»Bunt und kitschig muss es sein«

Boris Hesse bringt die Hälfte aller Ansichtskarten heraus, die in Deutschland gekauft werden. Er erklärt, was russische von amerikanischen Touristen unterscheidet - und warum Angela Merkel auf Postkarten nicht laufen würde.

Illustration: Nishant Choksi


SZ-Magazin: Herr Hesse, eine Zeitung hat mal gelästert, manche Ihrer Postkarten seien »Grusel-Grüße«, die Motive »grauenvoll« und »veraltet«. Ein bisschen stimmt das schon, oder?

Boris Hesse: Natürlich! Das ist wie mit der Bild-Zeitung. Da sagen auch viele: Die ist furchtbar. Aber sie verkauft sich. Ich finde die Bild-Zeitung nicht überzeugend und einige unserer Karten auch nicht. Aber es ist ein Geschäft. Wenn sich allerdings eine hässliche Karte nicht verkauft, fliegt sie natürlich sofort aus dem Sortiment.

Ihr eigener Geschmack zählt nicht?
Nein.

Und wie ermitteln Sie den Geschmack der Käufer?
Wir bekommen ein Feedback von den Händlern in den Geschäften. Kürzlich rief einer an und beschwerte sich, weil wir eine Karte mit der Dresdner Frauenkirche aus dem Sortiment genommen hatten. Die war wirklich uralt, noch von vor dem Aufbau! Er meinte: Die Amerikaner wollen diese Karte, denn auf solchen Bildern werden sie mit der Geschichte konfrontiert.

Meistgelesen diese Woche:

In welchen Ländern hängen die Motive Ihres Postkartenverlags am Kühlschrank?
Auf der ganzen Welt. Allerdings nicht alles überall. An die Nordseeküste kommen zum Beispiel keine amerikanischen Touristen. Da müssen die Händler kein Porto für die USA bereithalten.

Mögen die Amerikaner die Küste nicht?
Wenn die Amis ans Meer wollen, fahren sie nach Hawaii. Ist ja auch schlauer. In Deutschland wollen sie Kultur sehen. Im Norden machen wir die Karten für Deutsche und Holländer.

Und im Rest der Republik?
Amerikaner und Japaner sind immer noch die großen Touristengruppen. Aber es ändert sich laufend etwas. Als hier noch amerikanische Soldaten stationiert waren, haben wir viel mehr Karten verkauft. Da war Kaiserslautern ein großer Postkartenumschlagplatz, weil die Armeeangehörigen oft Besuch hatten. Jetzt läuft da quasi nichts mehr. Zurzeit kommen viele russische Touristen.

An der Konjunktur der Karten lässt sich also Weltgeschichte ablesen?
Wenn Sie so wollen, ja. Gerade schwächeln die Sortimente Neuschwanstein, Rothenburg und Heidelberg, weil weniger Japaner hierher reisen. Da haben wir Fukushima sofort zu spüren bekommen. Mittlerweile hat sich das aber wieder etwas erholt.

Was haben Sie über die Vorlieben der Touristen aus verschiedenen Ländern gelernt?
Die Japaner wollen Kultur, die japanische Übersetzung des Loreleyliedes von Heinrich Heine verkauft sich am Rhein super. In Dresden wollen sie die Frauenkirche. Nach Baden-Baden kommen viele Russen, sie haben Goldverzierung gern. Sie achten auch nicht auf den Preis. Ansichtskarten fangen so bei 35 Cent an und gehen bis zu einem Euro. Russen nehmen die teuren und bezahlen dann aus dicken Bargeldbündeln. Wenn Sie Händler fragen, sagen die: Die kaufkräftigsten Nationen sind die mit dem meisten Schwarzgeld. Das wollen sie im Urlaub loswerden.

