Die Rembrandt-Detektive

In der Kunstwelt kann ein schnelles Urteil gigantische Werte schaffen – und genauso schnell vernichten. Vom harten Kampf um die alten Meister.


Das englische Auktionshaus Moore Allen & Innocent versteigert normalerweise Traktoren und Mähdrescher an die Landbevölkerung. Aber am 26. Oktober 2007 kam unter der Losnummer 377 auch ein kleines Ölgemälde zum Schätzpreis von 1500 Euro unter den Hammer. Laut Katalog stammte es von einem »Rembrandt-Nachfolger« und zeigte »den jungen Rembrandt als lachenden Philosophen«. Ein Dachbodenfund, nicht mehr.

Dann geschah etwas Unglaubliches: Kaum hatte der Auktionator die Losnummer 377 aufgerufen, gingen die Gebote in 100 000-Pfund-Schritten nach oben. Der Zuschlag ging schließlich an den Kunsthändler Hazlitt, Gooden & Fox, dem die Wette auf einen echten Rembrandt 2,2 Millionen Pfund Sterling (2,8 Millionen Euro) wert war - zu viel für einen Rembrandt-Nachfolger, aber ein Schnäppchen, sollte sich die Ahnung als richtig herausstellen.

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Eins ist klar: Dem leibhaftigen Rembrandt hätte es gefallen, dass sein Selbstporträt fast 350 Jahre nach seinem Tod unter lauter Pflugscharen und Mistgabeln gehandelt wurde wie ein Zuchtbulle auf dem Viehmarkt.

Der Maler galt schon zu Lebzeiten als Genie. Aber wenn es um das Geschäft ging, blieb der Sohn eines Müllers stets bodenständig. Rembrandt wusste, dass er für den Markt arbeitete, und er wusste auch: Einer verliert immer bei solchen Geschäften, entweder der Käufer oder der Verkäufer.

»Niemand zahlt 2,2 Millionen Pfund für einen Rembrandt-Nachfolger«, erklärte nach der Auktion Jan Six, Experte für alte Meister in der Amsterdamer Niederlassung von Sothebys. »Wäre das ein bekannter Rembrandt gewesen, würde er zehn Millionen Pfund bringen.« Six muss es wissen: Er wuchs in einer noblen Amsterdamer Familie quasi mit Rembrandt auf - in Form eines Gemäldes seines Urahns Jan Six des Ersten, den der Meister 1654 in Öl verewigte.

Seitdem tragen alle Erstgeborenen aus dem Hause Six den gleichen Vornamen. Der Kunsthändler ist bereits Jan der Elfte, aber der Erste wirft noch immer seine strengen Blicke aus dem Salon des vornehmen Bürgerhauses an der Amstel auf die Straße. Der Junior ist gerade aus dem Haus, also führt Jan Six der Zehnte durch die Gemächer und gerät vor dem Porträt seines Vorfahren ins Schwärmen: Die Farben! Das Licht! Die Leichtigkeit!

Mit flinker Hand und ohne Detailtreue hat Rembrandt die Schlaufen des roten Umhangs auf die Leinwand geworfen und sie so umso echter erscheinen lassen. »Er hat sie einfach mit dem Finger hingewischt«, sagt Jan der Zehnte und weist mit dem manikürten Zeigefinger auf Jan den Ersten. »Schauen Sie, hier, das ist Rembrandts Fingerabdruck!«

Im Fall des lachenden Rembrandts war sich Jan Six der Jüngste auch ohne Fingerabdruck sicher, dass es sich um eine gute Investition handelte. Nachdem Hazlitt das Gemälde gekauft hatte, verließ Six Sothebys, gründete seine eigene Kunsthandlung und ging eine Kooperation mit Hazlitt ein.

Dort will man sich zum Verbleib des lachenden Rembrandts nicht äußern. Besucher des Ladengeschäftes in der Bury Street in London werden von einer nervösen älteren Frau an der Türschwelle abgewimmelt: »Das Bild ist nicht mehr hier, es gibt nichts weiter zu sagen.«

Ein möglicher Rembrandt ist eine Millioneninvestition - er kann einen reich machen oder bankrott. Wenn der anonyme Verkäufer an jenem Oktobertag 2007 für sein Bild acht Millionen Euro zu wenig bekam, lag das auch daran, dass Ernst van de Wetering gerade in Urlaub und nicht erreichbar war.

