Irgendwann vor 2000 Jahren hatte ein gro-ßer Fisch das Pech, dass Teile von ihm in einer Suppe landeten. Es war die Suppe eines chinesischen Kaisers. Die Teile des Fisches schmeckten nach nichts, sie waren reiner Knorpel. Hätte man Schweineohren in dieser Suppe gekocht, keiner hätte den Unterschied gemerkt. Ihr Geschmack kam allein von den Gewürzen und dem Gemüse, das mitgekocht wurde. Aber um den Geschmack ging es gar nicht. Der Fisch galt als mächtig und unbesiegbar, er verbreitete Respekt und Angst. Die Suppe war deshalb etwas Besonderes, ein Essen von Auserwählten.
Bis heute wird Haiflossensuppe in Asien zu prestigeträchtigen Anlässen wie Hochzeiten serviert. Im Restaurant kostet ein Teller dieser Delikatesse, die bei Männern angeblich die Potenz steigert, etwa hundert Euro. Auch in Deutschland bieten asiatische Lokale und Märkte die Suppe zunehmend an. Der Handel mit Haiflossen hat sich deshalb zu einem der lukrativsten Geschäfte überhaupt entwickelt: Milliardenumsätze und Gewinnspannen von mehreren tausend Prozent sind die Regel. Die Tiere werden dabei ausgerottet.
Costa Rica, Pazifikküste. In der schmutzigen Hafenstadt Puntarenas steht ein Wachmann am Tor von Mariscos Wang, einem taiwanesischen Fischereibetrieb. Der Geruch von Fischmarkt vermischt sich mit Dieselöl. Das Gelände ist etwa zwei Fußballfelder groß, die Mauern sind drei Meter hoch und mit Stacheldraht geschützt. Als der Wachmann das Tor öffnet, sagt er auf Englisch, er spreche nicht Englisch. Durch den Spalt zwischen seiner Schulter und dem Tor sind in etwa dreißig Meter Entfernung fünf Leute zu sehen. Einer fährt auf einem gelben Gabelstapler eine Palette mit großen Fischen ohne Flossen von einem Dock zu einem Lkw. Hinter dem Staplerfahrer schaben zwei Leute an einem mächtigen Fischkörper herum. Der Wachmann erklärt, dass hier niemand sei, das tue ihm sehr Leid. »Wenn Sie etwas über Fisch wissen wollen, fragen sie doch die staatliche Fischereiaufsicht Incopesca.« Dann schließt er das Tor.
Die Firma liegt am Ortsausgang, inmitten einer Kolonie weiterer taiwanesischer Fischfirmen. Alle haben mehrere Fischkutter und private Docks. Dutzende solcher Docks gibt es hier. Sie sind alle festungsähnlich abgesichert und haben Namen wie »Blufin« oder »Captura Todos« – »fange alle«. Selbst die Mitarbeiter der Fischereiaufsicht Incopesca dürfen das Gelände nicht betreten, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Die Abschottung hat einen Grund: Zwar sind alle taiwanesischen Firmen offiziell normale Fischereibetriebe, aber schon ein Blick ins Branchenbuch macht deutlich, dass sie ausschließlich Haiflossen exportieren. Das Meer vor Puntarenas war früher eines der haireichsten Gewässer der Welt. Die Stadt wurde zu einem Zentrum des internationalen Haiflossenhandels.
In Costa Rica ist es verboten, den Hai nur wegen seiner Flossen zu fangen, ihn also zu finnen. Das heißt, ihm die Flossen abzuschneiden und ihn wieder in den Ozean zu werfen. Aber Finning ist die bevorzugte Praxis bei der Jagd auf Haie. Mehr als achtzig Prozent der Tiere sind laut Beobachtungen der amerikanischen Fischereibehörde noch am Leben, wenn ihnen die Flossen abgeschnitten werden. Ein gefinnter Hai erstickt langsam auf dem Grund des Meeres.
