Bei dem angesprochenen Millionärsquiz handelt es sich um eines dieser derzeit so beliebten Bildungsratespiele. Wenn Ihr Neffe da gewonnen hat, kennt er sicher die Lehre des Ptahhotep, entstanden etwa 2350 v. Chr., in der man folgende Zeilen findet: »Gib deinen Freunden ab von dem, was dir zuteil geworden ist, es ist ja nur gekommen durch Gottes Gnade. … Sei nicht schäbig gegen deine Freunde, sie sind ein fruchtbarer Acker für einen Mann, den er bewässern soll,sie sind wichtiger für ihn als seine Schätze.«Und nun wundern Sie sich, dass der Wissenspilz das womöglich rezitieren könnte, aber innerfamiliär nicht so umsetzt, wie Sie sich das vorstellen. Zwischen Ihren Zeilen lugt das »schäbig« des ägyptischen Wesirs ein wenig hervor, ohne wirklich herauszukommen. Das sollte es auch hübsch bleiben lassen, denn Ihr Neffe hat sich eher vorbildlich verhalten. Sicherlich ist die Erwartung einer gemeinsamen Feier gerechtfertigt. Wenn in einer Familie etwas Schönes eintritt, sollten sich alle freuen – auch zusammen. Das war bei Ihnen der Fall. Sie haben gratuliert und sich, vielleicht aus anderem Anlass, mit der Familie getroffen. Gemeinsame Freude braucht jedoch keine Gratisrunde. Auch Ihnen geht es ja wahrscheinlich weniger um das Glas Alkohol, als um das Zeichen. Ihr Neffe hätte die Korken knallen lassen können, aber er musste es nicht tun; es ist seine Entscheidung, Sie haben keinen Anspruch erworben. Offenbar liegt ihm mehr am Konkreten denn am Symbolischen: Er hat bemerkenswerterweise von seinem überraschenden Geldsegen großzügig abgegeben; ganz wie Ptahhotep empfiehlt. Woran man übrigens wieder einmal erkennt, welche Segnungen Bildung im Allgemeinen und die Kenntnis altägyptischer Weisheiten im Speziellen entfalten kann.
Die Gewissensfrage
»Mein 24-jähriger Neffe hat bei Günther Jauchs Millionärsquiz eine erkleckliche Summe gewonnen. Unsere Familie hat natürlich großen Anteil genommen, die Daumen gedrückt, gratuliert. Jetzt hatten wir ein kleines Familientreffen, wo wir dachten, dass er mit einer Flasche Champagner oder einer Runde im Lokal mit uns seinen Gewinn feiern würde. Das ist nicht geschehen und wir sind ein wenig enttäuscht. Dabei denkt mein Neffe durchaus an andere. Er hat zehn Prozent des Gewinns gespendet und Freunde zu einer Reise eingeladen. War unsere Hoffnung auf eine gemeinsame Feier gerechtfertigt?« JÜRGEN R., BERLIN