Sie wollten den Westen dort treffen, wo es wehtut – und, verdammt noch mal, sie haben es geschafft. Sie wollten Coca-Cola, Prada und Porno angreifen, sie wollten den hedonistisch-freiheitlichen Komplex in die Knie zwingen, sie wollten mehr, als sie zu hoffen wagten – und weil wir in einem Zeitalter der radikalen Asymmetrie leben, haben sie mit einer Nagelschere, einem Paar Turnschuhe und einer schmutzigen Unterhose mehr erreicht als die Russen mit ihren Atomraketen: Freiheit und Verschwendung sind die zwei Extreme des westlichen Lebensstils, Nacktheit und Sex sind Chiffren für gesellschaftlichen Exzess, im Bild des Nacktscanners finden wir uns nun wieder, hilflos diskutierend, lächerlich lallend, zitternd vor dem Knaben mit der Mörderwindel.
Es ist im Grunde nicht zu glauben, wie leicht das geht. 120, 350, 1000 Männer sitzen hasserfüllt in ihren Hütten oder in karg möblierten Neubauwohnungen in der Vorstadt und denken sich Sachen aus – und ein, zwei, drei Milliarden Menschen müssen ihr Leben radikal ändern? Hat mal jemand ausgerechnet, was der ganze Sicherheitswahn bis heute gekostet hat? Vergeudete Zeit, verschwendete Stunden? Wofür? Für wie viele Leben? Ist das schon die neue Biopolitik, von der die Philosophen dauernd reden? Erinnert sich noch jemand an die Siebzigerjahre, als, so scheint es heute, alle paar Wochen ein Flugzeug vom Himmel fiel? Waren wir damals zynischer, menschenverachtender? Oder einfach nicht so panisch?
Der Unterhosenbomber hat den westlichen Aktionismus entkleidet. Nackt steht nicht der dicke Mann oder die dicke Frau da, die sich – schlimm, schlimm – in dieser nicht gerade von zu wenig Nacktheit bevölkerten Welt auf einmal in schwammig digitalisierten Bildern »körperlich« zeigen muss; nackt stehen wir da, die wir im Machbarkeitswahn jedes Maß verloren haben. Und jeden Sinn für den bösen, Beckett’schen Humor, der in dieser Situation steckt, hört denn niemand dieses Lachen? Jedes Mal, wenn wir unsere Schuhe aufs Band stellen? Wenn wir den anderen auf die Socken schauen? Wenn wir sehen, wie sie ihre Hose, die gerade noch der Gürtel hielt, mit Händen greifen? Tati! Ionesco!! Beckett!!! Die Wahrheit ist der Witz.
»Body Scan« ist übrigens auch eine Entspannungstechnik, die der Deutsche Wellness Verband empfiehlt und die darin besteht, dass man 45 Minuten lang in Gedanken seinen Körper abtastet. Wir sollten bei der linken Zehe anfangen, heißt es, und uns langsam das Bein hocharbeiten. Und dabei immer auf den Atem achten! Die Rubrik Fünfzig Zeilen wird von drei Autoren abwech-
selnd geschrieben. Auf Georg Diez folgt nächste Woche
Andreas Bernard, danach Tobias Kniebe.