Finning? »Das macht hier niemand«, beteuert Silvia Arrendondo beim Kaffee. Sie war mal ein Star im Fernsehen, Journalistin, und ist jetzt die Sprecherin der Vereinigung der privaten Dockbesitzer. »Wir haben Gesetze hier wie in einem Industrieland.« Frau Arrendondo trägt einen Blazer und gibt sich alle Mühe, seriös zu wirken. »Wissen Sie, wenn ich wüsste, dass Haie vom Aussterben bedroht sind, wirklich, dann würde ich diesen Job nicht machen. Was Sie bis jetzt gehört haben über Finning ist alles gelogen.« Sie zeigt ein Bild mit einem gefinnten Hai, vor der Küste von Costa Rica aufgenommen. Der Hai treibt unter Wasser, völlig intakt, nur seine Flossen fehlen. »Eine Fotomontage«, triumphiert sie, »alles Lüge.« Sie kratzt sich an der Nase. »Wir fangen Haie nur, um sie ganz zu verwerten. In Costa Rica wird eine Million Tonnen Haifleisch im Monat gegessen. Das Fleisch ist das, was an einem Hai wirklich teuer ist.«
Eine Million Tonnen? Costa Rica hat vier Millionen Einwohner, davon ein Drittel jünger als 14 Jahre. Eine Million Tonnen Haifleisch, das sind bei einem durchschnittlichen Hammerhai von zwei Meter fünfzig Länge und fünfzig Kilogramm Gewicht zwanzig Millionen Haie pro Monat. Wenn Frau Arrendondo Recht hätte, müsste jeder Einwohner im Monat fünf Haie à 50 Kilo essen. Frau Arrendondo behauptet weiter: »Nur sieben Tonnen Flossen pro Jahr werden aus Costa Rica exportiert.« Die aktuellste Statistik des Zolls von Hongkong, sie stammt aus dem Jahr 2001, weist allerdings 545 Tonnen importierte Flossen aus Costa Rica aus.
Silvia Arrendondo wählt eine Nummer und reicht den Hörer. »Zehn Dollar kostet das Kilo Haiflossen bei uns«, sagt Fabio Wang, Chef von Mariscos Wang, am Telefon. Getrocknete Flossen seien doppelt so teuer. Der Preis pro Flossenset, unbearbeitet, vier Stück, betrage im Durchschnitt zwanzig Dollar. »Wissen Sie, mit Flossen kann man nicht viel Geld verdienen.« Frau Arrendondo schüttelt den Kopf und verabschiedet sich: »Fragen Sie einfach die Behörden.«
Immer wieder beobachtet die Küstenwache Costa Ricas Fischkutter, die mit Bergen von Haiflossen anlegen. Und stets fehlen die Rümpfe der Haie. Die bisher gravierendsten Fälle wurden 2003 registriert. Im Mai wurden auf einem privaten Dock dreißig Tonnen Haiflossen von einem taiwanesischen Kutter abgeladen. Kein einziger Rumpf eines Hais war zu sehen. Die Küstenwache griff nicht ein, sie hatte nicht das Recht, das Dock zu betreten. Nur einen Monat später beobachtete die Küstenwache ein anderes Fangschiff, wieder hatte es Flossen an Bord, sechzig Tonnen diesmal. Die Küstenwache erbat einen Durchsuchungsbefehl bei der Fischereibehörde Incopesca, was diese ablehnte. Als die Küstenwache die Flossen filmte, erklärte Inco-pesca den Videobeweis für unzulässig.
Im Hai steckt die gesamte Verschmutzung des Meeres. Tote Tiere sind daher stark mit Quecksilber belastet. Haifleisch essen ist so ähnlich wie ein Fieberthermometer kauen. Niemand in Costa Rica isst freiwillig Hai. Für den Fisch spricht allein sein Preis: Das Kilo Haifleisch kostet vor Ort umgerechnet fünfzig Cent. Da Haie Harn im Gewebe speichern, steckt das Fleisch, neben der Queck-silberbelastung, voller Ammoniak. Wird der Hai nicht sofort nach dem Tod eingefroren, fängt er an zu stinken. Haie machen Arbeit. Und für das wenige Geld, das Haifleisch bringt, lohnt es sich nicht, Platz auf den Kuttern zu verschwenden.Flossen sind da sehr viel rentabler. Das Kilo kostet in Hongkong, dem Mekka des internationalen Handels, bei Großhändlern 600 Dollar. Für ein Set, vier Flossen, eines fünfzig Kilo schweren Hammerhais sind 1500 Dollar fällig. Vom Fang bis zum Endabnehmer kann eine Gewinnspanne bis zu 7500 Prozent erzielt werden. Schätzungen zufolge werden beim weltweiten Geschäft mit den Flossen zwanzig Milliarden Dollar im Jahr umgesetzt.
Die Weltnaturschutzorganisation IUCN, die das weltweit größte Programm zur Überwachung des Handels mit wild lebenden Tieren unterhält, schätzt, dass 2003 die gewaltige Menge von 11 662 Tonnen getrockneter Flossen nach Hongkong importiert wurde. Vermutlich waren es noch viel mehr. Auf den Märkten Hongkongs tauchen nämlich mehr Flossen auf als Haie in den Fangstatistiken.
