»Man kann Menschen mit Hässlichkeit erschlagen wie mit einer Axt«

Der weltbekannte Designer Peter Schmidt strebt auch im Hotelzimmer und am Esstisch nach perfekter Ästhetik - und hält sie daher für antisozial.

SZ-Magazin: Ende der Sechzigerjahre lernten Sie in Hamburg eine junge Frau kennen, die Heidemarie Jiline Sander hieß, aus Wesselburen im Kreis Dithmarschen stammte und später unter dem Namen Jil Sander weltberühmt wurde. Wie fanden Sie zusammen?
Peter Schmidt: Jil lud mich zu einer Party in ihre Wohnung an der Alster ein. Sie hatte gerade mit 24 Jahren eine Boutique in der Milchstraße eröffnet, in der sie Mode von Designern wie Sonia Rykiel und Thierry Mugler verkaufte. Als sie mich fragte, ob ich ein Logo für sie gestalten könnte, sagte ich Ja. Für den Schriftzug aus klobigen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund habe ich nicht lange gebraucht. Mein Vorbild war die Titelseite der Bild-Zeitung mit ihrer kraftvollen, fast brutalen Typografie. Jil war leicht schockiert, als ich ihr meinen Entwurf zeigte, gab aber schließlich ihr Okay. Das Logo wurde bis heute nicht geändert.

Wenn die Hamburger Gesellschaft damals zu Partys lud, stand Frau Sander ganz oben auf der Einladungsliste. Was fand man an einer Modeverkäuferin, die zuvor für wenig glamouröse Frauenmagazine wie Constanze und Petra gearbeitet hatte?
Jil sah trotz ihrer etwas knolligen Nase toll aus. Sie schlief mit Männern und Frauen, was ihre Attraktivität noch steigerte. Ich gebe zu, auch ich war vernarrt in sie. Als sie Anfang der Siebziger anfing, in ihrer Boutique auch eigene Mode zu verkaufen, konnte man sofort erkennen, was sie später groß machte. Wie manche Menschen das absolute Gehör für Musik haben, hatte sie eine todsichere Intuition für Stoffe und Nähte. Trotzdem hatte sie kaum Erfolg und stand öfter finanziell am Abgrund. Das änderte sich erst, als sie 1979 ihr erstes Parfüm auf den Markt brachte.

Der Flakon, den Sie für dieses Parfüm gestaltet haben, wurde in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufgenommen. Wovon ließen Sie sich leiten?
Eine gelungene Hülle ist ein optischer Aphorismus, der schnell und kurz sagt, was der Inhalt will und soll. Damals waren Flakons verschnörkelt und überdekoriert. Wenn ein Parfüm nach Maiglöckchen roch, verpasste man der Flasche kurzerhand Maiglöckchen-Applikationen. Für Jil schwebte mir eine kühle, minimalistische Form ohne Zierrat vor, ein Gegenbild zur bourgeoisen Vorstellung von Luxus. Als ich fertig war, ließ ich eine übergroße Version des Flakons aus Acryl bauen und zeigte ihn ihr. Sie stand auf, umarmte mich und sagte: »Peterchen, dieser Flakon, das bin ich! Das ist meine Welt!« Von da an habe ich alles für sie gestaltet, aber die Zusammenarbeit wurde immer enervierender. Man lebte mit ihr am Rande des Wahnsinns.

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Warum?
Je größer ihr Unternehmen wurde, desto stärker wurden ihre Selbstzweifel. Ich begriff, dass sie erst mal Entwürfe zum Ablehnen brauchte. Deshalb präsentierte ich ihr meinen Favoriten immer erst ganz zum Schluss. Obwohl sie mit ihrem eigenen Gesicht warb, empfand sie Fotoaufnahmen als Qual und bekam vor Unsicherheit und Nervosität Weinkrämpfe. Ich musste dann ihre Hand halten und den Fotografen bei Laune halten. Sie hatte zwei konträre Seiten: Es gab das hilflose, schüchterne Kind, das in Männern Beschützerinstinkte weckte, und es gab die berechnende Businessfrau, die in Verhandlungen nicht zu Kompromissen bereit war. Mit den Jahren hatte ich den Eindruck, dass ihre Schüchternheit nur noch gespielt war, um taktische Vorteile zu erzielen. Sie wollte als scheue, ätherische Modepuristin gesehen werden, der nichts an Kommerz liegt. Jils Geschichte ist auch die Geschichte einer Idealisierung und Stilisierung.

