Natürlich, einen Hafen und eine schöne Altstadt hat Göteborg auch. Jesper Adolfsson konzentriert sich bei seinen Stadtführungen aber lieber auf anderes: auf Krebsfleisch-Bällchen, schwedische Austern und die besten Shrimps der Welt.
1. Kalbfleisch mit Karottenkartoffelpüree in Dillsauce
Dill ist typisch Schweden. Sagt der Food Guide in Göteborg. Darf man das einem 29-jährigen Finanzwissenschaftler glauben, auch wenn er versichert, Essen sei sein Ein und Alles, er würde alles Geld nur dafür ausgeben?Jesper Adolfsson, proper, aber auch nicht richtig dick, perfektes Englisch, offenes Hemd, Pullover, weder over- noch underdressed, von Beruf Food Guide, neudeutsch für Essensführer, was eine skurrile Mischung aus Fremdenführer, Zeremonienmeister und Animateur verspricht. Jesper ist nicht irgendein Food Guide, er ist Chef von vier weiteren Food Guides in Göteborg und noch mal vier in Stockholm, sieben Studenten, eine Schriftstellerin, alles freie Mitarbeiter. Food Touren sind ein expandierendes Geschäft. Überall in der Welt.
Treffpunkt vor dem Fremdenverkehrsamt in Göteborg. Es geht drei Stunden zu Fuß durch die Innenstadt. Wir sind ein kleine Gruppe, vier Männer, äußerst untypisch, meint Jesper. Am Wochenende seien die Touren mit 15 Personen ausgebucht – und Frauen immer in der Überzahl. In Göteborg gehen mehr Schweden als Touristen mit, in Stockholm ist das Verhältnis in etwa ausgeglichen.
Der Auftakt fällt eher verhalten aus: Im Restaurant Ritz – nicht verwandt mit dem Pariser Hotel, sondern so benannt, weil es sich gut anhört – werden mittags generell nur zwei Gerichte serviert. Wir probieren beide: Kalbfleisch in Dillsauce mit Karottenkartoffelpuree oder Fischbällchen mit Topinambur. Zwei sehr anständige Probier-Portionen. Wir lernen gleich: Ohne Dill und Petersilie geht nichts in der schwedischen Küche. Im Westen des Landes isst man fischlastig, im Norden viel Elch- und Rentierfleisch.
Fünf Minuten, fertig. Jesper isst nicht und zahlt nicht, sondern winkt nur kurz dem Geschäftsführer beim Hinausgehen. Sehr praktisch. Einmal im Monat bekommt er von allen besuchten Restaurants eine Rechnung zugeschickt. Mittelfristig hofft er ohnehin, dass die Restaurants ihn mit seinen Gruppen einladen. Schließlich bringt er ihnen potenzielle Kunden. Apropos: 550 Kronen kostet die dreistündige Mittagstour bei ihm, knapp 60 Euro. Erscheint nicht zu viel, wenn man die schwedischen Restaurantpreise berücksichtigt.
2. Shrimps mit Alioli
Jesper machte Urlaub in Miami. Hat die Stadt erst gehasst, buchte am letzten Tag eine Food Tour – und verliebte sich sofort ins Essen. Zurück in Schweden gründete er sein eigenes Unternehmen für Food Touren in Göteborg oder Stockholm und mehrtägige Gourmet-Reisen nach Spanien, Italien, Dänemark.Läuft gut, sagt er. Die teuren Büroräume hat er dennoch aufgegeben. Er sitzt ohnehin die meiste Zeit im Zug zwischen Stockholm und Göteborg. Die eigene Freundin hält ihn für einen Spinner. Weil er stundenlang über Spinat redet. Selbstredend kocht Jesper auch. Für Freunde. Die Freundin mag nicht ständig essen.
Kleiner historischer Exkurs vor der Saluhalle auf dem Königsplatz: Aus Angst vor den Dänen wurde die Stadtmauer gebaut, aus Angst vor den Ratten die Markthalle. Die Dänen sind weg.
In der Saluhalle gibt’s Shrimps, laut Jesper, die besten der Welt. Sehr salzig, aus den umliegenden Gewässern der Westküste. Wir popeln sie umständlich aus der Schale, Jesper steckt sie mit den Füßen voraus in den Mund und saugt sie einfach aus. Doch ein Profi.
3. Westerboten und Whiskykäse
Nächste Station ist der Käseladen auf der Außenseite der Halle. Erik, der Besitzer, reicht einen jungen, sehr salzigen Käse aus dem Norden mit 17 Prozent Fett, isst man sonst nur auf Brot. Danach ein Stück Whiskykäse aus Schottland, 39 Monate gereift, und der sogenannte Westerboten-Käse, der in Schweden gerne im Käsekuchen zu Hummer verarbeitet wird. Interessant.Jesper hat zwei Semester in Rom studiert. Auf dem Weg zur Uni hat er sich stets ein Parmesanstück zum Frühstück gekauft und reingebissen wie in einen Apfel – »15 Kilogramm hab ich in zehn Monaten zugenommen. Nicht nur wegen des Käses.« Jesper macht einen zunehmend vertrauenswürdigen Eindruck auf mich. Ein Jahr war er in Spanien, ein halbes in Melbourne. Ich vergesse zu fragen, wie viel er dort zugenommen hat.