Boris Frentzel-Beyme ist Meeresbiologe bei der Deutschen Elasmobranchier-Gesellschaft, einer Haischutz-Organisation aus Hamburg, die ihren Namen von der wissenschaftlichen Bezeichnung für Haie und Rochen ableitet, Elasmobranchii. Er vermutet, dass die offizielle Handelsstatistik bis zu fünfzig Prozent der in Hongkong gehandelten Flossen unterschlägt. Auch die Fischereidaten der Welternährungsorganisation FAO in Rom sind nämlich nur so gründlich wie die Daten der Mitgliedsländer. China, der weltgrößte Konsument von Haiflossensuppe, fängt der offiziellen Statistik zufolge keinen einzigen Hai.
Laut FAO werden weltweit mindestens hundert Millionen Haie im Jahr getötet. Haie gibt es seit 400 Millionen Jahren. Sie haben keine natürlichen Feinde und werden daher erst extrem spät geschlechtsreif, manche erst mit zwanzig Jahren. Den Aderlass der Raubtiere kann das nicht ausgleichen. Wenn das Töten der Haie so weitergeht, sagt Noah Anderson von der costa-ricanischen Haischutzorganisation Pretoma, können wir uns in zehn Jahren von den Tieren verabschieden. In den vergangenen 15 Jahren sind die Populationen aller Haiarten im Atlantik um mindestens die Hälfte geschrumpft. Blauhai: sechzig Prozent. Weißer Hai: 79 Prozent. Hammerhai: 89 Prozent.
Besuch bei der Firma Inversiones Cruz, Hai-flossenhandel. Der Wachmann am Tor trägt einen Revolver. Ein Manager erscheint, will allerdings seinen Namen nicht verraten. Er sagt, um heute überhaupt noch auf die Tiere zu stoßen, müsse man immer weiter aufs Meer hinausfahren. Noch vor zehn Jahren war es möglich, nach fünfzig Kilometern auf große Haischwärme zu treffen, mittlerweile reicht die zehnfache Distanz nicht aus. »Wir fangen sowieso nur Tunfische«, erklärt der Manager. Er sitzt in der Kantine des Docks. Hinter ihm hängt ein Plakat, Überschrift: »Haie dieser Welt«. Auf dem Firmentor von Inversiones Cruz schwimmt ein Hai durch blaues Wasser. Drei Angestellte kommen in den Raum, sie tragen T- Shirts, blütenweiß, bis auf den großen Hai auf ihrer Brust. »Gehen wir in mein Büro«, sagt der Manager, »aber besser nicht direkt am Dock vorbei, Sie könnten sich nur verletzen, ins Wasser fallen.« Nach ein paar beschwichtigenden Worten sieht er auf die Uhr und verabschiedet sich: »Fragen Sie einfach die Offiziellen. Auf Wiedersehen.«
Die Offiziellen sitzen bei Incopesca, der Fischereiaufsichtsbehörde in San José, der Hauptstadt Costa Ricas. Marvin Mora ist hier der technische Direktor und damit der wichtigste Mann im Lande für alle Fragen bezüglich des Haifangs und der privaten Docks. Sicher habe er Zeit für ein Gespräch, sagt er, »um was geht es denn«? Als er hört, um was es geht, sagt Herr Mora: »Oh, ach so, da fällt mir ein, ich habe ja jetzt noch einen Termin, verflixt, das habe ich ganz vergessen. Ich bin wirklich sehr beschäftigt, kommen Sie am Montag noch mal wieder, ich bin dann in Puntarenas.«
Am Montag ist Herr Mora nicht in Puntarenas. »Sie können Frau Ana Salas treffen, Koordinatorin für die Überwachung der Docks, die ist hier«, tröstet die Empfangsdame. Ein Anruf im Büro von Frau Salas ergibt, dass sie gerade keine Zeit hat, vielleicht später, so gegen zwölf Uhr. Gegen zwölf Uhr hat sie ein Meeting, »das kam ganz plötzlich«, bedauert die Empfangsdame. Ganz sicher gehe es nachmittags um zwei. Um zwei Uhr nachmittags ist Frau Salas nicht mehr im Haus. Sie komme heute nicht mehr wieder, rufe aber gern zurück.
