Vor kurzem hat Chuck Feeney verkündet, dass ihm endlich gelungen ist, worauf er die letzten 38 Jahre hingearbeitet hat: arm zu werden. Nun hat er es geschafft: Er hat mehr als acht Milliarden Dollar verschenkt. Kontostand: nahe Null. Hurra!
Jeder kennt die Duty-Free-Läden an den Flughäfen, aber kaum einer die Geschichte ihres Gründers, die viel spannender ist: Denn der Mann, der durch den Erfolg der Shops ein Milliardenvermögen anhäufte, arbeitete hart daran, den Reichtum heimlich wieder loszuwerden. »Einen wie ihn gibt es nur einmal auf dem Planeten«, sagt sein Freund, der US-amerikanische Großinvestor Warren Buffett. Die meisten Menschen haben das Ziel, reich zu werden, oder zumindest so viel zu haben, dass es gut zum Leben reicht. Charles »Chuck« Feeneys Karriere verlief genau andersrum: Schwerreich wurde er fast mühelos – und dann verbrachte er vier Jahrzehnte damit, die acht Milliarden bestmöglich zu verschenken. Sein Ziel: »Ich strebe eine Null auf dem Konto an.« Denn: »Es gibt immer jemanden, der Hilfe braucht. Die Leute gehen dir nie aus.«
So verschenkte Feeney knapp vier Milliarden Dollar an Universitäten, unter anderem eine Milliarde an die Cornell Universität, an der er in seiner Jugend kostenlos studierte, nachdem er als Funker der US-Luftwaffe aus dem Koreanischen Krieg zurückgekehrt war. Er war der erste in seiner irisch-amerikanischen Familie, der überhaupt eine Universität besuchte und finanzierte sich das Studium, indem er Sandwiches schmierte und an seine Kommilitonen verkaufte. Den Rest seiner Milliarden gab er später an Menschenrechtsgruppen, setzte sich für Frieden in Nordirland und die Abschaffung der Todesstrafe in den USA ein und für eine allgemeine Krankenversicherung, die heute unter ihrem Spitznamen »Obamacare« bekannt ist.
Warum tut er das? »Reichtum bringt Verantwortung mit sich«, hat Feeney oft gesagt. »Die Leute müssen sich über diese Verantwortung definieren und einen Teil ihres Wohlstands dafür nutzen, das Leben ihrer Mitmenschen zu verbessern, sonst schaffen sie unlösbare Probleme für künftige Generationen.«
Doch so denken nicht alle reichen Menschen, und ausgerechnet jetzt sind Milliardäre weltweit wieder Krisengewinnler: Sie haben ihr Vermögen seit Beginn der Pandemie um etwa zehn Prozent oder fast 600 Milliarden Dollar vermehrt und besitzen nun gemeinsam mehr als 10,2 Billionen Dollar (oder 8,7 Billionen Euro). Auch deshalb – und während ein protziger Milliardär die USA, nein, die ganze Welt in Atem hält und man in Deutschland den flüchtigen Wirecard-Hallodri Jan Marsalek und seine zwei verschwundenen Milliarden sucht – ist es ein guter Zeitpunkt, mal eine andere Geschichte zu erzählen. Die eines Anti-Trumps, der seinen Reichtum nicht in goldene Wasserhähne investiert und seinen Namen nicht in klotzigen Großbuchstaben auf Gebäude klebt.
Feeney ist in ziemlich jeder Hinsicht der Gegenpol zu Donald Trump. Viele Reiche gründen Stiftungen, nicht nur, um Steuern zu sparen. Feeneys Geschichte aber ist einzigartig – auch, weil er einer der wenigen Philanthropen ist, die Milliarden geben, ohne Museumsflügel und Universitätsinstitute nach sich benennen zu lassen. 1988 wurde Feeney zu den dreißig reichsten Menschen der Welt gezählt, dabei hatte er da schon 1982 stillschweigend eine Stiftung, »The Atlantic Philanthropies«, gegründet und ihr fast sein gesamtes Vermögen überschrieben, ohne darum ein großes Tamtam zu machen. Niemand, nicht einmal seine eigene Familie, wusste, wie reich er wirklich war. Alle Einkünfte aus den Duty Free Shoppers (DFS) flossen direkt in die Stiftung.
