Der Reihe nach: Zweifellos haben Sie, was den Umgang mit der Natur angeht, moralisch einen Vorsprung. Ohne Ressourcenverbrauch ausschließlich mit dem Fahrrad zu fahren ist eine wunderbare Sache. Und zu einem überdimensionierten und deshalb vielleicht besonders spritfressenden Auto ist der Kontrast noch größer.Auf der anderen Seite steht ein hilfebedürftiger Mensch, den Sie ohne großen Einsatz aus seiner Notlage befreien können. Das zu tun ist im Prinzip geboten, solange nicht gewichtige Gründe etwas anderes fordern. Hier könnten das sein: Grundsatzerwägungen, der arrogante Ton und die zu erteilende Lektion.Erstens die Grundsatzerwägung: Natürlich kann niemand von Ihnen verlangen, dass Sie den Betrieb eines Ihnen so verhassten Autos fördern. Aber auch wenn Sie buchstäblich Vorschub leisten, scheint mir Ihr Beitrag hier vergleichsweise klein zu sein. Er besteht zudem aus umweltfreundlicher Muskelkraft und Sie spendieren der Fahrerin keine Tankfüllung. Zweitens der arrogante Ton: Solange er vorherrscht, kann die Not nicht wirklich groß sein. Wahre Not lässt keinen Raum für Arroganz. Wäre das Ihr Hauptbeweggrund, nicht zu helfen, käme man ins Grübeln. Sie aber treibt das Dritte: Sie wollen eine »Lektion« erteilen. Das mochte ich schon im Lateinunterricht nicht und außerhalb davon halte ich es für etwas noch Grässlicheres. Wer damit anfängt, muss es anderen von ihrer Meinung Überzeugten auch gestatten. Darf man also dem störenden Raucher Wasser ins Gesicht schütten oder den verkehrswidrig strampelnden Radfahrer absichtlich umfahren? Ich finde nicht.Deshalb: Richtiges eigenes Verhalten, ja. Hilfssheriff-Mentalität, nein danke!
Die Gewissensfrage
»Ich lebe aufgrund meiner Erziehung äußerst umweltbewusst und verzichte nicht nur aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern auch aus Überzeugung auf ein Auto. Eines kalten verschneiten Abends – ich war trotzdem mit dem Fahrrad unterwegs – bat mich die junge Besitzerin eines Luxusautomobils in etwas arrogantem Ton, ihr zu helfen, das feststeckende Fahrzeug aus einer Schneewehe zu schieben. Hätte ich unter Hinweis auf die Rücksichtslosigkeit gegenüber Umwelt und armen Menschen, die zum Betrieb eines überdimensionierten Autos gehört, die Unterstützung verweigern und der Dame so eine anschauliche moralische Lektion erteilen dürfen?« KARL K., BERCHTESGADEN