4. Schokolade mit Meersalz, Skrei in Dijonsenf, Kaffee aus Ruanda – in dieser Reihenfolge
Den »Frauenladen« gibt es schon seit 1901, 500 Leute haben einmal für den ersten Schokoladeverkäufer und Produzenten in Göteborg gearbeitet. Nach Kriegsende war erst mal Schluss mit Süßigkeiten, aber in den neunziger Jahren haben Jeanna und ihre drei Töchter wiedereröffnet. Sie zeigen sich äußerst experimentierfreudig: Egal ob Shrimps, Ingwer und Ziegenkäse oder Meersalz, es dürfte nur wenig Essbares geben, dass sie noch nicht in Schokolade gegossen haben. Wir bekommen jeder eine Praline mit Meersalz. Apart.Zum Nachtisch suchen wir zwei Straßen weiter einen Food Truck auf. An der Wand des Kleinlasters hängt ein Schild mit der Aufschrift: 50 Shades of Skrei. Wir essen panierten Skrei, Kabeljau, unter der Panade eine hauchdünne Schicht Dijonsenf, dazu Preiselbeeren und Kartoffelbrei. Wer ist nur auf die Idee gekommen, dass Fisch und Senf zusammenpassen könnten? Schmeckt großartig. Wie kann es sein, dass ich so etwas noch nie zuvor probiert habe? Das Geheimnis ist eigentlich ganz einfach: frischer Fisch. Die beiden Food-truck-Köche kaufen ihn morgens in der Markthalle und schließen, sobald der Fisch ausverkauft ist. Halbzeit. Und ich bin völlig satt.
Weiter zur Fika. So heißt in Schweden die Kaffeepause, und Schweden ist die Nation mit dem zweithöchsten Kaffeeverbrauch pro Person. In Göteborg wird die Fika sehr, sehr ernst genommen. Fika macht man nicht allein, immer zu mehreren, und immer mit was Süßem dabei. Manche Schweden machen sogar zweimal am Tag Fika. Wir gehen durch die Victoriapassage, eine Gasse, von der man 1780 sagte, dort wären die drei besten Lokale ihrer Zeit gewesen und alle hätten aus dem gleichen skandinavischen Kochbuch gekocht. Dahinter eine Filiale von Da Matteo. Der Besitzer heißt eigentlich Mats und war der erste Schwede, der auf die Idee kam, aus Italien anständigen Kaffee mitzubringen.
Wir gehen noch eine Ecke weiter in ein kleines Kaffeehaus und trinken Kapakaki aus Ruanda. Gemütlich hier, entspannte Leute. Von mir aus dürfte die Food Tour ruhig enden. Jesper erzählt, wie er das Herz seiner zukünftigen Schwiegermutter gewann: Bei ihrer ersten gemeinsamen Fika hat er alle dreißig ihrer selbstgebackenen Kekse aufgegessen.
5. Austern und Fischbällchen
Feskekörka, Fischkirche, so heißt die Markthalle von Göteborg, weil sie aussieht wie eine Kirche und weil den Leuten ihr Fisch heilig ist. Im ersten Stock der Halle liegen schwedische Auster zum Probieren bereit. Niklas knackt sie für uns, er ist schnell, wirkt aber schlecht gelaunt, als Jesper ihn nach dem Abschneiden bei der jährlichen Austernweltmeisterschaft in Irland fragt. Die Restaurant-Mannschaft belegte nur einen enttäuschenden sechsten Platz. Schwedische Austern wachsen wild, französische werden gezüchtet und schmecken süßer. Niklas betont: Nach dem Öffnen gleich das Meerwasser wegschütten, den Saft, der danach aus der Auster austritt, isst man mit. Wusste ich nicht.Der Franzose in unserer Runde zeigt sich beeindruckt von der schwedischen Auster. Auch vom dunklen Austern-Bier, das so heißt, weil man früher tatsächlich eine Auster ins Fass geworfen hatte. Danach kommt eine winzige Portion Fischsuppe, das Rezept gibt es solange wie das Lokal: 25 Jahre, nur Sahne, Blaue Muscheln und – natürlich – Dill.
Jesper verrät sein Lieblingsrezept: Skrei – »skandinavischer Kabeljau, aber viel besser als Kabeljau« – , anbraten und kurz in den Ofen stellen, währenddessen aus Topinambur-Mousse, brauner Butter, Creme fraiche und genau einer Auster die Sauce anrühren.
Kurzer Spaziergang zum Restaurant Barabicu. Laut Jesper ein Szenelokal. Hübsche Bedienung, ein Ferkel liegt auf dem Feuer, schon zwei Tage lang. Bällchen aus paniertem Krebsfleisch, Topinambur und Mangochutney bilden den Abschluss unserer Food Tour. Ich kann schon lange nicht mehr, esse dennoch alles auf. Jesper erzählt von seiner Kindheit: In den Sommerferien ist die Großfamilie immer zwei Wochen zum Essen verreist. Kroatien, Italien, Frankreich. 25 Leute gingen morgens gemeinsam auf den Markt, kochten tagsüber und aßen bis spät nachts an einer langen Tafel. Guter Mann, dieser Food Guide.
Göteborg Food Guides unter
www.matvandringen.se
Fotos: Erik Abel