»Sucht euch ein globales Problem, das euch interessiert, investiert euer Geld und engagiert euch. Versucht es! Ihr werdet es mögen«
Feeney, inzwischen 89, wurde durch Andrew Carnegies Philosphie beeinflusst, Millionäre müssten »Treuhänder für die Armen« sein. Und er lebt, was er predigt: Er trägt eine Billiguhr für 15 Euro, fliegt Economy, und besaß nie ein Haus, nicht einmal ein Auto. Er wohnt mit seiner Frau Helga, seiner ehemaligen Sekretärin, zur Miete in einem bescheidenen Apartment in San Francisco. Seine fünf Kinder aus erster Ehe arbeiteten als Kellner und Putzfrauen, damit sie verstehen, was harte Arbeit bedeutet. »Seit ich vierzehn bin, hat er uns in den Hintern getreten und gesagt: Geh raus, steh auf eigenen Beinen«, sagt seine Tochter Caroleen Feeney. Denn, so sagt ihr Vater: »Ich wollte, dass meine Kinder den Unterschied kennen zwischen dem, was man sich selbst verdient, und dem, was man geschenkt bekommt.«
Am Anfang, als er mit dem Verkauf von Alkohol an Kreuzfahrtschiffe in den Fünfziger- und Sechzigerjahren seine erste Million machte, genoss er kurz den Reichtum und schmiss Champagner-Partys. Aber als aus seinen Millionen Milliarden wurden, fühlte er sich im Umfeld der Ultrareichen zunehmend unbehaglich. Christopher Oechsli, der langjährige Präsident seiner Stiftung, sagte dem Guardian: »Er kratzte sich am Kopf und sagte: ›Wie viele Jachten und Schuhe braucht man? Worum geht es beim Ansammeln von Wohlstand, wenn man sich umschaut und enorm Bedürftige sieht? Wozu all dieser Wohlstand, wenn du damit nichts Gutes anfängt?‹«
Chuck Feeney behielt schätzungsweise zwei bis drei Millionen Dollar für sich und seine Familie – mehr als die meisten Menschen in ihrem Leben jemals verdienen, aber eben nur ein Bruchteil des Milliardenvermögens, das er eigentlich hatte. »Er genoss die Partys, aber wenn man reist, sieht man, wie Menschen wirklich leiden«, sagt seine Tochter Caroleen, die nun eben keine Milliardenerbin ist, anerkennend. »Ich bin stolz auf ihn. Ich meine, wer macht sowas?«
Vielleicht liegt es an seiner irisch-katholischen Familie, allen voran seiner Mutter, die als Krankenschwester Nachtschichten für das Rote Kreuz in New Jersey schob. »1980 habe ich mich gefragt: Wohin führt das alles?«, sagt Chuck Feeney. »Die Welt ist voller Menschen, die nicht genug zu essen haben. Und ich habe mehr Geld, als ich ausgeben kann.«
Er wollte heimlich Gutes tun. Er drohte den Empfängern sogar damit, er würde den Geldfluss sofort stoppen, falls sie ihn als Spender outeten. Das führte zu absurden Situationen, etwa als er im irischen Limerick eine Weltklasse-Konzerthalle und Universität bauen ließ. »Es gab Gerüchte, ich finanziere den Bau mit Drogenhandel«, sagt der damalige Universitätspräsident, aber ich durfte ja nicht sagen, von wem das Geld wirklich war.« Die Welt hätte womöglich nie erfahren, dass Feeney sein Vermögen mit vollen Händen verschenkte, wenn er nicht mit seinem ehemaligen Geschäftspartner Robert Miller, dem Co-Gründer der Duty Free Shoppers, vor Gericht gelandet wäre. Miller zählt heute mit seinen gut sechs Milliarden Dollar zu den 300 reichsten Menschen der Welt, besitzt Luxusapartments in Hongkong, New York und Paris. Kein Wunder, dass die beiden kein Wort miteinander gesprochen haben, seit Feeney 1996 seine Anteile an den Shops an das Luxuskonglomerat Louis Vuitton Moet Hennessy verkaufte. Erst durch die Akten des Gerichtsstreits mit Miller über den Verkauf wurde Feeneys Philanthropie 1997 überhaupt öffentlich. Das Magazin Forbes nannte ihn wegen seines klandestinen Vorgehens den »James Bond der Philanthropie«.
Feeney gibt so gut wie nie Interviews, deshalb stammen fast alle Zitate in diesem Text aus dem Dokumentarfilm The Secret Billionaire. »Je mehr er verschenkte, desto glücklicher wurde er«, sagen seine Weggenossen. Zuletzt war es im Durchschnitt eine Million Dollar am Tag – und andere haben begonnen, es ihm nachzumachen. Er ist das Vorbild für Warren Buffets »Giving Pledge«, dem sich inzwischen Hunderte Schwerreiche angeschlossen haben, die (immerhin) 50 Prozent ihres Vermögens verschenken wollen.
Viele Reiche bewundern Bill Gates und Warren Buffett, doch Gates und Buffett bewundern Feeney. Sein Rat an Wohlhabende: »Sucht euch ein globales Problem, das euch interessiert, investiert euer Geld und engagiert euch. Versucht es! Ihr werdet es mögen.«