Ich wohne mit einem Kind mit vielen Ideen zusammen. So würde ich es mal beschreiben. So kommt es also vor, dass ich mich abends in ein gewöhnliches Ikea-Bett lege, von dem ich am nächsten Tag erfahre, dass es Teil eines magischen Versuchsaufbaus war. Meine Tochter stellt nämlich gelegentlich selbst angerührte Zaubertränke unter mein Bett.
Das sind dann Plastikbecher mit einer bräunliche Brühe, in der vertrocknete Blätter schwimmen. Oder kleine Schalen mit klarer, leicht rosiger Flüssigkeit, auf deren Grund ein Gummibärchen liegt. Stinkende Tränke werden in verschließbare Kaugummi-Trommeln gefüllt oder in Brotboxen. Natürlich ist das kein Spaß, diese Tränke sollen alle gewisse Funktionen erfüllen. Einmal wollte meine Tochter, dass ich mich verliebe. Einmal, dass ich besser koche. Einmal, dass ich von einer ungeliebten Aktivität am kommenden Wochenende abrücke. Wie das halt so ist mit dem Zaubern: Manches hat sich erfüllt, manches nicht.
Neulich hat sie mir angeboten, einen Trank nach meinen Bedürfnissen anzurühren. Gegen Geld natürlich. Ich sollte vorgeben, was für einen Zweck der neue Trank erfüllen sollte. Mein Kind wollte sich dann bei der Zubereitung danach richten. Was genau das bedeutet, weiß ich nicht. Ob es mehr von dem Koriander aus dem Kühlschrank einrührt, wenn ich mir wünsche, dass uns ein Eichhörnchen zuläuft, ob es im Park tote Tiere sammelt und einweicht, wenn ich auf eine faltenfreie Haut aus bin, oder die zahlreichen Cremes und Tonika untermischt, die es seit Neuestem ständig aus dem Drogeriemarkt anschleppt, wenn ich mehr Geld herbeisehnen würde? Es kann alles sein. Und das ist doch auch irgendwie das Schöne.
Ich habe also versucht, mich nicht mit Gedanken zur Machbarkeit und Logik zu beschäftigen und auch nicht daran zu denken, wo sie ihre Hexenküche aufbaut, wie es danach dort aussieht, welche Küchenutensilien sie dafür benutzt und wer die alle später wegräumt. Das war schon mal gar nicht so leicht und brachte mich auf einen möglichen Wunsch; weniger konsequenzorientiertes Denken. Denn diese Art der Weltbetrachtung ist in den vergangenen Jahren ohne mein Einverständnis über mich hereingebrochen. Wenn jemand mir etwas vorschlägt: Sei es nun ein personalisierter Trank unterm Bett, eine Anreise mit der Fähre, Sex nach Mitternacht oder den Kauf einer Seidenbluse, denke ich sofort an die möglichen Probleme: Wie lange dauert das? Wie teuer ist das? Wie spät wird das? Muss ich das bügeln? Macht das Dreck?
Das finde ich ein bisschen ärgerlich. An meiner Tochter sehe ich, was das Gehirn alles an Folgen ausblenden kann, wenn man sich mit Volldampf auf das Positive konzentriert. Sie zum Beispiel ist nach dem Duschen, das sie singend genossen hat, genervt, dass ihre Haare nass sind. Sie freut sich auf den Urlaub, die Zugfahrt, macht tausend Pläne, aber kaum sitzen wir, fällt ihr auf, dass sie jetzt fünf Stunden nicht rauskann. Sie baut eine riesige Mal-Landschaft auf; Wasserfarben, Buntstifte, eine Stabilo-Armada. Ach ja, Wachsmal-, noch ein bisschen Plaka-Farbe, Becher voller Wasser, Pinsel, Blätter, Pappe. Dann malt sie eine Stunde. Ach so, jetzt aufräumen? Oh neee! Sie purzelt in die Konsequenzen immer so herein.
Ich hingegen halte oft meilenweiten Sicherheitsabstand vor allem, was Zeit, Geld und Nerven kostet. Das Doofe ist bloß, dass man in meinem Alter eben schon bei so vielen Dingen berechnen kann, was sie in einer dieser drei Währungen kosten. Was lohnt dann noch, wenn man so nüchtern denkt?
Ich hab mir dann also einen Trank gewünscht, der meine guten Impulse vor dem Durchdenken schützt. Ich hoffe, der Trank schimmelt nicht unterm Bett.

