Der fragwürdige Aufstieg der Futter-Politik

Ob mit Rum oder Bratwurst, ob bei Söder oder im thüringischen Wahlkampf: Mit Getränken und Speisen werden heute politische Zeichen gesetzt. Das ist faul, findet unsere Autorin, und verkauft das Volk für dumm.

Foto: Erli Grünzweil

Es muss eine Zeit gegeben haben, da waren Getränke und Speisen einfach nur Nahrungsmittel. Heute sind sie Politikträger. Prominentestes Beispiel ist der Havana Club Rum. Die Markenrechte an ihm füllen ganze Gerichtsordner, Staaten benutzen ihn, um Konflikte zu befrieden oder anzuheizen, um das Getränk selbst geht es da längst nicht mehr. Aber auch in Deutschland wird mit Genussprodukten Politik gemacht – sei es Bier, Fleisch oder Ökolimo. Ein Vorwurf der Engagierten im Land an die Politik ist ja, dass sie sich scheue, den Bürgern etwas zuzumuten. Die zunehmende Politisierung von Essen ist der beste Beweis dafür. Denn weniger Kost kann man seinem Volk ja kaum vorsetzen als das Foto einer Bockwurst. Nur weil etwas mit Senf bestrichen wird, ist es noch lange kein politischer Inhalt. Da kann Markus Söder noch so viele Kochbücher herausbringen, jeder thüringische Wahlkämpfer noch so viel Bier trinken: Wer glaubt, mit seinen Speisegewohnheiten am meisten Anschluss zu finden, wirbt nicht für seine Ideen.

Politik, die durch den Magen geht, ist vor allem faul. Essen kann jeder. Voraussetzungsfreier mitzudiskutieren geht kaum. Wenn das Schnitzel schon politisch ist, dann kann jeder Kanzler. Aber Futter-Politik ist kein wünschenswertes Partizipationsprogramm, sondern einfach nur Volksverarsche. Denn hier wird nur Standpunktscharade gespielt. Die echten Fragen werden nicht mal gestreift: Arbeitsplätze erhalten oder Küstenenergie subventionieren? Kindergrundsicherung oder Ukrainegrundsicherung? Fördern oder fordern? Und die Transformation bremst nicht für Fleischesser, Biertrinkerinnen oder Avocado-Lover. Die Zumutungen ziehen sich nicht zurück, nur weil sie eine Senfspur kreuzen müssten.

Es ist auch vielen nicht bekömmlich, sich so sehr auf das Essen einzuschießen. Der Bundesjustizminister von der FDP postete neulich ein Foto seines Abendessens mit den Worten: »Auf das ›Konsum-Plebiszit‹, die Demokratie der Märkte, also dass wir selber entscheiden, was produziert und konsumiert wird (…) Guten Appetit!« Da sitzt ein Minister beim Abendessen, und ihm läuft nicht das Wasser im Mund zusammen, sondern das Blut heiß. Trotzig wird ein Essen verteidigt, das nie angegriffen wurde. Das Essen wird zum Gegenstatement. Geradezu metaphysisch aufgeladen ist das Abendmahl nun. Ein politisiertes Brötchen. Ein ideologiegetränktes Stück Fleisch. Leicht zwanghaft auch die Zwiebeln. Ist das schon diese Freiheit? Per Restaurantbestellung zum liberalen Visionär? Einmal gut gekaut, und schon Märtyrer? So leicht ist das, wenn man vorgibt, sich bedroht zu fühlen.

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Bloß: Fleisch ist kein Lebensmittel, das Schutz braucht. Anders als Europapolitiker in Dresden oder die Demokratie ganz generell. Fleisch kann man überall straflos kaufen, man muss dafür in keinem Fleischclub Mitglied sein, und man darf so viel Gramm erwerben, wie man will. Man muss für den Kauf nicht volljährig sein, man braucht kein ärztliches Rezept. Der Kauf ist nicht reguliert. Man kann es fast überall bestellen, man kann es überall in Ruhe essen. Noch nie hat mir jemand im Restaurant, beim Döneressen oder beim Wienerkauen etwas anderes an den Hals gewünscht als einen guten Appetit. Man wird nicht fotografiert und auf Instagram lächerlich gemacht. Man kann als Fleischesser in diesem Land alles werden: Kanzler, Tiktok-Star, Nobelpreisträger. Man darf beim Autofahren Fleisch essen, beim Fliegen, beim Radeln, beim Straßenbahnfahren. In Essen darf man keine E-Scooter mehr mit in ­­die Straßenbahn nehmen. Aber ­näher kommen die Einschläge nicht. Das Fleisch ist willig ­in Deutschland, und das Futtern ­­ist frei.

Ich esse meine Pasta gern nach dem Salat, zum Wein, vor dem Fernseher. Ich glaube, mehr Kontext brauchen Nudeln nicht. Aber das ist natürlich Geschmackssache.