Denn Meinungen gibt es viele über Rembrandt. Aber nur eine, die auf dem internationalen Kunstmarkt zählt: Wenn Ernst van de Wetering sagt, ein bisher anonymes Gemälde wie der lachende junge Mann sei von Rembrandt, dann schnellt der Wert des Bildes schnell von einigen Tausend auf viele Millionen Euro.

»Dieser Mann ist so mächtig wie ein römischer Kaiser«, sagt der Londoner Kunsthändler Philip Mould. Der Rembrandt-Restaurator Martin Bijl nennt ihn »den wichtigsten Kunsthistoriker der letzten 50 Jahre«.

Wenige Monate nach der Auktion inspizierte van de Wetering den lachenden jungen Mann und erklärte ihn für echt. Hurra – es ist ein Rembrandt!

Der Kunstexperte hatte unter dem Selbstporträt Spuren eines übermalten Gemäldes entdeckt – nicht untypisch für den frühen Rembrandt, der oft Gemälde übermalte, die er nicht verkaufen konnte. Das Bild war mit den Buchstaben »RHL« signiert: Rembrandt Harmenszoon aus Leiden. Um eine Fälschung auszuschließen, untersuchte van de Wetering die Signatur unter dem Mikroskop. Dabei stellte er fest, dass die Pinselstriche mit der darunterliegenden Farbschicht verbunden waren. Das Gemälde musste also signiert worden sein, als die Farbe noch nass war. Das allein macht ein Gemälde zwar noch nicht zu einem echten Rembrandt, aber auch sonst passte alles: Motiv, Material, Ausführung. Also gab der Übervater der Rembrandt-Forschung dem kleinen Gemälde nicht nur seinen Segen, sondern auch gleich einen Namen. Er taufte es Der lachende Rembrandt.

Die Spielregeln beim Rembrandt-Roulette

Jan Six war bei Sotheby’s für alte Meister zuständig - und kennt Rembrandt schon sein ganzes Leben: Ein Vorfahre wurde von Rembrandt porträtiert.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die vermeintliche Arbeit eines Rembrandt-Nachfolgers als Original erweist. Seit einigen Jahren spüren die Rembrandt-Detektive um Ernst van de Wetering immer wieder unbekannte Werke des Holländers auf und versetzten die Kunstwelt in Aufregung.

2002 hatte das Porträt eines russischen Edelmanns aus dem 17. Jahrhundert seinen großen Auftritt im Amsterdamer Rembrandthuis. Van de Wetering und sein Team entdeckten unter dem drittklassigen Make-up ein Selbstporträt Rembrandts. Es war noch im Studio von einem Schüler übermalt worden - wohl im Auftrag des Meisters, um das Bild leichter verkaufen zu können.

Erst nachdem der Restaurator Martin Bijl die oberen Farbschichten abgetragen hatte, wurde das berühmte Chiaroscuro deutlich, jenes Spiel mit Licht und Schatten, das Rembrandt meisterhaft beherrschte. Sogar eine übermalte Signatur Rembrandts von 1634 entdeckte Bijl.

Vielleicht kein Zufall, dass ausgerechnet ein Casino-Besitzer - der Milliardär Steve Wynn aus Las Vegas - das Gemälde 2003 für fast neun Millionen Euro bei Sothebys ersteigerte. Es war das erste Selbstporträt des Niederländers auf einer Auktion seit 30 Jahren. So sind die Spielregeln beim Rembrandt-Roulette: hoher Einsatz, hohes Risiko und ein üppiger Jackpot für Gewinner.

Auch die jüngste Sensation, ein neu entdeckter Alter Mann mit Bart, wurde von Bijl restauriert und von vande Wetering für echt befunden, bevor das Museum Rembrandthuis ihn im November 2011 der Öffentlichkeit präsentierte: Hurra, noch ein Rembrandt!

Woher kommen die alle?

