Barneys neuer Film »River of Fundament« ist halb Spielfilm, halb Dokumentation. Thema ist - natürlich - Wiedergeburt.
Matthew Barney steht in einem Tonstudio in Manhattan, sein Pullover ist voller Löcher, er trägt Arbeitsschuhe – keine Frage, er ist hochkonzentriert. Noch vier Wochen bis zur Premiere seines neuen Films »River of Fundament«. Barney starrt auf die Leinwand: Ein Greis, mehr Wesen als Mensch, besudelt mit Erde und Torf, greift nach einem rostigen Messer, säbelt sich ein Stück Fleisch aus dem Bauch und wirft es auf die hölzernen Dielen: »Flatsch«. Matthew Barney nickt. »Flatsch«, das klingt gut. Sehr organisch. Sehr echt. Also weiter, nächste Szene. Filme von Matthew Barney sind wie Reisen ins Unterbewusstsein: bizarr, anstrengend, außergewöhnlich. Er selbst ist höflich, fast scheu; sehr ernsthaft, aber nicht verbissen, irgendwie besessen und irgendwie frei. Vor jeder Antwort überlegt er lange, manchmal zwanzig Sekunden. Er ist dann ganz still. Gelegentlich lacht er, aber nie aus Verlegenheit. Wenn »River of Fundament« fertig ist, wird er sieben Jahre daran gearbeitet haben.
SZ-Magazin: Herr Barney, Ihre frühere Lebensgefährtin, die Sängerin Björk, sagt, Sie erinnern sie an ein U-Boot. Haben Sie eine Ahnung, was sie damit meinen könnte?
Matthew Barney: Ich glaube, sie meint, dass ich für Wochen und Monate, ja manchmal sogar für ein, zwei Jahre abtauchen kann, wenn ich an einem neuen Projekt arbeite. Ich bin dann ganz in meiner eigenen Welt, schlafe kaum, äußere mich wenig. Im Moment ist wieder so eine Phase.
Aber Sie geben doch gerade ein Interview.
Ja, aber es ist wirklich das einzige. Ich arbeite rund um die Uhr an meinem neuen Film. Im Zimmer nebenan feilen ein paar Tontechniker an letzten Details. Seien Sie nicht böse, aber ich muss immer mal wieder rüberschauen, wir sind in der Endphase, ich habe seit Tagen nicht richtig geschlafen.
Ab dem 16. März zeigt das Münchner Haus der Kunst Skulpturen und Zeichnungen und Fotografien, die zusammen mit dem Film entstanden sind. Am gleichen Tag findet die Europa-Premiere von River of Fundament in der Bayerischen Staatsoper statt. Warum nicht in einem Kino?
Ich habe mir das Münchner Opernhaus angesehen, gar nicht lange, nur für ein paar Minuten, aber ich habe sofort gespürt, dass es der richtige Ort dafür ist. Der Film hat mehr mit einer Oper als mit einem Kinofilm zu tun. Allein die Länge, er hat drei Akte, zwei Pausen und dauert fünfeinhalb Stunden, da fand ich ein Opernhaus einfach schlüssiger.
Das klingt, als müsste der Film wie eine Wagner-Oper durchlitten werden?
Durchleiden ist das falsche Wort, aber wer etwas davon haben möchte, muss Zeit, Energie und Disziplin investieren.
Nach dem Adorno-Prinzip: »Wo aber Qual ist, da wächst auch der Genuss«?
Natürlich ist man nach vier, fünf Stunden erschöpft. Der Geist ist müde, die Konzentration lässt nach. Der Film hat nichts von einem 90-minütigen Hollywoodfilm, dessen emotionaler Spannungsbogen bewusst so konstruiert wurde, dass er sich der Konzentrationsfähigkeit des Publikums anpasst. Eher gleicht er einer sehr physischen Reise.
Sie haben mal gesagt, dass Sie Oper halb mögen, halb ablehnen. Welchen Teil mögen Sie denn?