Wie kam es zum endgültigen Bruch?
Nach einem Krach gab es ein paar Monate Funkstille. Dann rief der Parfüm-Manager Herbert Frommen an: Er habe die Faxen dicke, wir sollten mit getrennten Flugzeugen zu ihm nach Frankfurt kommen. In seinem Büro blaffte er uns an, wir sollten uns endlich wieder vertragen, denn die Marke Jil Sander werde eingehen, wenn nicht jedes Jahr ein neuer Duft rauskäme. Jil und ich gaben uns brav die Hand. Auf dem Rückflug beschlossen wir, unsere Versöhnung auf dem Mount Everest zu feiern. Ein paar Wochen später brachte uns ein Helikopter auf 5000 Meter Höhe. Es half aber nichts, der Riss war nicht mehr zu kitten.

Zu Ihren Folgekunden gehörte Wolfgang Joop, für den Sie neben Flakons auch die Werbung gestalteten.
Wolfgang ist eine tragische Figur. Er war völlig unterfordert im Leben. Mit seiner sprühenden Begabung und Schnelligkeit im Kopf hätte er früh nach Paris, London oder New York gemusst. Stattdessen ist er im Land geblieben und eine Drama-Queen geworden. Das ist eine ganz große Tragödie.

Sie gestalten seit mehr als vierzig Jahren so unterschiedliche Dinge wie Bierflaschen, Staubsauger, Kondompackungen, Binden, Inkontinenzwindeln, Bücher, Magazine, Firmenlogos, Konzerthallen, Opernfoyers, Bühnenbilder und Kostüme. Bei welchem Auftrag haben Sie gezögert?
Mitte der Neunzigerjahre traf ich beim Gartenfest eines Freundes auf den damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe. Ich sagte ihm, die Embleme der Bundeswehr hätten die Anmutung eines Soldatenfriedhofs. Daraufhin wurde ich beauftragt, das Eiserne Kreuz neu zu gestalten. Mein Vater war bei der SA und hat noch lange nach Kriegsende geleugnet, dass es unter Hitler Konzentrationslager gab und die Wehrmacht Verbrechen begangen hat. Deshalb habe ich lange mit mir gerungen, bis ich den Auftrag annahm. Die Aufgabe war interessant, denn das Eiserne Kreuz wurde 1813 von König Friedrich Wilhelm III. skizziert und dann vom preußischen Baumeister Karl Friedrich Schinkel gestaltet. Ich habe versucht, das Emblem so zu verändern, dass es zu einer Friedensarmee passt.

Bei welchem Kunden sind Sie gescheitert?
Mich rief mal der Agent von Herbert von Karajan an. Er bat mich, am Wochenende nach Berlin zu kommen, Karajan erwarte mich nach der Vorstellung in seiner Suite im »Kempinski«. Als ich eintrat, saß Karajan in einem hellblauen Trainingsanzug auf einem Stuhl und entschuldigte sich dafür, dass er mich wegen eines chronischen Rückenleidens nicht im Stehen begrüßen könne. Dann kam er direkt zur Sache: Er habe das falsche Image, dieses Problem müsse ich lösen. Er zeigte mir Fotos von sich und sagte: »Ich habe zu spät umgedacht. Dieser in göttliche Sphären entrückte Geisteskopf, das bin ich nicht, zu viel Pathos. Sie müssen mir helfen, die Kurve zu kriegen. Ich weiß alles über Sie. Sie fahren einen schwarzen Porsche 911 Targa, aber mein Porsche 959 ist schneller. Obwohl ich über achtzig bin, fahre ich auf der Autobahn immer noch Höchstgeschwindigkeit. Das Unschöne ist nur, dass man mich wegen meines kaputten Rückens aus dem Auto rein- und wieder rausheben muss.« Nach einer Stunde nahm ich den Auftrag an. Leider kam es nie zur Umsetzung, Karajan ist kurz darauf gestorben.

