Raus wollten wir. Ein Wochenende lang den Corona-Alltag vergessen, in einem Haus auf dem Land, zusammen mit Freunden. So wie in dieser Geschichtensammlung aus der Zeit der Pest, in der sich ein paar schöne junge Menschen in die Hügel vor Florenz zurückziehen, um sich dort zehn Tage lang von der Krankheit abzulenken. Wir sahen das alles schon vor uns und besorgten sogar ein Bierfässchen, also eines dieser Fünf-Liter-Fässchen, die wie zu große Dosen aussehen, die man anzapfen kann. Ich kannte sie von Partynächten mit Mitte zwanzig. Als man in Studentenheimen oder Hobbykellern von Eltern abhing, mit einem Topf Nudelsalat und eben einem Bierfass, und ansonsten war man sich selbst genug.
Es begann dann schon mit dem Anzapfen. Als wir das Alu-Ding aufgefriemelt hatten, war da vor allem Schaum. Der war nicht einmal kalt, weil das Fünf-Liter-Bierfass nicht in den Kühlschrank gepasst hatte. Das Bier selbst prickelte nicht, es machte keinen Spaß, es zu trinken, und der Alkohol stieg uns nicht zu Kopf. Das Bierfass machte uns einfach nur klar, wer wir waren: zwei nach den damaligen Corona-Regeln erlaubte Haushalte, denen zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen war und die dachten, sie könnten einen auf Stadtflucht machen. Alles daran fühlte sich so lauwarm und schal an wie die vielen anderen Versuche, so zu tun, als wäre das Leben wie früher. Und als könnte man auch innerhalb der Beschränkungen ein bisschen Grenzenlosigkeit erfahren.
Wenn es darum geht, durch die Krise zu kommen, schwankt man ja derzeit immer zwischen Extremen. Ist man diszipliniert, oder knallt man sich mit irgendetwas weg? Reißt man sich ein letztes Mal zusammen, oder ist inzwischen eh alles egal? Die Statistiken zum Alkoholkonsum des vergangenen Jahres spiegeln diese Ambivalenz, diese Gleichzeitigkeit von Zuviel und Zuwenig. Einerseits haben die Menschen zu Hause ganz schön viel getrunken. Andererseits ist der Bierverbrauch im Corona-Jahr 2020 stark zurückgegangen. Wie das Statistische Bundesamt errechnete, haben die deutschen Brauereien und Bierlager 5,4 Prozent weniger Bier als im Vorjahr verkauft, insgesamt 508,2 Millionen Liter. Bier, vor allem frisch gezapftes, gehört in Kneipen und Stadien, auf Konzerte und Volksfeste. In Situationen der Maßlosigkeit, dorthin, wo sich die Massen treffen.
In meinem Umfeld bemerke ich seit der Corona-Zeit immer mehr Menschen, die auf Alkohol verzichten, keinen Zucker essen, intervallfasten, extremen Sport machen oder sich mit sonst irgendwelchen Dingen selbst quälen. Als wollten sie die Belastungen, denen sie ohnehin durch die Pandemie ausgesetzt sind, noch toppen. Ich kann das verstehen. Wo man Angst vor der Ungewissheit hat oder einen das Gefühl überwältigt, die Kontrolle zu verlieren, da geben solche Dinge Sicherheit. Wie viel Zucker und Alkohol man zu sich nimmt, wie viel Stress man dem eigenen Körper zumutet, kann man immerhin selbst bestimmen.
Wir haben an unserem Wochenende auf dem Land das Bierfass dann sehr schnell stehen lassen. Ich kann nicht sagen, ob aus Unlust an lauwarmem Bierschaum oder aus der Erkenntnis, dass Betrunkensein nichts besser macht. Oder aber auch, weil diese kleinen Momente des Verzichts das Einzige sind, woran man sich derzeit berauschen kann.