Es passt zur schlichten Schönheit dieses Ortes, dass er mit seinen Vorzügen nicht hausieren geht. Man muss sie sich verdienen. Briol in Südtirol ist weder leicht zu finden noch leicht zu erreichen. Von der Ausfahrt Klausen geht es erst nach Barbiano und dann über diverse Serpentinen den Westhang hinauf bis Dreikirchen. Dort bestellt man ein Taxi und stellt sein Auto am nahegelegenen Bolzplatz ab. Warum? Weil hier mit dem asphaltierten Straßennetz auch die Welt der Navigationsgeräte endet und etwas Neues beginnt, eine andere Zeitrechnung. Und weil alles andere selbstmörderisch wäre.
Das Taxi ist ein hochgebirgstauglicher Geländewagen. Am Steuer sitzt Hermann Torggler, geschätzte 75 Jahre alt. Seit gut 40 Jahren kutschiert er die Gäste durch einen Wald- und Wurzelweg hinauf nach Briol auf 1300 Meter Höhe. Die Passage hat es in sich: In Schrittgeschwindigkeit holpert Torggler aberwitzige Steigungen hinauf und hat immer ein Paar Geschichten parat, um seine Passagiere bei Laune zu halten. Zum Beispiel von der wohlhabenden Ärztin, die jahrzehntelang jeden Sommer nach Briol kam und noch in hohem Alter am liebsten bei Regen durch die Büsche stieg: Das hält jung. Oder von den Pflanzenkundlern, die hier regelmäßig durchs Gelände streifen, weil es hier noch all die Blumen gibt, die woanders schon ausgestorben sind.
Nach einer guten Viertelstunde hat die Schaukelei ein Ende und man greift dankbar nach dem Schnaps, den Besitzerin Johanna von Klebelsberg ihren ankommenden Gästen meist persönlich überreicht. Als Erstes fällt auf, dass es hier trotz der grandiosen Dolomitenkulisse am Horizont gegenüber, den urwüchsigen Almwiesen rundherum und dem knarzenden Interieur keinen rustikalem Alpenkitsch zu sehen gibt. Die 17 Gästezimmer (verteilt auf zwei Häuser, unbedingt das obere nehmen!) sind schlicht und praktisch eingerichtet, Dusche und Toiletten befinden sich auf dem Gang, Fernseher und Internetanschluss sucht man vergebens, und doch wirkt das ganze Haus auf eine ganz eigene Art formvollendet - als hätte jemand die Strenge des Bauhaus-Stils in gemütliche Hüttenarchitektur gegossen.
Es war ein gewisser Hubert Lanzinger, Maler und Architekt, der die einstige Sommerfrische-Villa vor mehr als 80 Jahren im Stile der Wiener Moderne umbauen ließ. Kantig wie ein Ziegelstein sitzt das Anwesen im Hang, das Dach ist flach, zur Ostseite hin öffnet sich eine Holzloggia. Seit damals hat sich nichts verändert, was man schon an den wettergegerbten Holzschindeln ablesen kann, die den Bau im ersten Stock umgeben. Gekocht wird auf alten gusseisernen Öfen, gegessen in der holzvertäfelten Stube, bei gutem Wetter auch auf der Sonnenterrasse mit Blick auf Langkofel und Sella. Abends ruft ein Gong zu Tisch (Zimmerpreise sind inkl. Halbpension, mittags gibt es Salatbar, nachmittags selbst gemachten Kuchen). Das ausgezeichnete Essen, meist Südtiroler Gerichte nach ursprünglichen Rezepten, ist einer der vielen Gründe, warum es auf Briol so viele Stammgäste gibt. Der andere ist das gute Gefühl, Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft zu sein, denn Briol eignet sich weder als schneller Zwischenstopp für Durchreisende noch als bloße Schlafmöglichkeit. Briol ist ein Seinszustand - irgendwo zwischen Askese und Müßiggang. Ein Paar Tage sollte man also schon bleiben, um seinen Puls herunterzudimmen. Erst dann wird einem bewusst welch ein Luxus die vollkommene Abwesenheit dessen sein kann. Wer will, geht die Wanderwege hinauf (z.B. zum 2.260 Meter hohen Rittner Horn) oder hinunter nach Dreikirchen, um den windschiefen Kirchturm zu bewundern, entspannt sich am quellwasserkalten Pool oder tut das, was man hier am allerbesten kann: nichts.
Pension Briol, Johanna & Urban von Klebelsberg 39040 Barbian-Dreikirchen/Barbiano-Tre Chiese, Tel./Fax: 0039/0471/650125, www.briol.it Geöffnet von Ende April bis Ende Oktober. DZ ab 72 Euro (inkl. Halbpension)
Mit wem hinfahren: Allein. Oder mit Familie, es gibt einen Pool, einen Spielplatz, ein Trampolin und Wald und Wiesen ohne Ende.
Was unbedingt: Einen ganzen Nachmittag im Liegestuhl auf einer der umliegenden Almwiesen verdösen und dabei Robert Walsers „Der Spaziergang" lesen.
Welches Zimmer: Eines zur Ostseite mit Loggia und Bergblick.
Unbedingt essen/trinken: Knödeltris mit Bergkräutern und frisch gepflückten Waldpfifferlingen und den Marillen-Datschi am Nachmittag.
Was man im Hotel am liebsten klauen würde: Den holzbefeuerten Bauernherd aus dem Jahre 1850.
Nicht perfekt: Beschwerliche Anreise.