Können uns gute Formen zu besseren Menschen machen?
Man kann Menschen mit Hässlichkeit erschlagen wie mit einer Axt, oder man kann sie durch die Veredelung von Alltagsgegenständen zu schönheitsbewussten Wesen erziehen. Die Dinge, die uns umgeben, prägen uns ähnlich stark wie die Sprache, die wir sprechen. Die Gewöhnung an die alltäglichen Scheußlichkeiten greift tiefer in unseren Charakter ein, als viele meinen. Stendhal hielt Schönheit für eine Verheißung von Glück. Diese Sehnsucht gilt es wachzuhalten.

Vor welcher Verpackung gehen Sie in die Knie?
Es gibt allseits anerkannte Klassiker wie die um die Jahrhundertwende designte Odol-Flasche mit dem Schwanenhals, aber mein Favorit sind die Flakons von Chanel. Deren Formensprache hat sich seit Coco Chanels Urflakon kaum verändert. Diese konsequente Markenführung ist einzigartig. Hinzu kommt die Buchstabenkonstellation des Namens. Wenn ich Chanel schreibe, bekomme ich eine Gänsehaut. Schockiert war ich, als Jean Paul Gaultier ein Parfüm in einer Blechdose verkaufte. Ich wusste, jetzt bist du für eine Zeit abgehängt!

Welcher Gebrauchsgegenstand hat in Ihren Augen vollkommene Formen?
Die Concorde und der Ferrari Dino. Das vollendetste Objekt, das ich je in der Hand gehalten habe, ist eine Teedose, die der letzte japanische Lackmeister um 1906 angefertigt hat.

Der wirkmächtigste Produktgestalter der Geschichte dürfte der 48-jährige Brite Jonathan Ive sein, der für das Design der Apple-Produkte verantwortlich ist. Bewundern Sie den Mann?
Natürlich. Es war aber ein Deutscher, der den Samen für das Apple-Design ausgesät hat. Er ist heute steinalt und lebt in Hessen. Sein Name ist Dieter Rams. Seine Produktgestaltung war stets sehr, sehr ernst, Ive hat das Spielerische hinzugetan. Beides zusammen ergibt Apples Welterfolg.

Was dachten Sie, als Sie das erste Mal ein iPhone sahen?
So wie man mit einer Zigarette einen Finger hinzugewinnt, bekommt man mit dem iPhone eine dritte Hand. Beim iPad ist es etwas anderes. Die Menschheit war bei der Informationsbeschaffung an das Fernseh- und Zeitungsformat gewöhnt. Auf einmal gab es für diesen Zweck ein babyhaftes Ding. Spielerische Verkleinerung ist ein elementarer Trick bei der Produktgestaltung. Kaum etwas ist erfolgreicher, als das Kindchenschema auf einen Gegenstand zu übertragen, der für Erwachsene gedacht ist.

Produktgestalter haben mal eine Bohnerwachsdose auf den Markt gebracht, deren Stülpdeckel eine Frau auf allen Vieren zeigte. Darunter stand der Markenname Wichsmädel. Gibt es ähnliche Peinlichkeiten unter Ihren Entwürfen?
Die Hälfte aller Zigarettenanzeigen, die ich gestaltet habe, würde ich gern ungeschehen machen. Obwohl wir das tödliche Risiko des Rauchens längst kannten, haben wir so getan, als würden wir den Menschen Freiheit und Abenteuer verkaufen. Verzeihlich finde ich Peinlichkeiten, die dem Geist der Zeit geschuldet waren. Vor vierzig Jahren habe ich Kondompackungen so verhuscht gestaltet, als wären Bonbons drin.

Was machen Sie, wenn Ihnen mal nichts einfällt?
Ich habe eine Schar junger, unbekümmerter Freunde, die ich bei Blockaden zu mir nach Hause einlade. Das sind dann so Kifferabende, wo alle high sind und durcheinanderreden. Trotzdem wird oft ein Faden sichtbar, an dem ich ziehen kann.

