Ihre Überlegungen erinnern an zwei heiß diskutierte Themen: an den Kopftuchstreit – ob muslimische Schülerinnen oder Lehrerinnen in staatlichen Schulen Kopftücher tragen dürfen – und die Querelen um die Mohammed-Karikaturen. Auch dabei ging es um die Frage, wie viel Rücksicht man in einem liberalen Land auf andere Wertvorstellungen in ethni-schen und religiösen Gruppen nehmen muss – im Widerstreit mit persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit.
Allerdings würde ich bei diesen beiden Themen zögern, so bestimmt wie hier zu sagen: Nein, Sie hätten nicht mehr Rücksicht nehmen müssen! Ich sehe nämlich einen großen Unterschied; etwas, was ich mit »Wertbezogenheit« der Handlung bezeichnen möchte. Wer einer Frau das religiös gebotene Tragen ihres Kopftuchs verbietet, greift dabei in deren Religiosität ein, Entsprechendes unternimmt, wer den Propheten Mohammed in dessen Eigenschaft als Religionsstifter karikiert. Was keinesfalls ausschließt, dass dies durch andere Werte wie Meinungsfreiheit und die religiöse Neutralität des Staates erlaubt oder gar geboten sein kann. Nur liegen in diesen Fällen wegen der Religionsfreiheit die Anforderungen an eine Rechtfertigung höher. Bei Ihnen hingegen stehen Sie und Ihre Freizügigkeit im Mittelpunkt. Alle anderen sind Zuseher. Mancher mag sich dabei in seinen Werten beeinträchtigt fühlen, aber dazu muss derjenige Ihnen seine Maßstäbe überstülpen. Er mag Sie in der Hölle der Lästerlichkeit enden sehen, doch das ist Ihre Sache, vielleicht haben Sie’s gern warm; für sein eigenes Seelenheil reicht es aus, den Kopf wegzudrehen. Darüber hinaus stellen die persönliche und sexuelle Freiheit, besonders die der Frau, echte Errungenschaften unserer Gesellschaft dar, auf die Sie sich berufen und die Sie ruhig verteidigen dürfen.
Illustration: Jens Bonnke