»Ich bekam eine Antwort, die völliger Müll war«

Die zehnjährige Skye Neville aus Wales war genervt vom Plastikramsch, der Kinderzeitschriften beiliegt. Also startete sie eine Kampagne dagegen – und erreichte trotz einiger Widerstände in kurzer Zeit Erstaunliches.

Skye Neville, 10, aus dem walisischen Fairbourne mit einer britischen Kinderzeitschrift – und einer Auswahl des Plastikspielzeugs, das solchen Magazinen beiliegt.

Foto: Hanna Neville

Manche Kampagnen brauchen Jahre und Zigtausende von Mitstreitern, bevor sie erfolgreich sind. Skye Neville, eine zehnjährige Schülerin aus Wales, schaffte dagegen in wenigen Monaten, was anderen in Jahren nicht gelingt: Sie errang einen Teilsieg im Kampf gegen überflüssiges Plastik. Sie liest nämlich gerne Kinderzeitschriften und hat mehrere abonniert, ärgerte sich aber über die billigen Plastikspielzeuge, die ihren Lieblingsmagazinen beiliegen. (In Deutschland ist das bei etlichen Kinderzeitschriften übrigens genauso.) Ihr Brief an die Verleger im November 2020 brachte eine Bewegung ins Rollen, die nun Tausende von Kindern, Supermarkt-Manager, Politiker und sogar das walisische Parlament beschäftigt. Ein Zoom-Gespräch mit Skye Neville und ihrem Vater Dave Neville im walisischen Fairbourne.

Skye, Du hast mehrere Kinderzeitschriften abonniert. Wann wurde Dir klar, dass die beigelegten Plastikspielzeuge ein Problem sind?
Skye Neville: (Sie hält mehrere in Plastik verpackte Zeitschriften in die Kamera.) Manche kommen in Plastik eingeschweißt, manche sogar in mehrfachen Plastikhüllen und einige mit kostenlos beigelegten Geschenken, zum Beispiel  diesem handtellergroßen roten Plastikfrosch, der einfach eklig ist. Das machen mehrere Magazine, aber das Comic-Magazin Horrible Histories ist am Schlimmsten. Das wird von der BBC lizensiert. Ich könnte es natürlich einfach abbestellen, aber ich lese es ja gerne, also schrieb ich an den Verleger, warum denn immer noch Plastikramsch beiliegt, das ist doch total von gestern.

Wie hat der Verlag reagiert?
Ich bekam eine Antwort, die einfach völliger Müll war. Sie sorgten sich sehr um die Umwelt, aber die Kinder liebten nun Mal die Plastikspielzeuge und sie könnten ja auch mehr als einmal damit spielen, bla bla. Die wollten mich nur abwimmeln. Daraufhin habe ich Ende Januar eine Online-Petition gestartet, bei der bis jetzt schon mehr als 7000 Leute mitmachen. Die Lokalnachrichten haben berichtet, die BBC hat mich interviewt, und das Interview hat wiederum ein Manager der Supermarktkette Waitrose gehört. Am nächsten Tag ging er in seinen Supermarkt und ihm fiel auf, wie schlimm das Problem war. Er war vorher jahrelang an den Zeitschriftenregalen vorbeigelaufen, aber es war ihm nie bewusst gewesen. Zehn Tage später gab Waitrose bekannt, dass sie diese Zeitschriften mit Plastikmüll nicht mehr verkaufen werden. Sie gaben den Verlegern acht Wochen, ihre Praxis zu ändern. Waitrose ist mit 340 Läden die viertgrößte Supermarktkette in Großbritannien, das ist also ziemlich gigantisch.

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Ist das Problem damit gelöst? Fastfood-Ketten wie Burger King und McDonald’s haben ja auch auf Druck ihrer jungen Kunden das kostenlose Verteilen von Plastikspielzeug abgeschafft.
Nachdem Waitrose diese Pressemitteilung rausgegeben hatte, drehten alle durch. Die Medien berichteten, und manche machten Umfragen. Da stellte sich heraus, dass 80 Prozent der Kinder gegen die Plastikbeigaben sind und nur 20 Prozent dafür. Die Verleger sind inzwischen sehr still geworden, haben sich aber nach wie vor nicht dazu bekannt, dass sie das ändern werden und diesen Schrott nicht mehr beilegen. Dabei habe ich ihnen mehrere Optionen aufgezeigt, zum Beispiel, dass sie das Magazin in einen Papierumschlag oder eine Hülle aus Kartoffelstärke stecken könnten. In dieser Zeit noch Plastikzeugs rauszuschicken, ist fast unentschuldbar.

