Das Ende des Hasenmärchens

Die achtjährige Enkelin unserer Leserin glaubt noch an den Osterhasen. Die Mutter würde dem Mädchen gern die Wahrheit sagen – hat aber Angst vor Vertrauensverlust. Was tun?

Illustration: Serge Bloch

»Meine Enkelin ist acht Jahre alt, und sie und ihre Freundin sind die Einzigen in der Klasse, die noch an den Osterhasen glauben. Sie hält daran fest, weil ›meine Mama mich nicht anlügt‹. Die Mama weiß nun nicht, wie sie aus der Nummer herauskommen kann, ohne das Vertrauen ihrer Tochter zu zerstören. Gibt es einen Königsweg?« Maja H., per Mail

Ach, ist das nett. Etwas Süßeres gibt es ja gar nicht als so eine Achtjährige, die sich den Glauben an Wunder bewahrt hat, allen Anfechtungen der Realität zum Trotz. Einfach, weil sie ihre Mutter so liebt. Wahnsinnig niedlich auch, dass sie sich mit ihrer Freundin ­offenbar über den Osterhasen unterhält. Sonst wüssten Sie ja nicht, dass auch die Freundin noch an ihn glaubt. Es werden hier also zwischen zwei Achtjährigen völlig ernsthafte Gespräche über den Osterhasen geführt, und es bricht einem das Herz, dass man den beiden ihre Illusion wohl bald rauben muss, denn früher oder später kommen sie sonst von allein dahinter. Kinder mögen kleiner sein als wir und auch unerfahrener, aber sie sind nicht dumm und werden vor allem nicht gerne für dumm verkauft.

Es ist daher leider an der Zeit, dass Ihre Enkelin die Wahrheit erfährt. Und zwar: von ihrer Mutter. Mit acht Jahren ist man in der Lage, den Unterschied zwischen einer Lüge und einem Brauch zu verstehen, der sich seit Jahrhunderten eingebürgert hat, ohne dass irgendjemand genau weiß, warum. Sie fragen nach einem Königsweg, vielleicht ist es dieser: Man kann Kindern alles sagen, wenn man es nur ehrlich erklärt. Die ­Mutter wird bestimmt wissen, wie sie ihre Tochter am besten ins Vertrauen zieht. Es ist auf keinen Fall beleidigend zu hören, dass man nunmehr alt genug sei, die Wahrheit zu ­erfahren. Möglicherweise macht es Ihre ­Enkelin stolz, wenn sie zum ersten Mal selbst Eier verstecken darf. Und sollte sie kurz sauer sein, hält die Mutter das aus. Ich kann bis heute die Wut in mir spüren, die mich ergriff, als ich, Älteste von drei Geschwistern, einen Bekannten meiner Eltern dabei erwischte, wie er sich in unserer ­Garage als Nikolaus umzog. Ich hätte es gut gefunden, vorher von einer erwachsenen Bezugsperson ins Vertrauen gezogen worden zu sein.