Rembrandt hat im 17. Jahrhundert die Malerei neu erfunden mit seinem Realismus von Licht und Farbe. Aber heute, ein paar Hundert Jahre später, sieht man ohne Nachhilfe nicht mehr viel davon.

Dabei geht es Bildern nicht anders als Menschen. Mal ist der ungesunde Lebenswandel schuld, und eine Nikotinschicht verleiht dem Ahnenporträt einen gelblichen Teint. Mal sind es natürliche Prozesse, die alte Meister alt aussehen lassen. Das Bleiweiß in den Gesichtern etwa dunkelt im Laufe der Jahrhunderte ab, weil die Säure das Öl in der Farbe frisst.

Irgendwann landen die altersschwachen Meister dann bei Martin Bijl. Mit seinen Silberlocken und dem Range Rover vor der Tür könnte man den Holländer für einen smarten Schönheitschirurgen halten, und ganz falsch läge man damit nicht.

Aber seine Patienten sind 400 Jahre alt. Bijl ist Gemälderestaurator, Experte für die niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts - und einer der besten. Bijl bessert nicht nur Schäden aus, er ist ein forschender Restaurator. »Er ist wie besessen von Rembrandt«, sagt Ernst van de Wetering, »so wie ich auch.«

Äußerlich deutet nichts darauf hin, welche Schätze sich hier, eine Dreiviertelstunde von Amsterdam entfernt, hinter der unscheinbaren Fassade von Bijls Atelier versammelt haben.

Die alten Meister hängen nicht, sie lehnen an der Wand, nackt, ohne Rahmen und ziemlich verwüstet von den Spuren der Zeit: Da steht ein früher Rubens, dort ein mittlerer van Ruysdael, hier ein halber Frans Hals.

Allein von Rembrandt hat Bijl, der ehemalige Chefrestaurator am Amsterdamer Rijksmuseum, mehr als 20 Werke restauriert und ganz nebenbei dazu beigetragen, dass manch unbekannter Rembrandt unter alten Farbschichten wieder ans Licht kam.

Das Rembrandt-Ohr

Der Kunsthistoriker Ernst van de Wetering ist ein mächtiger Mann: Gemälde, die er für einen echten Rembrandt hält, sind Millionen wert.

»Alle Informationen sind im Bild, man muss sie nur herausholen«, erklärt Bijl. Viele Gemälde kommen als Ruinen in sein Atelier. Zerstört vom Zahn der Zeit, verpfuscht von Restauratoren, verhunzt durch Übermalungen fristet manches Meisterwerk sein Schattendasein als drittklassige Kopie.

Als er den Alten Mann mit Bart zum ersten Mal sah, hatte er einen Verdacht: Das Ohr schien viel zu jung für einen Greis. Da lohnte es sich nachzuforschen, ob es nicht ein Rembrandt-Ohr sein könne.

Gerade hat Bijl wieder so einen Fall. Er legt das Skalpell beiseite, holt ein Holztäfelchen aus der Schublade und streicht mit einem in Waschbenzin getunkten Wattebausch über den darauf abgebildeten orientalisch gewandeten Mann. »Könnte von Rembrandt sein«, sagt Bijl und betrachtet den Turban. »Aber wir sind uns noch nicht sicher.« Für die Besitzer, eine Familie in Deutschland, wäre es nicht nur ein ästhetischer Unterschied. Als echter Rembrandt wäre die kleine Holztafel locker über zehn Millionen Euro wert.

Seit Rembrandts Tod haben Museen einen Großteil seines bedeutenden Werkes aufgekauft. Von den Dutzenden Selbstporträts befanden sich vor zehn Jahren nur noch drei in privater Hand.

Früher sah es anders aus: Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden Rembrandt alle möglichen Werke von Schülern und Nachahmern zugeschrieben, solange sie nur »rembrandtesk« genug aussahen. Von 600 Rembrandt-Gemälden befänden sich 2000 in Amerika, juxte damals Wilhelm von Bode, Direktor des Kaiser-Friedrich-Museums zu Berlin.

Seitdem ist das Werk Rembrandts ziemlich geschrumpft. Schuld waren ausnahmsweise nicht Krieg und Zerstörung, sondern eine Gruppe holländischer Kunsthistoriker, die sich in den späten Sechzigerjahren das ehrgeizige Ziel setzten, einen Katalog aller Rembrandt-Gemälde zu erarbeiten.