In der Zeit, als Ihre Karriere begann, gehörte eine Namensänderung zum Selbstdesign vieler Künstler. Aus dem Maler Hans-Georg Kern wurde Georg Baselitz, Ralf Winkler nannte sich A. R. Penck. Haben Sie daran gedacht, sich einen klangvolleren Namen zuzulegen?
Sie meinen, ich hätte mich in Leonardo DiCaprio umbenennen sollen? Es gab anfangs viele, die mit maliziöser Miene sagten: Wie kann man nur Peter Schmidt heißen? Mit dem Namen können Sie eine Karriere vergessen, Sie müssen sich ein flottes Pseudonym zulegen oder wenigstens so etwas wie Peter W. Schmidt auf Ihre Visitenkarte schreiben! Meine Erfahrung war aber, dass die Banalität meines Namens mir eher geholfen hat. Der profane Klang kontrastierte mit dem Elaborierten meiner Entwürfe. Mein jüngerer Bruder heißt Rüdiger. Als Rüdiger Schmidt eine Karriere als Gestalter zu machen, wäre schwierig gewesen.

Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky sagte mal: »Wenn ein Hamburger die Wahl hat zwischen dem Paradies und einem Vortrag über das Paradies, wird er den Vortrag wählen.« Sind Sie in Hamburg heimisch geworden?
Nein. Ich wohne seit 1963 in Hamburg, aber leben? Die Missachtung der Künste hat hier eine so lange Tradition, dass ich den Verdacht habe, der Hamburger meint, keine Kultur zu brauchen. Als ich begriff, dass mein Umzug die dramatischste Fehlentscheidung meines Lebens war, war es zu spät, denn ich hatte bereits 170 Mitarbeiter. Hätte ich die fragen sollen, ob sie mit mir nach Lucca oder Venedig umziehen?

Sie sind mit drei Geschwistern in Bayreuth aufgewachsen, wo Ihre Eltern eine große Gärtnerei betrieben. Was waren Sie für ein Kind?
Ich war nur in meinen Träumen zu Hause und hatte unendliches Fernweh. Ich saß stundenlang am Fenster, und wenn Wolken aufzogen, stellte ich mir vor, das sind die Alpen. Weil ich in der Schule eine Katastrophe war, bestachen meine Eltern die Lehrer mit Mohrrüben, Kohlrabi und Wirsing. Gemüse war in den Jahren nach dem Krieg gefragter als Bargeld.

Trotzdem flogen Sie von mehreren Schulen.
Ich war vorlaut, weil ich von der seltsamen Idee besessen war, etwas Besonderes zu sein und alles besser zu wissen. Meine Verstiegenheiten haben die Lehrer zur Weißglut getrieben. Wenn ich mathematische Formeln von der Tafel abmalen sollte, zeichnete ich Karikaturen der Lehrer und gab mein Heft mit triumphierender Miene ab. Als ich auf Betreiben meiner Eltern mit 15 eine Lehre als Lithograf begann, waren alle Beteiligten erleichtert.

Wann wussten Sie, dass Sie schwul sind?
Mit 15 war mir klar, dass bei mir irgendwas nicht stimmte. Zwei Jahre später hatte ich meinen ersten Freund. Es war eine wunderbare Geschichte, die über viele Jahre ging. Meine Eltern liebten ihn abgöttisch und erlaubten, dass er bei uns übernachtet. Meine Mutter hatte schon sehr früh geahnt, dass ihr Zweitgeborener aus der Art schlägt. Wenn sonntags alle im blauen Anzug in die Kirche gingen, hatte ich gelbe Hosen an. Mein Vater hat das Thema Sexualität übergangen.

Nach langen Beziehungen mit den Balletttänzern Truman Finney und Kevin Haigen sind Sie seit mehr als zehn Jahren mit dem Hamburger Gastronomen Tobias Strauch zusammen. Leben Sie unter einem Dach?
Nein.

Weil Ästheten die Hautnähe eines anderen Menschen nicht ertragen?
Tobias ist dreißig Jahre jünger als ich. Unsere Interessen laufen dramatisch auseinander. Wenn wir nebeneinander in der Oper sitzen, wäre er vermutlich lieber bei einem Popkonzert. Ich habe in diesen vielen Jahren erst einmal bei ihm geschlafen. Sein Traum war immer, dass wir zusammenziehen, aber das ist bei mir nicht möglich. Wenn wir auf Reisen sind, haben wir stets getrennte Zimmer. Bei mir muss jeder Gegenstand seinen exakten Platz haben und auch noch gerade liegen. Aus Ordnung schöpfe ich Ruhe und Kraft.

Wer in Ihrer Gegenwart ein Buch liest, ist nachdrücklich gebeten, dies mit durchgedrücktem Rücken zu tun.
Das liegt daran, dass ich viele Jahre mit Tänzern zusammen war. Tänzer bewahren immer Haltung. Auch im Sitzen sind Körper und Kopf gerade. Ich bewundere das.

