Ringkampf

Eigentlich wäre es nett, wenn wir Menschen Jahresringe hätten wie Bäume. Bitte schön, das ist doch ein gutes und ehrliches System: Schlechtes Jahr gleich schmaler Ring, gutes Jahr gleich fetter Ring. Wachsen, wenn es geht, durchhalten, wenn die Zeiten mager sind, aber Zurück gibts keines. Am Ende hat so ein Baum die stolze Chronik seines Lebens im Stamm und erzählt mit seiner ganzen Statur davon, wie die Umstände waren. Wenn aber Menschen bemerken, dass sie im Begriff sind, Ringe anzusetzen – Katastrophe! Dann kaufen sie Zeitschriften, übrigens auf Kosten von Bäumen, und befolgen jeden Tipp, um binnen drei Wochen alle Ringe wieder loszuwerden, denn sie wollen sich am Strand zeigen, statt sich immerzu im dunklen Wald verstecken zu müssen. Lieber möglichst wenig Beweis für die gelebten Jahre, lieber immer wieder ein Gürtelloch zurückstellen. Ja, wollen wir denn das ganze Leben lang aussehen wie eine kleine Tanne, die sich im Wind biegt?

Naturverbunden: Gürtel aus dunkelblauem geflochtenem Nappaleder, von Ermenegildo Zegna.

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Foto: Markus Burke