»Wir haben unserem Sohn und seiner Frau mehrmals Geschenke gemacht, die einen gewissen Wert hatten und auch objektiv als geschmackvoll einzustufen sind. Damit war immer auch ein bisschen Herzblut verbunden. Zwischenzeitlich sind die Geschenke in den Keller gewandert. Ich weiß um die Problematik von Geschenken, vor allem, dass diese dem Beschenkten gehören - und kann dennoch eine gewisse Verletztheit nicht leugnen. Soll man um des lieben Friedens willen besser schweigen und den Ärger schlucken? Oder wäre es nicht besser, die Beschenkten darauf anzusprechen und die Rückgabe der Geschenke vorzuschlagen?«
Gertrud B., Kassel
Es überrascht, wie oft Geschenke - eigentlich doch etwas rein Positives - hier in den Zuschriften auftauchen, also zu moralischen Problemen führen. Einen Teil davon kann man meines Erachtens lösen, indem man sich einen Denkanstoß bei der rechtlichen Definition einer Schenkung holt: die Zuwendung ohne Gegenleistung. Denn genau an diesem Punkt scheint es mir in vielen Fällen zu kranken: Das Geschenk wird in irgendeiner Art und Weise mit einer Gegenleistung verknüpft. Sei es, dass der Schenkende etwas erwartet. Oder dass der Beschenkte sich zu etwas verpflichtet fühlen soll. So etwa hier, ganz typisch für das Verschenken von dekorativen Gegenständen: Oberflächlich betrachtet schenken Sie zwar etwas, erwarten aber als Gegenleistung ein bestimmtes Verhalten der Beschenkten, die den Gegenstand benutzen oder ausstellen sollen. Das Geschenk ist in Wirklichkeit ein Trojanisches Pferd Ihres eigenen Geschmacks, mit dem Sie die Gestaltungshoheit Ihres Sohnes in seiner Wohnung schleifen wollen: Er soll sich so einrichten, wie es Ihnen gefällt.
Ein echtes Geschenk hingegen erwartet das nicht. Mit einem echten Geschenk kann der Beschenkte machen, was er will, ohne dass der Schenkende sich dadurch gekränkt fühlt. Wer das nicht aushält, sollte nichts verschenken, auf gar keinen Fall etwas Dekoratives.
Was ist mit der Dankbarkeit?, mögen Sie nun fragen. Ja, in der Tat sollte man für ein Geschenk dankbar sein. Aber dankbar ist bereits, wer sich der Zuwendung des Schenkenden bewusst ist und diese Leistung innerlich anerkennt. Diese Anerkennung kann sich in einem bestimmten Verhalten ausdrücken; ein derartiges Verhalten zu fordern schmälert jedoch die gesamte Schenkung.
Das Schenken soll Freude bereiten, deshalb sollte man es entkrampfen. Natürlich können Sie die Rückgabe der Gegenstände vorschlagen. Wahrscheinlich sind Ihr Sohn und seine Frau sogar froh, weil der Keller leer wird. Zu den Auseinandersetzungen, die Sie erwarten, wird es vermutlich nur kommen, wenn Sie die Bitte um Rückgabe
mit Vorwürfen verbinden. Das müssen Sie aber nicht tun, haben nicht einmal Grund dazu, wenn Sie sich das Wesen des Schenkens klarmachen.
Und am allerbesten ist es, bei Herzblutgeschenken die ehrlich gemeinte Rückgabemöglichkeit von Anfang an explizit mitzuschenken.
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Quellen:
Grundsätzlich zum Geschenk aus soziologischer Sicht: Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1968.
Zur Dankbarkeit als Tugend: André Comte Sponville, Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben. Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998, Kapitel 10, Die Dankbarkeit, S. 157ff.
Illustration: Marc Herold