Die Gewissensfrage

»Ich habe bewusst keinen Organspenderausweis, da ich mich nicht in der Lage fühle, mich mit dem Gedanken an meinen eigenen Tod bzw. einen schweren Unfall auseinander zu setzen. Da ich aber andererseits Realist bin, weiß ich, dass ich selber einmal auf ein Spenderorgan angewiesen sein könnte. Muss ich angesichts dieser Tatsache ein schlechtes Gewissen haben oder ist nicht das gesamte Thema Leben und Tod derart privat, dass es sich einer moralischen Bewertung entzieht?« JAN K., SALZGITTER

Mit Ihrem Zwiespalt stehen Sie nicht allein. Laut Umfragen wären etwa 70 Prozent der Bevölkerung bereit, im Todesfall ein Organ zu spenden, jedoch besitzen nur etwa zehn Prozent einen Spenderausweis. Ist dieses Auseinanderklaffen bedenklich oder Privatsache? Ich meine, es ist bedenklich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in Deutschland mehr als 10000 Menschen auf ein Spenderorgan warten und Verbänden zufolge jeden Tag drei Menschen sterben, weil sie keines bekommen. Vergleicht man das Opfer, nach seinem Tode Teile seines Körpers zu geben, mit der Möglichkeit, dadurch ein Leben zu retten, spricht meiner Meinung nach moralisch sehr viel dafür, dies auch zu tun, und demnach auch dafür, sich bereits zu Lebzeiten damit zu beschäftigen. Selbstverständlich kann niemandem vorgeworfen werden, Organverpflanzungen abzulehnen, sei es aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen, sei es aus Sorge vor Missbrauch. Bedenken, die ich zwar nicht teile, aber dennoch respektiere. Probleme habe ich allerdings, wenn ich in einer Umfrage lese, dass 98 Prozent der Befragten im Krankheitsfall ein Spenderorgan bekommen wollen, nur 67 Prozent jedoch als Spender zur Verfügung stehen. Das knappe Drittel, das hier je nach eigenem Vorteil in eine andere Richtung entscheidet, sollte eines beachten: Moral ist keine Einbahnstraße und Grundsätze haben, wollen sie achtenswert sein, keine Vorder- und Rückseite.Zu guter Letzt spricht noch etwas gegen Ihr Verdrängen: Das daraus folgende Schweigen würde in Österreich oder Belgien, wo die so genannte Widerspruchsregelung gilt, als automatische Zustimmung zur Organentnahme verstanden werden. Bei uns ist das anders: Nach der hiesigen erweiterten Zustimmungsregelung müssten Ihre nächsten Angehörigen im Falle Ihres Todes über eine Organentnahme entscheiden. Allein schon um den Verwandten das zu ersparen, darf man einer Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht ausweichen.