Im Vergleich: Was mögen die Amerikaner?
Für die Amis haben wir früher englischsprachige Karten gemacht, »Greetings from Heidelberg« und so. Die stellen wir immer noch in den Kartenständer. Aber nur, um auf sie aufmerksam zu machen. Die Amerikaner wollen heute, dass es auf Deutsch draufsteht. Das finden sie jetzt cooler. Ansonsten muss es bunt sein und kitschig.

Und die Deutschen? Was schicken die sich untereinander?

Leuchttürme, Seehunde, aber auch einfach das Ortsschild: schwarze Schrift auf gelbem Grund. Mein Vater hat den Job hier vor mir schon dreißig Jahre gemacht. Es hat ihn tierisch aufgeregt, dass sich diese simplen gelben Schilder plötzlich so gut verkauften. Aber der Trend flacht gerade wieder ab.

Sind solche Trends überall gleich
In Berlin ist alles anders. Das ist für uns ein Trend-Barometer. Im Moment sind da grafische Sachen in. Ohne jede Botschaft, ein bisschen wie bei Graffiti. Früher war das politischer, da stand dann: »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.« Heute ist »Fun« toll. Bei Jugendlichen ist gerade angesagt, einen Kaugummi an Sehenswürdigkeiten zu kleben und ein Foto davon auf Facebook zu posten. In Berlin sieht man das an den Resten der Mauer am Potsdamer Platz: alles voller Kaugummi.

Gibt es das dann nicht auch als Postkartenmotiv?
Wir haben darüber nachgedacht, war uns aber zu eklig.

Sie drucken also doch nicht alles?
Geografisch schon. Von Sylt bis Garmisch und von Aachen bis Zwickau. Thematisch: nichts Pornografisches, Rechtsradikales oder so, da gehen wir konform mit den Postgesetzen. Und es gibt Orte, die oft besucht werden, von denen man aber keine Ansichtskarte verschicken würde. Bergen-Belsen zum Beispiel.

Warum macht man das nicht?
Heute werden Karten geschickt, um zu sagen: »Ich denke an dich.« Das macht man an schönen Orten.

War das früher anders?
Da schickte man eine Postkarte, um zu sagen: »Ich bin angekommen.« Telefone waren in den Siebzigern und Achtzigern noch nicht so allgegenwärtig. Da hatte die Karte noch eine pragmatische Funktion. Unser Slogan war: »Lass nicht warten, schreib Schöning-Karten.«

»Facebook ist unser größter Feind.«

Der Kartenkönig Boris Hesse, 48, ist der Geschäftsführer des größten Ansichtskartenspezialisten Deutschlands: Der SchöningVerlag druckt rund die Hälfte der jährlich etwa 60 Millionen Postkarten - damit sind keine Glückwunschkarten gemeint -, die in Deutschland verkauft werden.

Wer genau kauft heute Postkarten?
Postkarten werden meistens von Frauen ab vierzig gekauft.

Haben Sie eine Ahnung, was die Leute auf die Karten schreiben?
Naturgemäß wenig. Wir sind auf die Karten angewiesen, die wir selbst bekommen. Über die Holländer wissen wir, dass die sich kurz fassen: Alles Liebe, dein Hans. Die Deutschen nutzen jeden Millimeter und schreiben an jeden was anderes, obwohl sich die Empfänger ja untereinander nie austauschen würden.

Sie prägen mit Ihren Bildern das Bild Deutschlands in der Welt.
Stimmt, und das seit fast hundert Jahren. Ohne Unterstützung von Verbänden oder Politik.

Man könnte sagen: unkontrolliert.

Ja, wir machen, was wir wollen. Aber wir wollen ein schönes Land zeigen. Wenn es um Bilder unserer Heimat geht, sind wir wahrscheinlich prägender, als unser Außenminister es je sein könnte.

Gab es ein Motiv, das überraschend ein Ladenhüter wurde?
Wellness auf Karten funktioniert gar nicht. Massagen, Sport, Wellnesshotels, aber auch Wohlfühlrezepte, das haben wir ausprobiert, das war ein Vollflop, fassen wir nie wieder an. Es gab aber auch Überraschungserfolge.