Sie haben mehr als hundert Flakons gestaltet, darunter den für »Cool Water«, einen der meistverkauften Herrendüfte der Welt. Welchen Duft benutzen Sie?
Mein Geruchssinn ist durch Tausende von Dufttests so verdorben, dass ich nichts mehr unterscheiden kann. Als ich noch riechen konnte, fragte mich ein Parfüm-Manager nach meinem Idealduft. Es ist ein Geruch aus meiner Kindheit: Mein Vater zieht Mohrrüben aus der Erde. Ein paar Wochen später schickte mir der Manager zwei Kanister mit Parfüm, das wunderbar nach Mohrrübe und frischer Erde duftete. Es wurde erwogen, das Parfüm auf den Markt zu bringen, aber dann ging der Manager nach Südamerika.

Welcher Gegenstand bedarf dringend eines Gestalters?
Da fällt mir nichts ein.

Hausschuhe?
Der Hausschuh hat das Schicksal, dass er nie männlich aussieht. Ich trage zu Hause dicke Wollsocken. Ich will nicht sagen, dass das sexy aussieht, aber es hat etwas Humorvolles.

Stimmt es, dass Sie ohne persönlichen Assistenten nicht lebensfähig sind, weil Sie weder eine Mahlzeit zubereiten können noch Brille, Schlüssel oder Smartphone finden?
Das ist wohl so. Als ich vor einiger Zeit bei einer Freundin übernachtet habe, wurde ich gefragt, ob ich wenigstens die Eier zum Frühstück kochen könne. Ich musste mich verweigern, weil ich nicht wusste, wie lange die ins Wasser sollten. Es ist nicht mondän gemeint, aber ich hatte schon ganz früh einen Koch. Man muss bei der Beurteilung meiner Eigenheiten aber Rücksicht darauf nehmen, dass ich sehr oft spät vom Flughafen nach Hause komme und dann nicht noch Lust habe, Kartoffeln aufzusetzen.

Gehen Sie sich in Ihrer Edelgalaxis zuweilen selber auf die Nerven?
Ja. Als ich einen Hund haben wollte, bin ich nicht in eine Tierhandlung oder zu einem Züchter gegangen. Ich habe mich stattdessen an meinen Schreibtisch gesetzt und meinen Idealhund gezeichnet. Den mussten meine Mitarbeiter dann in der Wirklichkeit ausfindig machen. Man muss aufpassen, nicht zur Karikatur zu werden.

Schlafen Sie gut?
Ich schlafe von drei bis sieben. Vorher bin ich nicht müde. Da ich leider zu viel trinke, führt diese Mischung aus wenig Schlaf und viel Alkohol zu Herzproblemen.

Was machen Sie von 23 bis drei Uhr?
Ich lese. In den letzten Jahren vor allem Autoren wie Laotse.

Sie sammeln seit vierzig Jahren japanische Stellschirme aus dem 17. Jahrhundert, Tapisserien aus Tibet und Buddha-Statuen. Warum hat es Ihnen die klassische asiatische Kultur angetan?
Weil es keine andere Kunst besser versteht, Tiefe an der Oberfläche zu verstecken und Gedanken zu verdichten. Wenn in einem Haiku eine Blüte zu Boden fällt, ist das ein ekstatischer Moment von Vergehen und Trauer. Uns Westeuropäern fallen dazu nur Kehrichteimer und Schaufel ein.

Ein Haiku erzählt von einem Dichter, der in die Einsamkeit zieht. Als er zurückkommt, ist sein Haus abgebrannt. Statt zu trauern, schreibt er: Nichts verbirgt mehr den Mond.
Alles, was wir besitzen, besitzt auch uns. Deshalb hat es seinen Reiz, karg und provisorisch zu leben, um jederzeit zu neuen Ufern aufbrechen zu können. Für Sammler wie mich gibt es aber auch das Glück des Suchens und Findens. In Tokio oder Kathmandu ein seltenes Stück zu entdecken, intensiviert mein Leben in einer Form, für die ich keine Worte habe. Vielleicht ist die wichtigste Fähigkeit des Menschen, etwas schön finden zu können.

