Die Gewissensfrage

»Nach zwei Jahren Trennung bin ich seit einem Jahr wieder ›normal‹ mit meinem Ex befreundet – ohne jegliches erotisches Interesse. Wir verstehen uns sehr gut, er ist nach wie vor einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wenn er mich in München besucht, schläft er aus Platzmangel sogar mit mir in einem Bett. Jetzt habe ich eine neue Liebesbeziehung. Beide wissen noch nichts voneinander und ich habe ein schlechtes Gefühl. Muss mein neuer Partner den engen Kontakt zu meinem Exfreund akzeptieren? Oder sollte ich aus Respekt zum Neuen die intensive Freundschaft zu meinem Ex zurückfahren?« ULRIKE H., MÜNCHEN

Was zeichnet denn eine Liebesbeziehung, eine echte Partnerschaft aus? Sex? Kann man auch anders bekommen, sogar gegen Geld. Gefühle? Gibt es viele, der eine liebt sein Land, der andere seine Frau. Zeit, die man zusammen verbringt? Wer Paare auseinander bringen will, steckt sie im Urlaub bei strömendem Regen in ein Hotelzimmer. Gemeinsamkeiten? Am meisten gemeinsam habe ich mit mir und ich wäre der letzte Mensch, mit dem ich eine Beziehung wollte. Gegenseitiges Vertrauen? Da wird’s schon heißer. Andererseits habe ich einmal den klugen Satz gehört, das Fehlen jeglicher Eifersucht sei der Tod jeder Beziehung. Alle diese Faktoren spielen mit hinein, sind mal wichtiger, mal weniger wichtig. Eines aber stellt für mich den Dreh- und Angelpunkt dar: das unbedingte wechselseitige Zueinanderstehen. Erst mit ihm kann man von Liebe sprechen. Wie die Liebe muss es vielleicht mit der Zeit wachsen, jedoch von Anfang an angelegt sein. Dabei meine ich das »unbedingt« sehr wörtlich, also unbedingt, ohne Bedingung, ohne möglicherweise geheimen Vorbehalt. Genau da aber verorte ich Ihr Problem: Sie haben so einen Vorbehalt, wenn Sie mit Ihrem früheren Freund derart vertraut sind, dass Sie es Ihrem neuen Partner nicht einmal zu sagen wagen. Und ganz so abgeklärt, wie Sie behaupten, kann auch das Verhältnis mit dem Ex nicht sein, wenn Sie zögern, ihm von Ihrer neuen Liebe zu berichten. Natürlich können Sie weiterhin Kontakt mit Ihrem Ex haben. Sie sollen Ihr bisheriges Leben nicht aufgeben oder verleugnen. Nur: So wie Sie es beschreiben, wollen Sie Bereiche in Ihrem Herzen exklusiv für den Verflossenen reservieren. Das aber geht nur im Rahmen der Erinnerung. Die Liebe, die war, kann immer noch sein, aber als etwas, was war, und nicht als etwas, was ist. Sonst belügen Sie sich und die beiden anderen. Apropos belügen: Dass Sie das alles ohnehin offen legen müssen, brauche ich doch nicht extra zu erwähnen?