Oper ist für mich in erster Linie eine räumliche, eine organische Erfahrung. In der Oper spüre ich ganz intensiv, dass ich im Zentrum eines Resonanzraumes sitze. Ich komme mir vor, als säße ich im Bauch eines anderen Wesens, zum Beispiel eines riesigen Wals. Ist Ihnen mal aufgefallen, dass die Dunkelheit in einem Opernsaal ganz anders ist als in einem Kino? In der Oper ist es heller. Das wenige Licht wird vom Kronleuchter und von Spiegeln reflektiert. Man spürt die Menschen, die neben einem sitzen, viel intensiver als im Kino.
Und was mögen Sie nicht?
Oper ist mir zu wenig körperlich. Die Sänger repräsentieren nur, dadurch wirken sie künstlich auf mich, im Gegensatz zum Ballett. Ich liebe experimentellen Tanz, auch klassisches Ballett. Ich bin süchtig nach Körperlichkeit. In mein Atelier habe ich einen Kraftraum eingebaut, in dem ich regelmäßig mit Gewichten trainiere.
Ihre Mutter hat mal gesagt: »Matthew denkt durch seinen Körper.«
Training ist für mich eine Art Meditation. Und ich will gerüstet sein für das, was ich tue. Ich habe sieben Jahre an diesem Film gearbeitet, es waren mehr als tausend Menschen daran beteiligt. Wir haben unsere ganze Kraft in dieses Projekt gesteckt. Wenn es vorbei ist, werden wir psychisch und physisch erschöpft sein. Es hilft, wenn der Körper trainiert ist.
Sie haben früher American Football gespielt und als Model gearbeitet. Haben Sie damals Erfahrungen gemacht, von denen Sie als Künstler profitieren?
Ja. Footballspielen und Modeln sind körperliche, sehr handfeste Tätigkeiten, gleichzeitig finden sie innerhalb eines inszenierten Rahmens statt. American Football ist ein Spiel, man könnte es aber auch als Abstraktion von Krieg definieren. Das Gleiche gilt für Modenschauen. Auch da stehen reale Körper im Mittelpunkt, trotzdem ist die Atmosphäre, ist die Ästhetik surreal wie in einer Illusion oder einem Traum. Diese Balance zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit fasziniert mich. Auch River of Fundament handelt davon.
Weil der Film eine Mischung aus klassischem Spielfilm und Dokumentation, also auch halb künstlich, halb natürlich ist?
Genau. River of Fundament ist ein Hybrid geworden: halb Spielfilm, halb Dokumentation dreier Live-Performances, die ich in Los Angeles, Detroit und New York aufgeführt habe. Als ich mit dem Projekt begann, hatte ich das Interesse am Filmemachen verloren. Damals reizten mich eher Performance-Situationen, die sich in Echtzeit vor Publikum entfalten. Es war sogar mein ursprünglicher Plan, die gesamte Handlung des Films live aufzuführen. Ich liebe Rituale, die einem festgelegten Ablauf folgen. Und ich mag es, wenn das Ritual von Menschen unter physischer Anstrengung vollzogen wird. Nur so entsteht ein Drama im antiken Sinne.
Das Wetter, die Zuschauer, die Sicherheitsvorschriften – muss man bei Live-Performances nicht unglaublich viele Kompromisse eingehen?
Ja, aber genau darum geht es mir ja. Ich möchte Kompromisse eingehen.
Eine ungewöhnliche Aussage für einen Künstler.
Ein Muskel wächst durch Widerstand. Schöpfungskraft wächst durch Beschränkung. Ich bin in meiner Arbeit abhängig von Widerstand. Man könnte von einer dynamischen Form des Problemlösens sprechen. Ich kann einen Sinn darin erkennen, mich zu ergeben, ich meine, mich künstlerisch zu ergeben.
Was meinen Sie damit?
Dass ich anerkennen kann, wenn eine Sache größer ist als ich selbst. Ich empfinde es als Befreiung und existenzielle Erfahrung, Kontrolle abzugeben, und zwar an das Werk, das ich selbst geschaffen habe. Man könnte sagen, ich arbeite an einem Organismus, der einer von mir festgelegten Logik folgt und sich ab einem gewissen Punkt selbstständig weiterentwickelt. Auf einmal richtet dieser Organismus Forderungen an mich, auf die ich reagieren muss, und zwar instinktiv. Dadurch entsteht ein Kampf, den ich auch verlieren kann, vielleicht sogar verlieren muss. Wichtig ist, dass während einer Live-Performance genug Raum für Improvisation und Fehler bleibt.
