Ich habe einen Text über Tee in einem Wirtschaftsmagazin gelesen, danach war ich komplett am Ende: »Wir müssen hochwertigen Tee erlebbarer machen«, »Kaffee ist ausgereizt, aber Tee hat da noch eine Menge Potenzial«, »Mit Tee stehen wir heute da, wo der Wein Mitte der 80er-Jahre war« – lauter Sätze von Investoren und Marketingexperten, die ich nicht mehr vergessen kann, Sätze, in denen es um den »neuen Zeitgeist« und den »Ausbau von Premium-Segmenten« ging, kurz gesagt darum, »Tee vom drögen Omagetränk zur Lifestyle-Angelegenheit umzumodeln«. Die Botschaft war klar: Nach Kaffee, Handys, Gin, Fahrrädern, Bärten, Bier und Kinderwagen kommt also jetzt der Tee an die Reihe, seine Unschuld zu verlieren und uns dabei zu helfen, uns noch ein bisschen geiler zu fühlen, als wir eigentlich sind.
An dieser Stelle muss ich kurz von meinen Großeltern erzählen. Sie wohnten nicht weit weg von uns, ich konnte zu Fuß zu ihnen laufen, vorbei an ein paar Gärten und Scheunen. Natürlich war mein Großvater in Russland gewesen, natürlich hatten sie ihm ins Bein geschossen, natürlich haben wir nie darüber gesprochen. Ich war zu jung, sie sind beide früh, viel zu früh gestorben. Aber ich erinnere mich an Nachmittage draußen im Garten unter der mächtigen Tanne und drinnen in der Stube, während es draußen regnete oder schneite. Ein schwerer Holztisch stand da, in gelbes Licht getaucht, ein Aquarium, das geheimnisvoll leuchtete und blubberte, an der Wand der gekreuzigte Jesus Christus, es duftete nach Erdbeer- oder Pfannkuchen, und immer, wirklich immer gab es Pfefferminztee dazu, nicht in Tassen mit Sprüchen drauf, sondern aus Porzellan, das »gute Geschirr«.
Mein Opa war klug und auf eine liebevolle Art streng, meine Oma warmherzig und auf eine natürliche Art elegant. Ständig sang sie Lieder, immer wieder Veronika, der Lenz ist da, lange bevor Max Raabe so tat, als sei er hundert Jahre zu spät geboren. Den Tee holte sie aus einer hübschen Blechdose, die ganz oben im Regal stand, getrocknete Blätter – es war der beste Tee, den ich bis heute getrunken habe, sogar besser als der, den ich neulich für 5,20 Euro in der Münchner Innenstadt bestellte – nie hatte ich das Gefühl, dass es mal einen anderen geben müsste, dass ich so was wie Abwechslung nötig hätte. Alles fühlte sich richtig an, die Ereignislosigkeit, das beständige Ticken der Wanduhr, das Gefühl, dass alles Bedrohliche außerhalb dieser Mauern stattfand.
Für mich ist Pfefferminztee bis heute ein Omagetränk, das keines Zusatzes, keiner Verfeinerung oder Umbenennung bedarf. Und obwohl man Minze heute im Obstsalat und in jedem zweiten Drink findet, kenne ich fast niemanden, der Pfefferminztee mag, alle trinken Tees mit Ingwer oder Matcha, Detox-Tees zur Entschlackung oder zur Stärkung des Immunsystems oder Tees in pyramidenförmigen Beuteln, die »Seelenschmeichler«, »Arabische Nächte« oder »Never Ending Love«, also im Grunde wie Puffs heißen.
Neulich hat mir jemand von japanischem Schattentee erzählt, der drei Wochen vor der Ernte mit Bambusmatten abgedeckt wird, wodurch er mehr Chlorophyll entwickelt und weicher schmeckt – wieder was, was ich nicht ausprobieren werde. Was soll ich sagen? Ich liebe Pfefferminztee, er schmeckt mir, er macht seine Sache gut, warum sollte ich ihn ersetzen?