»Wir leben nur etwa 100 Meter vom Meer entfernt. Am Wochenende gehen wir oft ans Meer, um Plastikmüll einzusammeln«

Was machst Du mit all dem Plastikspielzeug?
Ich behalte es, weil ich den Leuten zeigen will, was das für ein Haufen ist. Aber die meisten Empfänger werden das Zeug weggschmeißen. Der Verleger sagt, dass die Sachen recyclebar sind, aber schau mal, dieser Schlüsselring zum Beispiel hat Metall im Plastik, das müsste man erst mühsam rausfieseln, damit es überhaupt recyclebar ist, das macht doch kein Mensch.

Dave, Sie sind nicht nur Skyes Vater, sondern auch der Postbote im walisischen Fairbourne. Das heisst, Sie tragen all die Plastikprodukte aus, oder?
Dave Neville: Ich bringe auch unsere eigene Post und habe im November dieses mehrfach in Plastik verpackte Magazin nach Hause gebracht, wo Skye sagte: Jetzt reicht es aber. Bis ich meine Runde fertig hatte, hatte Skye schon den ersten Brief geschrieben und gesagt, so, der kann jetzt rausgehen.

Skye, woher kommt es, dass Du Dich mit zehn Jahren überhaupt so sehr für Plastikverschwendung interessierst?
Skye Neville: Wir leben nur etwa 100 Meter vom Meer entfernt. Am Wochenende gehen wir oft ans Meer, um Plastikmüll einzusammeln.
Dave Neville: Unser kleines walisisches Dorf Fairbourne mit vielleicht 400 Häusern ist im wesentlichen auf einem Überschwemmungsgebiet gebaut worden und wird oft in den Medien als das Dorf genannt, das als erstes britisches Dorf zu den Klimawandelopfern gehören wird. Die Regierung hat angekündigt, es 20 Jahre lang gegen den Meeresspiegelanstieg zu verteidigen, aber dann nicht mehr.

Das heißt, Sie wissen jetzt schon, dass Ihr Zuhause zu Ihren Lebzeiten überschwemmt werden wird?
Dave Neville: Viele Leute werden vorher schon wegziehen. Unser Haus liegt am Ortsrand, das ist nicht direkt betroffen, aber meine Postbotenroute wird es dann nicht mehr geben.
Skye Neville: Das hat mein Interesse am Klimawandel geweckt, aber viel mehr noch hat es damit zu tun, dass ich eine Zukunft haben will. Ich will nicht in einem Meer aus Plastik leben. Und ich bin ein Fan von Greta Thunberg.

Inzwischen hast Du sogar das Parlament auf Deiner Seite. Das walisische Parlament hat Dich namentlich als Vorbild genannt.
Ich habe meine Abgeordnete angeschrieben, die mein Anliegen im Parlament eingebracht hat. Die Politiker unterstützen mich, weil sie Wales zum Vorbild beim Vermeiden von Plastikmüll machen wollen. In dieser Legislaturperiode haben sie das Verbot von bestimmten Einweg-Plastikprodukten beschlossen und in der nächsten wollen sie die Zeitschriftenverpackungen und Plastikbeilagen angehen.

Was sind für Dich die nächsten Schritte?
Ich arbeite jetzt mit mehreren Umwelt-Organisationen zusammen, zum Beispiel Kids Against Plastic, Surfers Against Sewage, und den Wastebusters, einer Organisation, die vor allem Kinder anspricht, sich für nachhaltige Lösungen einzusetzen. Als nächstes will ich alle Schulen in Wales anschreiben, um Aufmerksamkeit zu schaffen und damit sie Plastik besser recyclen. Gerade schreibe ich einen Brief an Boris Johnson; der geht morgen raus.

Was willst Du von Boris Johnson?
Der könnte die kostenlosen Plastikbeilagen einfach verbieten. Die Regierung sagt zwar, dass sie für die Umwelt ist, aber gleichzeitig genehmigen sie neue Kohleminen und andere Dinge, die der Umwelt schaden. Das tolle ist, dass ich mit Kids Against Plastics nun eine ganze Gemeinschaft habe. Es schreibe nicht nur ich, sondern ich habe jetzt 1000 Kinder, die meinen Brief nur ausdrucken und unterschreiben müssen. Es ist viel leichter, sich Gehör zu verschaffen, wenn jemand Briefe von Tausend Kindern bekommt.

Gibt es etwas, das Dich überrascht hat?
Dass den Verlagen das Problem einfach egal ist. Aber am meisten überrascht mich, dass mich so viele unterstützen und ich live im Fernsehen auftrete. Damit habe ich nicht gerechnet. Das zeigt, dass der einzelne doch etwas bewirken kann.