»In den Kühltheken der Supermärkte werden vorne die Nahrungsmittel präsentiert, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald erreicht wird. Nach einer Ausbildung in der Lebensmittelindustrie weiß ich aber, dass die Qualität der Waren nach ihrer Herstellung stetig abnimmt. So greife ich zu den meist hinten gelagerten Produkten, die erst kürzlich hergestellt wurden. Allerdings drängt mich meine Freundin, mit der ich an sich gerne einkaufen gehe, immer zum Sortiment vorne, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Muss ich tatsächlich auf Frische verzichten, die Verantwortung für eventuell schlechte Warenwirtschaft der Discounter übernehmen, und kann man sich nicht darauf verlassen, dass nach uns jemand anderes das bald ablaufende Produkt kauft?« Christian R., Berlin
Die übertriebene Gläubigkeit an das Mindesthaltbarkeitsdatum setzt eine ängstliche Persönlichkeitsstruktur voraus. Es wird ein Datum draufgestempelt, das ziemlich willkürlich ist (was weiß das Joghurt schon vom Mittwoch, den 2. Juli), sehr oft aber deutlich vor dem Termin liegt, an dem das betreffende Lebensmittel nicht länger genießbar wäre, und wer diesen großzügig bemessenen Termin auch noch unterschreiten möchte, muss schon ein bisschen neurotisch sein. Ich will damit nicht sagen, dass Sie in Ihrer Ausbildung völligen Unsinn gelernt haben, es klingt ja nur logisch, dass noch frischer einfach noch frischer ist, aber in Anbetracht der Tatsache, dass hierzulande pro Kopf jährlich etwa 76 Kilo Lebensmittel weggeworfen werden, und zwar unter anderem wegen falsch verstandener Mindesthaltbarkeit, kann man schon darüber nachdenken, ob Ihre Freundin nicht richtig liegt. Zumal Menschen auch nicht gleich tot umfallen, wenn sie mal etwas essen, das nicht erst in sechs Wochen ranzig wird oder zu schimmeln beginnt, sondern in drei bis vier.
Nachdem ich dies nun also festgestellt habe, muss ich zugeben, offenbar auch etwas neurotisch zu sein, denn es kam bestimmt schon vor, dass ich bei einem flüchtigen Datenabgleich dem weiter in der Zukunft liegenden den Vorzug gab. Ich muss Ihnen also für Ihre Frage danken, die mir Gelegenheit gibt, darüber nachzudenken, ob ich in Zukunft nicht anders handle. Beziehungsweise Ihrer Freundin, über die Sie so nett schreiben, dass Sie an sich gerne mit ihr einkaufen gingen, wobei Sie es fertigbringen, in nur zwei Wörtern die alltäglichen Herausforderungen einer Beziehung zu skizzieren. An sich könnte alles so schön sein, würde der andere nicht immer alles besser wissen – und hätte hier und da nicht auch noch recht!