Die Idee war nicht neu, aber ihre Umsetzung so radikal, dass sie die Welt der Rembrandtforschung auf den Kopf stellte. Und sie passte gut in die Atmosphäre der späten Sechzigerjahre. Autoritäten anzweifeln! Wahrheiten hinterfragen! Alle mal abstimmen!

Fortan sollte nicht mehr das Urteil eines einzelnen Kunstkenners über die Authentizität von Rembrandt-Gemälden entscheiden, sondern ein Kunstkenner-Kollektiv.

Statt sich, wie damals üblich, auf Katalogreproduktionen zu verlassen, reisten die Mitglieder des »Rembrandt Research Project« (RRP) in Zweierteams um die Welt und schauten sich in Museen und den Residen-zen reicher Sammler die Originale an. War ein Gemälde auf Leinwand gemalt, untersuchten sie deren Webstruktur. War es auf Holz, zählten sie die Ringe und bestimmten so das Jahr, in dem der Baum gefällt worden war.

Vierzehn Jahre ließen sich die Kunstexperten Zeit, dann begannen sie, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Die ledergebundenen Folianten des Corpus of Rembrandt Paintings weckten schon durch ihr Gewicht Zweifel an der Aussage seiner Herausgeber, sie sagten ja nur mal ihre Meinung.

Denn diese Meinung war eindeutig: Die untersuchten Gemälde wurden in drei Kategorien eingeteilt: A = eindeutig Rembrandt, B = möglicherweise Rembrandt, und C = garantiert kein Rembrandt. Aus lauter Meisterwerken waren auf einmal Werke ohne Meister geworden. War ein Bild nicht des Meisters würdig, schrieben die Experten es dem »Rembrandt-Umfeld« zu.

Der kategorische Kunstimperativ stieß bald auf Kritik. Museumskuratoren in New York, Stockholm und Den Haag fanden manches Meisterwerk aus ihren Sammlungen auf den hinteren Plätzen der neuen Rembrandt-Bibel wieder.

Als 1985 publik wurde, dass die Amsterdamer den Polnischen Reiter der Frick Collection in New York für das Werk eines Rembrandt-Schüler hielten, war die Empörung groß, und die Holländer wurden als »Amsterdam-Mafia« beschimpft. Schließlich traf es sogar den Mann mit dem Goldhelm, der 80 Jahre lang als eines der berühmtesten Rembrandt-Gemälde galt - eine Ikone der Weltkunst. Die Gemäldegalerie Berlin kam den Rembrandt-Richtern zuvor und schrieb das Gemälde einem Schüler zu.

Aber ist ein Meisterwerk kein Meisterwerk mehr, nur weil es nicht mehr von Rembrandt sein soll? Und muss ein Rembrandt immer ein Meisterwerk sein? "Die haben viel zu engstirnige Kriterien dafür, wann ein Bild als Rembrandt-Original zu betrachten ist", kritisiert der angesehene Rembrandt-Kenner Gary Schwartz.

Der Amerikaner lebt seit vier Jahrzehnten in Holland und betätigt sich ebenso lang als Stachel im Fleisch des Rembrandt-Komitees. Er hat einflussreiche Bücher über Rembrandt publiziert und Ernst van de Wetering mit seinen Einwürfen zur Weißglut getrieben.

Schwartz wirft dem Rembrandt-Detektiv vor, keine Kritik zuzulassen. »Im Vorwort zum vierten Band des Rembrandt-Corpus zitiert er fast nur noch sich und seine Mitarbeiter. Wenn van de Wetering forscht, scheint es, dann erforscht er vor allem sich selbst.«

Das RRP mit seinen ABC-Kategorien wurde zu einer Art staatlicher Rembrandt-Rating-Agentur. Jahrzehntelang förderte die niederländische Regierung die Rembrandt-Forscher mit einem Millionenetat. »Es gibt auf der Welt nichts Vergleichbares«, sagt der britische Museumsdirektor Christopher Brown, »kein Turner-Komitee in Großbritannien, kein Dürer-Komitee in Deutschland.«