Zum Beispiel?
Eine rosafarbene Karte mit Pferden drauf. Maximal kitschig, da dachte ich: Mein Gott, wer soll die kaufen? Die läuft aber in der ganzen Republik ganz gut. Hauptsächlich greifen da Mädchen zu. Wir raten den Händlern auch, die unten im Ständer zu platzieren. In Kinderaugenhöhe.

Wie recherchieren Sie – außer über die Händler – den Geschmack der Touristen?
Wir haben 16 Mitarbeiter im Außendienst. Mit denen setze ich mich gern mal gegenüber von Sehenswürdigkeiten in ein Café und schaue, was wer kauft. Das ist sehr aufschlussreich.

Haben Sie auch Porträts von Persönlichkeiten im Angebot?
Nur den Papst eigentlich. Sowohl Benedikt XVI. wie auch jetzt Franziskus, in verschiedenen Sprachen. Die gehen vor allem in Wallfahrtsorten und zu Events wie dem Kirchentag. Oder wenn er hier auf Besuch ist.

Angela Merkel haben Sie nicht?
Na ja, unser Slogan heißt ja: »Deutschland ist schön.«

Das schließt Frau Merkel aus?
Das haben Sie jetzt gesagt. Wir haben Goethe, Schiller und Elvis. Elvis verkauft sich in Hessen immer noch ganz gut.

Ist das Internet der Feind der Postkarte?

Facebook ist unser größter Feind. Die Menschen fotografieren ihr Kind beim ersten Mal Baden im Meer, laden das hoch und zeigen so gleich dem ganzen Freundeskreis, wo sie sind. Das können wir nicht leisten.

Haben Sie sich jemals auf einer Karte selbst verewigt?
Ich mich selbst nicht. Aber mein Vater hat mich als kleinen Jungen mal am Timmendorfer Strand fotografiert und das drucken lassen. Das Bild gibt es aber nicht mehr.

Wer fotografiert für Sie?

Früher wollte niemand für uns arbeiten. Viele Profis haben sich geweigert, uns Bilder zu verkaufen. Das galt als peinlich. Wir haben dann zehn VW-Busse gekauft und Fotografen fest angestellt. Sie fuhren für uns landauf, landab. Im vergangenen Jahr ist der letzte von ihnen in Rente gegangen. Heute ist es einfacher, wir haben Profis, Amateure, Agenturen.

Bekommen Sie manchmal Beschwerdebriefe?
Ja, immer wenn was falsch ist. Schreibfehler zum Beispiel werden sofort gemeldet. Und vergangene Woche schrieb ein Berliner: »Was soll denn der Palast der Republik? Den gibt es doch nicht mehr!«

Bekommen Sie auch positive Resonanz?
Selten, da geht es uns wie allen anderen. Nur bei Abbildungen von Kurkliniken rufen Angehörige bei unserer Hotline an, die steht auf der Rückseite. Denen müssen wir erklären, dass wir sie nicht zum Hermann auf Zimmer 34 durchstellen können, zu ihrem Angehörigen also. Und einmal kam ein Anruf: »Hallo, wo ist denn jetzt diese Scheißdüne?« Der Kunde wollte exakt die Sanddüne finden, deren Foto er am Kiosk nahe der Nordsee gekauft hatte.

Die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Deutschland ist der Kölner Dom. Warum verkaufen Sie nicht so viele Karten davon?
Den dortigen Markt beherrscht ein anderer Verlag. Wir sind nicht überall Klassenbester.

Tobt hinter diesem Markt ein Krieg?
Es ist ein Wettbewerb. Und da wird auch gefoult. Heißt: Wettbewerber fragen beim Händler nach, welches Motiv am besten läuft – um es zu kopieren.

Sie waren gerade im Urlaub, richtig?
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ich verschicke auch aus meinem Urlaub Postkarten. Meine Mitarbeiter legen allergrößten Wert darauf.