Unter den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die derzeit auf der ganzen Welt nach Therapien für Covid-19 forschen, sticht eine junge Texanerin heraus: Die 14 Jahre alte Anika Chebrolu aus dem bei Dallas gelegenen Ort Frisco hat ein Molekül identifiziert, mit dem das Coronovirus an der Verbreitung gehindert wird. Sie hat mit dem Virus-Stopper gerade den wichtigsten amerikanischen Preis für Nachwuchswissenschaftler gewonnen und hofft, dass ihre Entdeckung zu einer potenziellen Therapie führt.
SZ-Magazin: Jennifer Lopez hat gerade das Video geteilt, in dem du deine Entdeckung vorstellst!
Anika Chebrolu: Ja, das war sehr aufregend. Ich mag JLo gerne.
Worin genau besteht deine bahnbrechende Entdeckung?
Ich habe ein Molekül entdeckt, das als potenziell antivirales Mittel gegen SARS-CoV-2 eingesetzt werden kann. Das Molekül habe ich aus etwa 698 Millionen Komponenten identifiziert. Es bindet sich an das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus. Durch die Bindung verändert es die Form des Proteins, und damit kann das Protein nicht mehr richtig funktionieren. Das Spike-Protein würde normalerweise in Gastzellen eindringen, und durch das Bindemolekül wäre das Virus nicht mehr in der Lage, in Zellen einzudringen und sie zu infizieren.
Nun hast du deine Forschung schon letzten Sommer begonnen, bevor irgendjemand wusste, dass uns eine Pandemie bevorsteht. Was hat dein Interesse ausgelöst, Coronaviren zu erforschen?
Vor einigen Jahren habe ich für ein Schulprojekt die Spanische Grippe von 1918 recherchiert. Die unglaublich schlimme Sterberate auf der ganzen Welt hat mich interessiert, damals und auch heute. Trotz all der Forschung sterben allein in den USA jedes Jahr etwa 60.000 Menschen an der Grippe, also wollte ich wissen, was man dagegen tun kann, vor allem, wie man die Sterblichkeitsrate senken kann. Ich finde das eine ungemein interessante Welt, die Viren, Pandemien, die Entdeckung von Medikamenten. Nach einer etwas ausführlicheren Recherche erfuhr ich von In-silico-Methoden zur Medikamentenerforschung.
Vereinfach ausgedrückt heißt in silico, dass deine Forschung am Computer stattfindet.
Ich war erstaunt, wie man mit Computerunterstützung potenzielle Mittel gegen Viren und Krankheiten identifizieren kann. Die Methode ist um vieles billiger und effizienter als Laborforschung. Da habe ich mich dann reingestürzt und beschlossen, mit dieser Methode ein potenziell antivirales Mittel gegen die Influenza zu finden. Ich war gerade dabei, das Projekt fertig zu stellen, und suchte nach Partnern, um meine Moleküle weiterzuentwickeln, als die Pandemie kam. Es ist verrückt, sowas selbst zu durchleben. Nachdem ich schon soviel Zeit in die Recherche gesteckt hatte, beschloss ich sofort, sie auf Covid-19 anzuwenden. Damit wurde ich Finalistin im 3M Young Scientist Challenge. Mit Hilfe meines Mentors, Dr. Mahfuza Ali, konnte ich mein Molekül auf das SARS-CoV-2-Virus ansetzen, denn das hat in diesem Jahr wesentlich mehr Schaden in der Welt angerichtet als das Influenza-Virus.
»Meine Forschung wird vielleicht nur ein Tropfen im Ozean sein, aber all diese Erkenntnisse tragen zur Lösung bei«
Wann wurde dir klar, dass wir mit Covid-19 eine massive Pandemie am Hals haben?
Am Anfang dachte ich nicht, dass es so schlimm werden würde. Als nach einigen Wochen die Sterberaten stiegen, wurde mir klar, dass wir definitiv eine effektive Therapie brauchen und wir uns auf antivirale Mittel konzentrieren müssen. Meine Forschung wird vielleicht nur ein Tropfen im Ozean sein, aber all diese Erkenntnisse tragen zur Lösung bei.
