Mit dem Sommer kommt nicht nur die Zeit der wilden Blumen, sondern auch des wilden Schwimmens in Flüssen, Seen und Bächen. Mir ist klar, dass es vor allem von der Mineralwasserindustrie ungern gesehen wird, aus etwas anderem zu trinken als aus dem sauberen Ursprung der Quellen, am besten abgefüllt in Flaschen, aber was gern gesehen wird, hat mich noch nie interessiert, viel mehr interessiert mich – ich erwähnte es auch an dieser Stelle schon mal –, wie alles, was man nicht trinken soll, eigentlich so schmeckt.
Ich bin halt der feinfühlige Typ, ich muss die Dinge immer mit allen Sinnen und so weiter und so fort, bla bla, Instagram … Vielleicht bin ich auch einfach nur ein bisschen eklig. Oder besonders neugierig. Oder extrem unbeherrscht, keinerlei Impulskontrolle. Oder, sehen wir es als Dienst an der Gesellschaft: Ich trinke die deutschen Gewässer und verrate, wie sie schmecken, dann muss es niemand anderes mehr tun, die freien Ressourcen können in demokratiepolitische Arbeit gesteckt werden. Hier also die Ergebnisse meines Geschmackstests in der Abteilung Hydrologie.
(Disclaimer: Ich bin nicht überall geschwommen, manchmal habe ich auch nur einen Finger reingehalten und ihn abgeleckt, manchmal habe ich lediglich davon geträumt – aber in den meisten Wassern war ich wenigstens kurz drin, oft verbotenerweise. Das kann auch für erfahrene Schwimmerinnen schnell gefährlich werden, also bitte NICHT NACHMACHEN, sondern, siehe oben, lieber was für die Demokratie tun.)
Der Rhein bei Düsseldorf: schmeckt nach Druck, nach Fließgeschwindigkeit, nach kraftvoller Maloche, nach Bizeps, Trizeps und Nackenmuskulatur, und nach der Schweiz.
Die Spree bei Berlin: nach Langeweile und Desinteresse an der Umgebung.
Die Elbe bei Hamburg: Brackwasser – Süßwasser mit ein bisschen Salz drin, im Abgang noch Baggerschlick, Möwenschiss, Fernweh, What Shall We Do With The Drunken Sailor?
Die Weser an ihrer Mündung: große Freiheit, Liebe ohne Leiden, Wolkendrama, und ein verstohlener Blick zur Seite auf einen großen Busen aus Jade.
Die Müritz: Schilf, Entengrütze, Sonnenloch, hölzerne Badestege, Räucherfisch, Nazis raus.
Die Saale bei Halle: geheimnisvoll schlingpflanzig mit Fliederblüten und Füchsen, Achtung – es gibt eine Nixe!
Der Main bei Aschaffenburg: Äbbelwoi und Rotsandstein, sehr mineralisch.
Der Neckar bei Tübingen: heilignüchtern und voller Schwäne, trunken von Küssen, leicht schmierig.
Die Donau bei Regensburg: herbsüß, Tannenspitzen, geschmolzener Schnee und Balkan-Wein, der Duft altrömischer Gassen.
Die Isar bei München: frisch, der klare Tag in den Bergen, Kiesel auf der Haut, nackert.
Der Starnberger See: tief, die klare Nacht unterm Sternenhimmel, alte Bilder an der Wand, zarter Nebel, eisgrüne Bäume.
Der Bodensee: so what.
Der Wannsee: was Menschen sich gegenseitig antun.
Der Plöner See: Laub, Segelboote, Strandkörbe, Strohhüte, vom Grund kommt ein kalter Hauch Urzeitgletscher hoch.
Der See am Wasserschloss in Mespelbrunn: Rotkäppchensaft mit Schneewittchenextrakt und Lilo Pulver.
Die Laufach im Spessart: schnell fließender Genuss von einem Bächlein, die Herznote aus Weiden, Glockenblumen, Butterblumen und Wiesenschaumkraut, aus Pfeil und Bogen und der Jagd auf Käfer, die Kopfnote ist die gelbe Mütze, die ich um 1981 dort verlor und nie wiederfand.
Wasser ist Leben – und Erinnerung auf der Zunge.