Irgendwann übernahm van de Wetering die Führung im Alleingang. So manches Urteil hat er inzwischen revidiert. »Ich bin der Auffassung, dass wir lieber einen falschen Rembrandt zu viel haben, als einen eigenhändigen zu wenig.« Seitdem wächst das Werk langsam wieder, manchmal sogar gegen den Willen der Besitzer: 2010 verkündete van de Wetering, das Bild Tobit und Anna im Bojmans Museum in Rotterdam sei ein echter Rembrandt. Der Kurator Jeroen Giltaij gab sich uneinsichtig. Das Gemälde sei keinesfalls von Rembrandt, die Hände der Frau viel zu grobschlächtig gemalt. »Rembrandt malte Hände, die man selber gern schütteln würde.«

Die»leerjongen«

Präzise wie ein Chirurg legt der Restaurator Martin Bijl die unteren Farbschichten alter Ölgemälde frei. So hat er schon einige Schätze entdeckt - unter anderem mehrere Bilder von Rembrandt.

Ernst van de Wetering ist ein jovialer Mensch. Aber er lässt sich nicht als Kunststandrichter vereinnahmen. »Ich bin doch nicht die Rembrandtpolizei.«

An diesem Vormittag schlendern neben dem Rembrandt-Experten und seiner Frau nur wenige Besucher durch das Rijksmuseum in Amsterdam. Seit neun Jahren wird hier umgebaut, die Museumsleitung hat ein paar Räume provisorisch hergerichtet und mit dem Besten vollgestopft, was sie besitzt: vier Vermeers, sechs Frans Hals und - hurra! - 19 Rembrandts.

Van de Wetering steht vor dem Nationalheiligtum, der vielköpfigen Mona Lisa Hollands: Rembrandts Nachtwache. »Nicht sein bestes Bild«, findet der Holländer und zuckt mit den Schultern. Die Tuchmachergilde im Nebenraum - viel besser! Also weiter. Sechs strenge Herren schauen, als habe der Künstler sie bei der Arbeit überrascht - ein gigantischer Schnappschuss in Öl. Van de Wetering baut sich davor auf und gerät in Fahrt: »Schauen Sie, der Kragen dort, wie lebensecht! Der beste Kragen der ganzen Kunstgeschichte!«

In einem anderen Raum hängen kleinere Bilder. Manche kaufte das Museum vor langer Zeit als Rembrandt-Originale. Heute stehen andere Namen daneben - die von Rembrandt-Schülern. Viele fingen im Alter von zwölf Jahren als »leerjongen« an, die Frondienste wie Farbenmischen oder Leinwandpräparieren erledigen mussten. Im Gegenzug lernten die Talentiertesten unter ihnen, den Stil des Meisters zu kopieren. Nach der Ausbildung konnten sie ihrem Chef als Mal-Knechte bei der Studioproduktion zur Hand gehen.

Denn Rembrandt wurde schon früh so berühmt, dass er Gemälde nur mit seinem Vornamen signieren musste. Bald drängte die Prominenz in sein Studio, um sich von ihm porträtieren zu lassen. Selbst einem Genie wäre es unmöglich gewesen, die Nachfrage nur mit den eigenen Händen zu bedienen. Oft schauten die Kunden nur kurz vorbei, der Meister fertigte eine Skizze, ließ dann einen Schüler das Bild malen und setzte zum Abschluss noch hier oder da einen Genietupfer.

Von einem Detail zum nächsten fliegen Ernst van de Weterings Finger über die Porträts der Amsterdamer Elite des 17. Jahrhunderts. Dieses Ohrläppchen hier – so konnte nur er malen! Diese Hand dagegen – plump und blass, bestimmt nicht von Rembrandt.

Rembrandt hatte ein besonderes Faible für Selbstporträts. Er malte zeitlebens so viele davon, dass das Rijksmuseum sogar ein Daumenkino mit den ganzen Konterfeis des Meisters verkauft. Aber er tat es nicht aus Eitelkeit: »Bildnisse von Künstlern, darunter auch Selbstbildnisse, waren seine Visitenkarte, sie wurden gehandelt wie heute Sammelbilder von Fußballspielern«, sagt Ernst van de Wetering.