Warum für Fehler?
Weil die Gefahr des Scheiterns gegeben sein muss. Nur dann sind meine Sinne wach, meine Instinkte geschärft, nur dann setzen meine Überlebensmechanismen ein, nur dann bin ich gleichzeitig offen und fokussiert.
Sind Sie besessen?
Sicher.
Leiden Sie darunter?
Ich glaube nicht.
»Mich reizt ein Kunstwerk nur dann, wenn ich es auch nach jahrelanger Auseinandersetzung nicht dechiffrieren kann.«
Die Skulptur, wie sie im Museum zu sehen sein wird. Sie hat die Form des Djed-Pfeilers, einer ägyptischen Hieroglyphe.
Wollen Sie in Ihren Performances mythische Erfahrungen bewahren, die im digitalisierten 21. Jahrhundert verloren zu gehen drohen?
Ich möchte sie nicht bewahren, ich möchte sie selbst durchleben.
Welche Rolle spielt dann das Publikum bei einer Live-Performance?
Das Publikum ist dazu da, um das Drama, das sich abspielt, zu bezeugen. Es geht nicht nur um Zuschauen, es geht um verantwortungsvolles Teilnehmen. Deswegen dürfen es auch nicht zu viele Zuschauer sein, zweihundert ist eine gute Zahl. Es geht nicht um ein Spektakel, sondern um die kollektive Erfahrung eines Mysteriums. Eine Performance kann nicht geprobt und nicht wiederholt werden. Sie findet einmal statt und danach nie wieder. Man darf eine Performance nicht mit einem Theaterstück verwechseln, das beliebig oft aufgeführt werden kann, ja, dessen Reiz in den minimalen Abweichungen liegt, die sich von einem Abend zum nächsten ergeben.
Ein Kritiker hat mal geschrieben: »Barneys Arbeiten haben keine Komposition, keine Struktur, kein Gefühl, ja noch nicht mal Ironie.« Trifft Sie so etwas?
Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Kritiker meine Arbeit leidenschaftlich hasst, habe ich kein Problem damit. Es befriedigt mich sogar, wenn jemand von meiner Arbeit irritiert wird, wenn er etwas spürt, aber nicht genau weiß, was es ist oder woher es kommt. Abgesehen davon bin ich mir bewusst, dass meine Arbeit nicht von jedem gemocht werden kann. Ironie interessiert mich übrigens wirklich nicht.
Warum nicht?
Weil Sie die Intention meiner Arbeit unterwandert. Was ich tue, meine ich so.
Was ist mit Humor?
Ironie schwächt eine Aussage, Humor kann sie verstärken. Ich schätze Humor, der mit dem Körper zu tun hat, wenn jemand stolpert, wenn ein Gegenstand runter- oder auseinanderfällt. Ich mag Buster Keaton, auch Jackass. Humor, der das Potenzial des Körpers und Variationen des Scheiterns auslotet.
Soll River of Fundament unterhalten?
Nein.
Worum geht es in dem Film?
Ich kann Ihnen keine Interpretation liefern, selbst wenn ich wollte.
Sie reden nicht gern über Ihre Arbeit, oder?
Ich tue mich schwer, weil ich nicht rational, sondern intuitiv arbeite. Bei Ausstellungen bin ich fast immer enttäuscht, weil mir zu viele Informationen gegeben werden. In den meisten Fällen wird die Magie der Arbeiten durch diese Informationen zerstört. Es ist wie bei einem Bild, das überbelichtet wird. Wenn etwas zu deutlich wird, geht es kaputt.
Haben Sie ein Beispiel?
Denken Sie an ein berühmtes Gemälde, egal welches, es gibt von allen unzählige Kopien und Reproduktionen. Es lässt sich überhaupt nicht vermeiden, diesem Gemälde ständig zu begegnen. Und dann steht man zum ersten Mal vor dem Original – und ist enttäuscht, weil unsere Wahrnehmung unter dieser inflationären Konfrontation leidet.
Ist ein Kunstwerk nur dann gut, wenn es nicht vollständig verstanden werden kann?
