»Warum gibt es eigentlich eine Klassengesellschaft bei der Deutschen Bahn? Und warum setzt sich niemand für deren Abschaffung ein?« Christoph H., Hannover
Der Grund ist der gleiche, aus dem es etwa auch in der Oper und im Fußballstadion unterschiedliche Preiskategorien gibt. In der ersten Klasse der Bahn hat man eine verstellbare Fußablage, in der Opernloge einen gepolsterten Sessel, auf den VIP-Plätzen im Stadion direkten Zugang zur Gastronomie. In vielen Opernhäusern sind die billigsten Plätze so weit oben, dass die Sicht auf die Bühne eingeschränkt ist: Genauso gab es früher eine vierte Bahnklasse mit fast nur Stehplätzen. So kommt man auch ohne viel Geld in den Genuss von Musik oder einer Zugfahrt. Es ist also im Grunde eine demokratische Einrichtung, die ärmeren (oder sparsamen) Menschen zugutekommt. Ganz einfache Rechnung: Würde man die erste Klasse abschaffen, würden sich für die zweite die Preise erhöhen. Geschichtlich gründet sich die Klassengesellschaft der Bahn auf die Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts, in dem die öffentliche Eisenbahn aufkam. Ursprünglich bildete sie den sozialen Status ab, fuhren Arbeiter vierte Klasse, Adlige erste und so weiter.
Mit alledem ist vielleicht auch Ihre zweite Frage schon beantwortet, zu der mir viele Gegenfragen einfallen: Warum setzt sich niemand für die Abschaffung des Zweiklassensystems im Gesundheitswesen ein – oder jedenfalls nicht sonderlich laut? Warum begehrt die Welt nicht dagegen auf, dass die Reichsten der Reichen die politische Macht an sich reißen? Warum darf irgendjemand mehr als eine Milliarde Dollar besitzen? Wie kann es sein, dass man Flüge zum Mars plant, während auf der Erde Kinder verhungern? Warum zahlen wir blöd Steuern, die weltgrößten Konzerne aber nicht? Warum wird nicht dauerdemonstriert für schönere Städte mit mehr Bäumen und weniger Autos? Wie kann es sein, dass ein paar Männer so unfassbar viel Leid und Schaden auf der Welt anrichten und sie damit durchkommen?
