Werbung war unser Hobby

Erinnern Sie sich noch an den Jungen, der in der Punica-Werbung in den Fernseher kroch und Teil des Clips wurde? Dann haben Sie in den Neunzigern vermutlich auch viel Zeit vor dem TV verbracht. Warum die Werbung damals in Wahrheit das beste Programm war.

Foto Erli Grünzweil

Damals war das wirklich die Oase. Einmal in den Fernseher reinkriechen, wie es in der Werbung für Punica möglich war. Da lechzen die Zeichentrick­figuren im Fernsehen nach einem Saft, und der kleine, echte Junge auf dem Sessel vor dem Gerät springt auf, geht die paar Schritte zum Bildschirm und tritt mit dem rechten Fuß auf den unteren Rand des Geräts, dehnt es nach oben aus und schlüpft hinein. Jetzt existiert er im Fern­sehen, ist Teil des Programms.

Die Flasche Punica, die er in der Hand hält und die seine Eintrittskarte in den Fernseher ist, war mir egal, als ich mir das als Kind anschaute. Der Geschmack des Fruchtsaftmixes ohne­hin. ­Irgendwann trank ich ihn mal, mochte ihn, aber er war damals nicht mehr als eines von vielen sehr süßen Getränken: Punica, Valensina, Capri-Sonne, Fanta, es gab wirklich genug. Ich gehörte zu den Kindern, die Zucker lieber aßen als tranken.

Das Beste an Punica war definitiv die Werbung. Ach was, das Beste am Fernsehgucken war die Werbung. Besser als jede Sendung. Serien, Dokus, Shows, alles galt mir und meinen Freun­dinnen als das langatmige Da­zwischen, das man aushalten musste, bis endlich wieder Werbung kam. Und in den Neunziger­jahren kam viel Werbung.

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Werbung erzählte alles viel schneller, kompakter und unmissverständlicher. Man wusste danach, was es sich zu wünschen galt. Die Fernsehsendungen gaben zwar auch Wunsch­ideen, etwa ein Leben mit Haustieren und vielen Geschwistern auf einem Ferienhof, mit Superkräften oder einer Detektivbande, öfter noch mit einem Prinzen und ewiger Liebe mit Küssen (bah!).

Aber die Vorschläge für ein besseres ­Leben aus der Werbung waren reizvoller, erreichbarer, leckerer. Man kannte alles aus dem Supermarkt, es war alles so nah: Nutella, Kellogg’s Smacks, Dany Sahne, Dickmann’s.

Werbung zu kennen war auch der Beweis dafür, dass man ein eigenes Leben hatte

Werbespots waren unsere Lieblings­gedichte. Wir konnten ganze Werbeblöcke auswendig mitsprechen. Wer zu Hause nicht so viel Fernsehen gucken durfte, musste das auf dem Pausenhof nachholen: zuhören, nachplappern, üben. Wer keine ganze Werbung draufhatte, sollte zumindest den Hauptslogan kennen: »Auf diese Steine können Sie bauen – Schwäbisch Hall.« »Katzen würden Whiskas kaufen.« »Ich fühl mich schön mit Jade.« »Der Tag geht, Johnnie Walker kommt.« So was eben. Die Werbung für das Haar­spray 3 Wetter taft liebten wir besonders, wir konnten sie nicht nur nachsprechen, sondern auch als kleines Thea­terstück aufführen. In einem Alter, in dem wir zum Haarewaschen und vor allem zum Fönen noch gezwungen werden mussten. Keinen Bock.

Werbung, könnte man ohne Übertreibung sagen, war unser Hobby. Inklusiv war es obendrein. Denn es gab Kinder in der Klasse, die nicht gut Deutsch konnten, aber super waren im Werbe-Spiel.

Wenn Leute heute sorgenvoll über die Grundschüler reden, die zu viel Tiktok gucken, muss ich an uns denken, wie wir nach der Schule vor dem Fernseher hockten. Wir hatten nach sechs Stunden Beschulung keine Kapazität mehr für die erlaubte Sendung auf KiKa, für all die Zusammenhänge, all dieses über­artikulierte Sprechen, diese lahmen Dialoge, bei denen man schon wieder was lernen sollte. Wir schalteten, sobald wir unbeaufsichtigt waren, um zu RTL und warteten auf Werbung. Da waren wir hellwach.

Werbung zu kennen war auch der Beweis dafür, dass man ein eigenes Leben hatte. Mag sein, dass einen die Mutter zur Schule brachte oder abholte, dass man am Körper trug, was sie gekauft und gewaschen hatte, dass sie den Füller reinigte und die Patronen im Mäppchen nach­füllte, aber Werbung zu gucken war ­definitiv nicht in ihrem Sinne. Die Werbung war allein unsere Oase.