Wer unterstützt dich als Achtklässlerin bei deiner Forschung? Machst du das alles zuhause oder in der Schule?
Das Schöne ist, dass man für die In-silico-Methode nur Computersoftware und Webtools braucht. Ich bin jetzt ohnehin zuhause, weil die Schule virtuell stattfindet. Ich male und mache klassischen indischen Tanz, gehe aber wegen der Pandemie kaum aus dem Haus. Meine Großeltern leben bei uns im Haus, wir sind extrem vorsichtig, um sie und natürlich auch uns vor dem Virus zu schützen. Durch die Arbeit mit meinem 3M-Mentor hatte ich plötzlich Zugang zu wesentlich mehr Daten und Software, die ich mir alleine nicht hätte erschließen können. Das hat mir dabei geholfen, meine Forschung auszuweiten und akkuratere Resultate zu bekommen.
Wer hat dir die ersten Schritte gezeigt?
Mein Vater ist Arzt und meine Mutter ist Softwareingenieurin. Aber es war mein Großvater, der mich für Wissenschaft begeistert hat. Er ist Chemieprofessor und hat immer die Periodentabelle mit den Elementen abgefragt, solche Sachen. Aber seit der sechsten Klasse mache ich das eigenständig, weil mich die Probleme interessieren und ich mein Wissen einsetzen will, um sie zu lösen.
Die Experten halten deine Forschung für so vielversprechend, dass du damit den Titel »Amerikas Top-Nachwuchswissenschaftlerin« gewonnen hast, dotiert mit 25.000 Dollar. Weißt du schon, was du mit dem Geld und der Aufmerksamkeit anstellen willst?
Ich will die 25.000 Dollar in meine Forschung investieren und mein Molekül weiterentwickeln, idealerweise bis zur Medikamentenreife. Aber das braucht natürlich viel Zeit. Durch den Wettbewerb habe ich ein unglaubliches Netzwerk und Zugang zu anderen Wissenschaftlern. Außerdem will ich einen Teil des Geldes in meine gemeinnützige Initiative stecken, Academy Aid. Die habe ich vor einigen Jahren mit meinem älteren Bruder gegründet und diesen Sommer haben wir den gemeinnützigen Status bekommen. Wir helfen damit unter anderem einer Schule in Indien, der Heimat meiner Eltern, eine bessere Ausstattung zu finanzieren.
Was sind die nächsten Schritte, um deine eigene Forschung weiterzuentwickeln?
Im Augenblick sind wir im In-silico-Stadium, wir screenen also enorme Mengen von Komponenten digital. Der nächste Schritt wäre, dieses Molekül im Labor zu entwickeln und zu testen. Dafür brauche ich den Kontakt zu Biologen und Spezialisten. Wir würden das Molekül dann in einer kontrollierten Umgebung erst in Zellkulturen testen, dann auf mit Bioprintern gedruckten Organen und schließlich in größeren biologischen Systemen, bevor es auf Menschen angewandt wird. Der 3M-Wettbewerb hat mir Möglichkeiten eröffnet, mit anderen Wissenschaftlern zu kooperieren.
Hilft dir deine Schule in Frisco dabei?
Nein, sie finden das zwar gut, was ich mache, aber sie haben kein Laborprogramm.
Du machst das also tatsächlich alleine?
Meine Familie unterstützt mich, wo es geht, aber ja, das ist meine eigene Initiative. Wenn ich nicht weiter weiß, kontaktiere ich Forscher.
Und die antworten dir?
Meistens schon. Es ist ja kein Wettbewerb gegeneinander, wir wollen ja alle, dass die Forschung zu einem antiviralen Mittel erfolgreich ist.
Hast du einen Rat für andere junge Forscherinnen und Forscher, die deine Begeisterung teilen?
Allen Nachwuchswissenschaftlern, vor allem Mädchen, will ich sagen: Lasst euch nicht aufhalten. Ihr seid genau so wichtig wie die Fachleute. Bleibt neugierig, stellt alle Fragen, die ihr habt, und nehmt jede Gelegenheit wahr, die sich auftut, denn ihr wisst nie, wohin sie führt.