Für gewöhnlich bin ich ja ein Gegner von allgemeinen Handlungsanweisungen oder gar Checklisten in Moralfragen. Vielmehr vertrete ich die Auffassung, dass man sich an Grundsätzen orientieren und daraus das richtige Handeln im Einzelfall ableiten soll. Hier komme ich allerdings ins Zweifeln. Es scheint mir ein Muster erkennbar, für das es tatsächlich so etwas wie eine feste Regel gibt: erst mit, dann über. Bevor man über jemanden spricht oder sich beschwert, sollte man mit demjenigen sprechen. Ausnahmen gelten bei der Entdeckung von organisierter Kriminalität, Kinderpornografie, Menschenhandel oder ähnlich schwerwiegenden Vergehen.
Hier liegt keiner dieser Fälle vor, deshalb sollten Sie zunächst versuchen, das Problem mit Ihrem netten Dozenten zu klären. Doch wenn das direkte
Gespräch nicht fruchtet, halte ich Sie für berechtigt, das der Agentur für Arbeit mitzuteilen; mehr noch: Wenn der Kurs wirklich schlecht war, sehe ich Sie fast schon dazu verpflichtet. Darin steckt nämlich ein zweites Problem, das musterhaft immer dann auftritt, wenn derjenige, der etwas veranlasst und bezahlt, nicht derjenige ist, der davon profitiert. Die Lücke, die sich durch dieses Auseinanderfallen von Nutzen und Lasten auftut, muss man durch Überlegungen schließen: Was wäre, wenn Sie für die Schulung aus eigener Tasche aufkommen müssten? Hätten Sie dann immer noch Sorge, Verrat zu begehen? Oder würden Sie durch Beschwerden an höherer Stelle für Abhilfe sorgen? Wenn nicht gar einen Teil des Geldes zu-rückverlangen? Warum sollte es dann anders sein, wenn die Arbeitsagentur bezahlt? Noch dazu verrate ich Ihnen etwas: Sie bezahlen den Kurs selbst. Durch Ihre früheren Beiträge, Ihre künftigen, wenn Sie wieder arbeiten, oder durch Ihre Steuern über den Bundeszuschuss zur Arbeitslosenversicherung. Sich das klar zu machen ändert zwar moralisch nicht viel, aber praktisch sehr wohl.
Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Str. 8, 81677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.
Marc Herold (Illustration)