Auch das Ehegattensplitting war dem alten Meister bekannt. »Das ist meine Lieblingshypothese im Moment«, erklärt van de Wetering: »Ehepaare gingen zusammen ins Studio und wurden gleichzeitig gemalt.« Der eine von Rembrandt, der andere von einem Assistenten. Der Meister signierte und kassierte für beide – den Käufern war alles recht, solange Rembrandt draufstand. Die heutige Kundschaft sieht es anders – kein Wunder, wenn der Unterschied zwischen einem echten Rembrandt und einer Schülerarbeit einen zweistelligen Millionenbetrag ausmacht.

Jede Woche bekommt van de Wetering Post von Leuten, die einen Rembrandt auf dem Dachboden entdeckt zu haben glauben. »Das meiste ist Mist. Aber bestünde nur eine Wahrscheinlichkeit von einem Prozent, würde ich mir das Bild selbst anschauen. Das
hat schon zur Entdeckung einiger mir unbekannter Rembrandts geführt.«

Wie stellt man Patina künstlich her?

Der Amerikaner Gary Schwartz zweifelt am Urteil der etablierten Rembrandt-Forscher. Sie tun so, als ob jedes Bild des Meisters automatisch ein Geniestreich wäre.

Wenn er ein Gemälde begutachte, sagt Ernst van de Wetering, bezahle er die Reise zu seinem Besitzer immer selbst. »Über Geld wird nicht gesprochen. Der Preis eines Gemäldes interessiert mich überhaupt nicht.« Angesichts der Bedeutung, die seine Urteile für den Kunstmarkt haben, soll nicht der Hauch eines Verdachts aufkommen, er sei beeinflussbar.

Als der kanadische Filmproduzent Kevin Sullivan ihm ein Foto des Alten Mannes mit Bart schickte, war für van de Wetering so ein Ein-Prozent-Moment gekommen. »Ich sah, dass es Rembrandtsche Qualität hatte. Ich sah, dass der Zustand sehr schlecht war. Und ich sah ein anderes Bild darunter.«

Aber er verlässt sich nicht allein auf seinen durchdringenden Blick. Mit Infrarotkameras erkennt van de Wetering die Kohlenstoffspuren verborgener Bleistiftskizzen unter der Farboberfläche. Auf Kongressen verstört er Kollegen mit Begriffen wie »Neutronenaktivierungsautoradiographie«. Während andere Kunstkenner über Gestalt und Ikonografie eines Gemäldes rätseln, lässt van de Wetering alte Meister im Teilchenbeschleuniger verschwinden. Dafür hat er Leute wie Joris Dik. Der Materialwissenschaftler an der Universität Delft hat mit dem belgischen Chemiker Koen Janssens eine Technik entwickelt, mit der man chemische Verbindungen von Farbschichten sichtbar machen kann.

Im Teilchenbeschleuniger spürt er den Zinnoberrot-Atomen einer übermalten Wange und dem Bleizinngelb eines ausgelöschten Haarzopfs nach. Auch im Falle des Alten Mannes mit Bart wurde Dik fündig. Im Röntgenfluoreszenzspektrometer tauchte unter dem Greisengesicht eine jüngere Figur auf.

Da war er wieder, der junge Mann mit dem geheimnisvollen Gesicht. Oder war er es nicht?

Die Experten sind uneins. »Von Meisterwerken wie dem Porträt des Jan Six führt kein Weg zum Lachenden Rembrandt und anderen jüngst gelobten Bildern«, meint der deutsche Kunsthistoriker Claus Grimm. Van de Wetering aber ist sicher: Es kann sich nur um das jugendliche Antlitz des Meisters handeln.

Nur Rembrandt schweigt und lacht noch immer. Man kann nicht genau sagen, ob sein Lachen freundlich ist oder feixend. Aber es ist so geheimnisvoll wie das Lächeln der Mona Lisa und scheint die Betrachter zu verhexen. Wer den lachenden Rembrandt lange genug betrachtet, der meint, ihn nicht nur sehen, sondern auch hören zu können.

Fotos: Koos Breukel