einrichten möchte?
Zu Ikea. Die sind ja noch einigermaßen vernünftig und relativ billig. Der Eames, auf dem ich sitze, kostet jetzt ungefähr 8000 Euro. Der hat mal 800 Mark gekostet. Ich habe noch den alten, mit Palisanderholz.

Haben Sie ein Haustier?
Natürlich nicht. Wenn ein Hund kommt, muss der draußen bleiben. Außer der meiner Patentochter. Ihr Hund ist ein ganz ruhiger, der darf hier rein, als einziger.

---
Georg Heinrichs wird im kommenden Juni 85 Jahre alt. Er ist Stadtplaner und Architekt, leidenschaftlicher Verfechter der Moderne und der horizontalen Bauweise - die vertikale Form empfindet er als aggressiv. Das Haus, in dem Heinrichs in Dahlem lebt, baute Bruno Paul 1925/26.

Fotos: Todd Selby