Das örtliche Incopesca-Büro liegt am Ausgang der Stadt Puntarenas. Von hier führt die Straße direkt nach San José. Sie ist frisch asphaltiert, angeblich die beste des Landes. Als sich Anfang der achtziger Jahre die ersten taiwanesischen Fischer in Costa Rica ansiedelten, starteten sie das Programm »Puntarenas por Siempre« – »Puntarenas für immer«. Sie ließen die Stadt renovieren, bunte Blumenbeete anlegen und zahlten den Puntarenesen, die für sie arbeiteten, gute Löhne. Das machte Eindruck bei der Bevölkerung. Viele der asiatischen Einwanderer nahmen zusätzlich die costa-ricanische Staatsbürgerschaft an. Das machte Eindruck bei den Behörden.
Auch das offizielle Taiwan lässt sich nicht lumpen. Die Inselrepublik finanzierte allein in den letzten anderthalb Jahren eine Brücke für 22 Millionen Dollar und zwei Straßen für 50 Millionen Dollar, investierte 4,8 Millionen Dollar in die Entwicklung des Tourismus und 15 Millionen Dollar in die Erneuerung des Hafens von Puntarenas. Warum? 25 Länder weltweit erkennen Taiwan als unabhängigen Staat an, darunter Swasiland und Burkina Faso, Kiribati und die Marshallinseln. Und eben Costa Rica.
Im August 1993 war es das mittelamerikanische Land, das die Wiederaufnahme Taiwans in die Vereinten Nationen beantragte. Im Mai 1996 bedankte sich Taiwan mit der Einrichtung eines mittelamerikanischen Entwicklungsfonds über 300 Millionen Dollar. »Die taiwanesische Regierung hat sehr viel Einfluss hier«, sagt der Senator Rodrigo Alberto Carazo, der als einer der wenigen Politiker von Costa Rica gegen den Flossenhandel kämpft. »Und das Geschäft mit den Haien wird diese Beziehungen nicht stören.« In den Neunzigern waren drei Präsidenten Costa Ricas in Korruptionsfälle verwickelt, Geld aus Taiwan tauchte auf ihren Privatkonten auf. Auch der vorletzte Präsident Abel Pacheco wurde verdächtigt, seinen Wahlkampf mit Hilfe Taiwans finanziert zu haben. »Die Freundschaft zwischen Taiwan und Costa Rica basiert vor allem auf unseren gemeinsamen Werten«, erklärte Chen Shui-bian, der Präsident Taiwans, im September 2004 vor dem New Yorker Presseclub.
Das Zollhauptquartier der Kleinstadt Caldera, acht Kilometer südlich von Puntarenas, ist zuständig für die Überwachung der Pazifikküste Costa Ricas. Das Gebäude sieht aus wie die Turnhalle einer deutschen Gesamtschule in den Siebzigern. Der Pförtner zeigt sich überrascht, dass sich jemand für die Arbeit des Zolls interessiert. Omar Jimenez Camareno, der oberste Zöllner, sitzt inmitten eines länglichen Büros. Um ihn herum uralte Schreibmaschinen. »Wir haben hier alles im Griff«, prahlt der Zöllner, »wir kontrollieren die Fischerboote der Westküste, da geht nichts an uns vorbei, unsere sieben Kontrolleure arbeiten sehr gut.« Sieben Kontrolleure für die gesamte Pazifikküste? »Nein, Incopesca hat auch noch fünf.«
Es gibt 550 costa-ricanische Fischerboote und etwa 200 Boote aus Malaysia oder Indonesien, die erst gar nicht in Costa Rica landen, sondern gleich in ihre Heimatländer weiterfahren, für die der Zoll aber ebenfalls zuständig ist, da sie in den Hoheitsgewässern Costa Ricas fischen. Der Zoll hat keine Boote. Zoll und Incopesca registrieren einfach die von den jeweiligen Kapitänen selbst angegebene Ware. »Ja gut, wichtig für unsere Arbeit ist selbstverständlich Kooperation, aber wir haben ein gutes Verhältnis zu den Besitzern der privaten Docks, natürlich können wir die Docks betreten und alles überprüfen, wir melden uns vorher an und dann gehen wir rein.«
Wieso eigentlich Kooperation? Soll die Behörde nicht vielmehr kontrollieren? Dazu sagt Herr Camareno nichts, er müsse jetzt weiterarbeiten, der Besuch habe ihn sehr gefreut. »Ach, eins noch, ich kenne eine Expertin, die kann Ihnen weiterhelfen«, sagt der Offizielle. »Die Frau ist bekannt. Sie war mal ein Star im Fernsehen. Sie heißt Silvia Arrendondo.«