Wer entschuldigt eigentlich?

Entschuldigung – das Wort ist schnell dahingesagt, aber seine Bedeutung ist nicht so eindeutig, wie man denken mag. Kann man sich überhaupt selbst entschuldigen? Oder muss man um Entschuldigung bitten?


»Ich hätte eine Frage: Kann ich mich entschuldigen? Oder muss ich um Entschuldigung bitten? Immer wieder liest oder hört man, dass sich jemand öffentlich entschuldigt, seien es Politiker oder Firmenchefs. Ich bin aber der vielleicht altmodischen Meinung, dass man das nicht selber tun kann. Was meinen Sie?« Michael G., Freising

Normalerweise bin ich dafür, Sprache so zu verwenden, wie sie allgemein verwendet und verstanden wird, und nicht zu sehr an Herkunft oder Wortlaut zu kleben. In diesem Fall ist das jedoch schwierig.

Der Duden nennt als Bedeutung für »entschuldigen« unter anderem: »jemanden wegen eines falschen Verhaltens o. Ä. um Verständnis, Nachsicht, Verzeihung bitten«. Dem Sprachgebrauch zufolge bedeutet »sich entschuldigen« also zumindest auch, darum zu bitten, und wäre damit korrekt. Nur verleitet dieser Sprachgebrauch zu sehr zur Auffassung, mit dem Aussprechen wäre alles erledigt: »Was wollen Sie denn, ich habe mich doch entschuldigt!« Deshalb plädiere ich aus inhaltlichen Gründen dafür, zumindest wenn es um einen selbst geht, auch sprachlich die Bitte um Entschuldigung beizubehalten.

Meistgelesen diese Woche:

Moralphilosophisch unterscheidet man zwischen göttlicher Vergebung und zwischenmenschlicher Verzeihung. Eine Bitte um Vergebung wäre daher gegenüber der Öffentlichkeit oder anderen Menschen fehl am Platze; leider gilt das aber auch für eine Bitte um Verzeihung, weil dieser Ausdruck zum einen heute leicht veraltet, zum anderen für kleinere Verstöße reserviert ist: »Bitte verzeihen Sie mir meine unpassende Kleidung.«

Es bleibt also nur die Bitte um »Entschuldigung«, wenngleich auch diese vom Wortlaut her problematisch scheint, denn ent-schuldigen, also von der sittlichen Schuld befreien, die man auf sich geladen, weil man schuldhaft etwas falsch gemacht hat, kann man weder sich selbst, noch kann es ein anderer. Inhaltlich stellt also die Bitte um Entschuldigung im Grunde eine Bitte um Verzeihung dar, womit die Bitte um Wiederherstellung des sozialen Gefüges, Nachsicht und den Verzicht auf Rache und Vergeltung gemeint ist. Daneben kann man ausdrücken, dass man das, was man falsch gemacht hat, bedauert: Es tut mir leid.

Literatur:

C. Bossmeyer, T. Trappe, Verzeihen, Vergeben, in: Joachim Ritter, Karfried Gründer, Gottfried Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Schwabe Verlag, Basel, Band 11, 2001, Spalten 1020 – 1026

R. Glei, M. Ritter, M. Laarmann, J. Köhler, A. Köpcke-Duttler/Red., Schuld, in: Joachim Ritter, Karfried Gründer, Gottfried Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Schwabe Verlag, Basel, Band 8, 1992, Spalten 1442 – 1472

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, verzeihen, Band 25, Spalte 2512 – 2549, insebsondere: 2527ff.

Hermann Lübbe, ‚Ich entschuldige mich’. Das neue politische Bußritual, Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin, 2003

Vladimir Jankélévitch, Verzeihen? in: ders., Das Verzeihen. Essays zur Moral und Kulturphilosophie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2004, S. 243-282, insbesondere: „Hat man uns um Verzeihung gebeten?“, S. 268ff.

Karl Jaspers Die Schuldfrage: Von der politischen Hoffnung Deutschlands

Das Englische hat diese Problematik nicht, weil es zwei unterschiedliche Wörter bereithält:
„Um Entschuldigung bitten“ bzw. umgangssprachlich „sich entschuldigen“: to apologize entschuldigen (transitiv, jemanden oder etwas): to excuse

Interessant sind in diesem Zusammenhang der Wortlaut der Entschuldigungen von führenden VW-Managern in den USA und UK und die Berichterstattung darüber, insbesondere auch der Unterschied zwischen Überschrift/Schlagzeile und Text, der zeigt, dass der Ausdruck „sich entschuldigen“ in der Schlagzeile, dann vermutlich aus Gründen der Kürze oder leichteren Lesbarkeit gewählt wird, während im Text selbst die korrekte Formulierung zu finden ist, die allerdings beim englischen Ausdruck „to offer an apology“ schwierig ist, weil man eine Entschuldigung im Deutschen streng genommen nicht anbieten kann:

Head of VW cars in the UK Paul Willis vor dem UK Parliament’s Transport Committee: First of all I would like to apologize sencerely and unreservedly (Danny Hakim, Volkswagen Says Diesel Repairs Will Vary in Europe and U.S., The New York Times, 12.10.2015, hier online abrufbar

Überschrift Spiegel online vom 13.10.2015: „VW-Abgasaffäre: Britischer Volkswagen-Chef entschuldigt sich für Manipulation“
Im Text:
„Volkswagens Großbritannien-Chef hat im britischen Unterhaus "ehrlich und uneingeschränkt" für die Manipulationen bei Abgaswerten um Verzeihung gebeten.“, hier online abrufbar

Michael Horn, president and CEO of Volkswagen Group of America vor dem US Congress:
I would like to offer a sencere apology

Überschrift Süddeutsche.de am 7.10.2015 (direkt aus dpa-Newskanal): „US-Chef von VW entschuldigt sich vor Kongress“
Im Text:
„Der US-Chef des deutschen Autobauers Volkswagen, Michael Horn, will im Skandal um manipulierte Abgaswerte Abbitte vor dem US-Kongress leisten. "Im Namen unseres ganzen Unternehmens und meiner Kollegen in Deutschland möchte ich eine aufrichtige Entschuldigung anbieten", heißt es in einer vorab veröffentlichten Stellungnahme Horns für eine Anhörung vor US-Politikern.“, hier online abrufbar 

Illustration: Serge Bloch