Gar nicht Wurst

Eine kleine Firma stellt nahe München seit dreißig Jahren täuschend echte Attrappen von Essen her. Zu Besuch in einer Fabrik, die Geschmacklosigkeit zur Kunstform erhoben hat.

Eine der spannendsten Ausstellungen über deutsche Esskultur liegt in einem Industriegebiet bei München und steht in keinem Reiseführer. Dabei gibt es dort Dinge zu sehen, die den kulinarischen Alltag der Bundesrepublik so anschaulich machen wie kaum etwas sonst: Mehr als 2000 Plastikattrappen von Grundnahrungsmitteln, von der Sesamsemmel bis zu Gulasch mit Nudeln, alles detailgetreu, auch der Farbton der Deko-Petersilie hat exakt zu stimmen.

Nehmen wir den Artikel Nummer 9102: Rinderbraten mit Nudeln. Die Fusilli – dem Eindruck nach alles andere als al dente. Das Fleisch – ein wenig faserig. Die Soße – undefiniert bräunlich. Genauso sieht das Essen aus, das jeden Tag in Deutschlands Kantinen, Raststätten und Eckkneipen auf den Tisch kommt. Mit den utopischen Fotos aus Kochbüchern oder irgendwelchen Trendgerichten hat dieser Braten so wenig zu tun, wie man es vom durchschnittlichen Mittagessen in einem Land erwarten kann, dem die Welt so schöne Begriffe wie »Sättigungsbeilage« verdankt.

Hergestellt werden die Attrappen von der Firma Döring aus Garching, dem europaweit einzigen Spezialisten für hyperrealistisches Plastikessen. Jedes Teil wird per Hand in Kunststoff gegossen, mit Sprühlack und Pinsel koloriert und vom Chef Bernd Döring kontrolliert. Weil dieses Verfahren so aufwendig ist, stellt Döring nur Nahrungsmittelattrappen her, die sich gut verkaufen lassen. Seine Kunden sind Metzgereien, die ihre Filialen mit dauerhaft haltbaren Würsten und Schinken dekorieren wollen; Küchenhändler, die ihre Ausstellungsräume mit Südfrüchten oder Petit Fours ausstatten; Autobahnraststätten, die Touristen ohne Deutschkenntnisse verständlich machen wollen, was Sauerbraten mit Rosenkohl ist, und Attrappen aufstellen, um die Bestellung zu erleichtern. Auch Filmemacher kaufen bei Döring, wenn sie über mehrere Tage eine Bankett-Szene drehen wollen, ohne dass der Spargel mit Schinkenröllchen im Licht der Scheinwerfer verdirbt.

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Gegründet hat Bernd Döring seine Firma vor mehr als dreißig Jahren, als Begriffe wie Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung populär wurden. Er hatte bei einer Industriemesse einen Verkaufsstand für Bäckerei-Ausstellungsregale gesehen, viele Meter lang, darin Dutzende von Torten, die am Ende eines Ausstellungstages so unansehnlich wurden, dass sie im Müll landeten. Da kam Döring der Gedanke: In Afrika haben sie nichts zu essen, und hier werden die feinsten Torten weggeworfen? Also entwickelte Döring, Großhandelskaufmann und Tüftler, Deko-Essen aus speziellem Kunststoff, das genauso aussieht und genauso viel wiegt wie das Original. Begonnen hat er mit Äpfeln und Zitronen, dann folgten Kuchenstücke, bald ganze Gerichte. Der Teller Sauerbraten kostet fünfzig Euro, das Geschäft läuft sehr gut.

Viele Attrappen sind Einzelanfertigungen, aber weil Döring penibel ist, hebt er die Gussform für jede Attrappe auf: falls sie noch mal bestellt wird. Daher finden sich in seinem Lager auch Gerichte, die sich selbst an zeitgeistfernsten Hotelbüffets kaum noch jemand anzubieten traut: Königinpastetchen mit Mayonnaise-Schinken-Füllung oder gespickter Rehrücken in Käse-Igel-Optik. »Ich interessiere mich kaum für kulinarische Trends«, sagt Döring. »Ich will einfach nur Essensattrappen bauen, die meine Kunden wünschen.«

So ist über die Jahre ein Archiv entstanden, das dem Essen ein Denkmal setzt, wie es in Deutschland ab 1980 populär war, und es für die Nachwelt konserviert: Hausmannskost, viel Fleisch, Gürkchen, Tatar und Eisbecher namens Hawaii oder Sizilia.

Tofu, Burritos, Dim Sum und andere Großstadtgerichte hat die Firma Döring bislang nicht im Sortiment.

Fotos: Janek Stroisch