Neulich war ich im Rahmen eines privaten Mutter-des-Jahres-Wettbewerbs für ein paar Tage mit drei fast erwachsenen Teenagern in Mailand, und um das zu überstehen, habe ich mir jeden Abend einen Aperitif gegönnt, auch als eine Art täglichen Appell für meine halbstarke Reisegruppe, damit ich wenigstens einmal alle 24 Stunden Zugriff darauf hatte, was genau sie trinken. Ich begnügte mich meistens mit irgendeinem Klassiker oder einem Glas Wein, die jungen Herren durften sich auf meine Kosten etwas Fruchtiges von der Cocktailkarte bestellen. Beachtlich war, dass die Eleganz der Stadt auch auf die Drinks abstrahlte. Egal was die »Männer«, wie ich sie während jener Tage rief, sich aussuchten – es kam ohne jeden Zirkus auf die zierlichen Tische unserer kleinen Lieblingsbar. Da konnten noch so viele Fruchtsäfte eine Rolle spielen, nie landete mehr als eine halbe Scheibe Zitrone oder Orange im Glas.
Ich fand das wundervoll. Denn ich fühle mich von Getränken voller Ananas, Melonen und Kokosnüssen in meiner Intelligenz beleidigt. Es ist mit den Getränken wie mit allem im Leben: Sein schlägt Schein, die Form hat der Funktion zu folgen, und wer von einem derartig hohen Turm kackt, dass alle hinschauen müssen, hat inhaltlich meistens nicht viel zu bieten. Kurz: Großes Getue, nichts dahinter. Wer glaubt, er könne mir einen lahmen Drink mithilfe eines halben Obstkorbs darin als etwas Außergewöhnliches verkaufen, versucht auch automatisch, mich für dumm zu verkaufen, und ich hasse kaum etwas mehr als das. Alle, die das mal versucht haben, wissen, was für Konsequenzen das haben kann. Sollte es trotz kluger Getränkewahl doch mal passieren, dass ich auf einem schlichten Highball einen Fruchtsalat vorgesetzt bekomme, begnüge ich mich längst nicht mehr damit, das Zeug angewidert rauszufischen, ich lasse die Bestellung unter wüsten Beschimpfungen zurückgehen. Warum nicht gleich Christbaumkugeln und Lametta über den Rand hängen, warum packt ihr nicht noch Garnelen, eine offene Showküche und einen zahmen Tiger dazu? Nehmt mal bitte selbst einen Schluck von dem gequirlten Mist darunter, der sogenannten Piña colada, wollt ihr mich eigentlich verarschen? Um alle zu beruhigen, die sich jetzt Sorgen machen, mich mal zu treffen und dann eventuell in einen Eklat reingezogen zu werden: Es kommt nur noch sehr selten vor, und üblicherweise halte ich mich von überteuerten Rooftop-Bars fern.
Ich habe ja gar nichts gegen klug eingesetzte Dekoration. Sie muss halt zu was nütze sein oder einfach den Geschmack oder die Qualität eines gut durchdachten Mixgetränks unterstreichen. Ein Schirmchen auf einem leuchtenden Tequila Sunrise etwa kann ich mir nach der dritten Runde, wenn ich beginne, ein bisschen die Fassung zu verlieren, kokett in den Dutt stecken. Eine Cocktailkirsche in einem stabilen Whisky Sour ist das Dessert, das ich mir wieder mal nicht erlaubt habe und dann doch noch unauffällig zu mir nehmen kann. Ein Zweig Lavendel im Crémant mit Cassis ist ein charmanter Gruß vom Barkeeper, Thymian im Gin Tonic ist gut gegen Husten. Und eine Stange Staudensellerie in einer Bloody Mary ersetzt sowohl den Holzstab zum Umrühren – dafür muss kein Baum sterben – als auch den affigen, immer viel zu kalten Strohhalm aus Glas. Überhaupt, Strohhalme, die fahren genau genommen auf dem gleichen Ticket wie bunte Aufbauten – schau, wie FANCY dein Drink ist. Strohhalme lege ich einfach nur mit hochgezogenen Augenbrauen zur Seite, sie sind die Ressourcen eines Aufstands nicht wert.
Die »Männer« haben sich übrigens schon am ersten Morgen gegen aufgeschäumte Milch im Kaffee entschieden, süß und rehbraun, mit Blick auf den Kanal, grazie.