Degradiert einen die Sammelleidenschaft nicht zum Esel mit Möhre vorm Maul?
Ich kenne Sammler, die getrieben sind wie ein Heroinsüchtiger auf der Suche nach Stoff, aber die Kulturen Asiens lehren einen auch die Vergänglichkeit. Ich habe mein Haus verkauft und den größten Teil meiner Sammlung dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gegeben. Ich möchte, dass auch bei meinem Ableben für Ordnung und Perfektion gesorgt ist. Besser meine Sammlung ist im Museum zu sehen, als dass meine Erben sie auf dem Flohmarkt verhökern.

Ordnung zerfällt in der Sekunde, in der sie entsteht. Sind Ästheten strukturell unglückliche Charaktere?
Indem ich mir eine Ordnung ausdenke, setze ich Gegenstände in eine Beziehung zueinander. Glückt die Anordnung, beginnen die Gegenstände miteinander zu kommunizieren. Das lässt mich wahnsinnig glückliche Momente erleben. Die Kehrseite ist, dass ich verstimmt bin, wenn ein Gast meine Gedanken nicht erkennt. Vollkommene Ästhetik funktioniert im Grunde nur, wenn man mit sich allein ist. Das hat etwas Antisoziales. Insofern liegen Perfektionismus und Schwermut dicht beieinander.

Waren Sie schon immer so?
Ja. Als ich an der Werkkunstschule in Kassel studierte, hatte ich ein Dachzimmer über einer Schlachterei. Eines Tages klopfte der Schlachter an meine Tür, schob seine Töchter in mein Zimmer und sagte: »Entschuldigen Sie die Störung. Ich möchte meinen Töchtern nur mal zeigen, wie man ein Zimmer aufräumt.«

Bei der Vorbereitung eines Abendessens haben Sie mal zwei Stunden darauf verwandt, die Äste eines Strauches so zu beschneiden, dass exakt zum Dessert die Knospen aufbrachen und zartrosa Blütenschimmer sichtbar wurde. Ist so etwas nicht wahnsinnig anstrengend?
Nein, denn wie bereits erwähnt bin ich der Sohn eines Gärtners. Sie brauchen allerdings einen gewissen Regiewillen, um das Leben durch Inszenierung zu veredeln. Dieser Schönheitsdrang kostet Kraft, die bei mir schwindet. Ich bin alt. Meine Vorbilder, wie ich damit umzugehen habe, liegen in Asien. Dort geht man im Alter in ein Kloster und versucht, durch Introspektion und Kontemplation mit sich ins Reine zu kommen. Man betrachtet eine Blume und überlässt sich der Zeit. Der Sinn des Alters ist, Einsamkeit in Einsichten zu verwandeln, bis zum Verrücktwerden.

Der US-Modedesigner Tom Ford sagte: »Auf meiner Ranch bei Santa Fe habe ich ein Mausoleum errichten lassen mit zwei schwarzen Granitsarkophagen für meinen Freund und mich. Das Design habe ich selbst entworfen, weil es keine Särge zu kaufen gibt, die mir gefallen.« Haben Sie schon Ihren Sarg und Ihren Grabstein entworfen?
Nein. Ich empfinde es als schrecklichen Kitsch, auch nach dem Tod noch posieren zu wollen. Ich verstehe es, wenn ein Couturier gehobene Ansprüche an sein Totenhemd stellt, ansonsten aber sollte man seine Eitelkeit im Diesseits zurücklassen. Da es in meinem Leben keine Menschen gibt, die eine Blume auf ein Grab legen, möchte ich anonym beerdigt werden.

Könnten Sie jemanden lieben, der den gleichen Charakter hat wie Sie?
Nein. Mich zweimal, das wäre nicht auszuhalten.

Ein Ästhet erträgt sich nur in der Maske der Perfektion. Was empfinden Sie mit 78 Jahren beim Blick in den Spiegel?
Mit dem, was ich im Spiegel sehe, habe ich kein Problem, denn mir war schon früh klar, welche Demütigungen da auf einen zukommen. Das Traurigste am Alter hat nichts mit dem eigenen Aussehen zu tun. Es ist der Augenblick, wenn Sie das Bedürfnis haben, nachts im Arm eines Menschen zu liegen, und erkennen müssen, dass das niemand mehr will.

Fotos: Peter Rigaud