Nicht unbedingt, aber bei Kunst – und auch bei Menschen –, die ich mag, ist es so. Mich reizt ein Kunstwerk nur dann, wenn ich es auch nach jahrelanger Auseinandersetzung nicht dechiffrieren kann, wenn es ein Geheimnis in sich trägt, zum Beispiel die Videoarbeiten von Bruce Nauman, ohne die ich wahrscheinlich niemals angefangen hätte, Filme zu machen.
Können Sie erläutern, welche Idee dem Film zugrunde liegt?
Der Film basiert auf dem Roman Ancient Evenings von Norman Mailer aus dem Jahr 1983.
Der Roman zählt eher nicht zu den großen Werken von Mailer. Wie sind Sie auf ihn gekommen?
Stimmt, der Roman war nicht sehr erfolgreich, ich kannte ihn auch nicht, bis Mailer mir kurz vor seinem Tod davon erzählt hat. Er meinte: »Matthew, hast du Ancient Evenings gelesen?« Und ich: »Nein, ehrlich gesagt, habe ich noch nicht mal den Titel gehört.« Und er: »Lies es, lies wenigstens mal rein. Ich bin sicher, das Buch wird dich interessieren.«
Hatte er recht?
Ja und nein. Die ersten hundert Seiten fand ich fantastisch. Die Handlung spielt in Ägypten um 1200 vor Christus, der Protagonist stirbt dreimal und wird dreimal wiedergeboren, es geht um Seelenwanderung. Ich beschäftige mich seit Jahren mit ägyptischer Mythologie und fühlte mich sofort zu Hause. Im weiteren Verlauf aber wird der Text immer expliziter, ständig geht es um Sex und Genitalien, im Grunde handelt es sich um einen pornografischen Roman. Die Frage war: Wie kann ich diese eindeutigen Szenen in den Film integrieren, ohne dass ihre Plattheit der Logik und Atmosphäre des Films im Wege steht? Ich mochte das Buch, und ich mochte es nicht, für mich war das ideal.
Warum?
Weil ich etwas gleichzeitig lieben und hassen muss, damit ich damit arbeiten kann. Kennen Sie den Roman Crash von J.G. Ballard? Es geht darin um eine Gruppe Menschen, die sexuelle Lust aus der Inszenierung von Autounfällen zieht. Nie im Leben könnte ich aus diesem Roman einen Film entwickeln. Ich habe eine eindeutige Beziehung zu diesem Buch. Ich liebe es. Als Künstler bin ich aber auf Zweifel und Mehrdeutigkeit angewiesen. Deswegen ja mein Interesse an mythologischen Strukturen.
Weil sie sich einer historischen Deutung entziehen?
Ja. Meistens handelt es sich um offene und flexible Glaubenssysteme, die nicht monotheistisch aufgebaut sind, sondern viele Zentren haben und unterschiedliche Interpretationsansätze zulassen. Das kommt mir ent-gegen, weil ich meine Arbeit auch nicht als linear, im Sinne einer chronologischen Erzählstruktur wahrnehme, sondern als Sys-tem, als flexiblen Kosmos und Kontinuum, in dem alles mit allem zusammenhängt, die Filme mit den Skulpturen mit den Performances mit den Zeichnungen. Das eine erwächst aus dem anderen, es formt sich eine Art Meta-Skulptur.
Schon Ihr Cremaster-Zyklus (1994-2002) war voller Querverweise zur ägyptischen Mythologie. Wie gut kennen Sie sich damit aus?
Es geht mir nicht darum, Wissen aus Büchern anzuhäufen. Ich bin Künstler, kein Gelehrter. Ich betrete diesen gewaltigen mythologischen Raum und suche mir die Aspekte, die mich faszinieren. Ich lese generell nicht viel, eigentlich nur aus Recherchegründen, nicht aus Spaß. Ich kann keiner linearen Erzählstruktur folgen. Ich lese keine Romane. Ich lese auch nicht vor dem Einschlafen.
In allen Ihren Arbeiten geht es um Zerstörung und Auferstehung, um Werden und Vergehen. Glauben Sie an Wiedergeburt?
Ich glaube an Transformation. Als Künstler bin ich sogar davon abhängig, dass so etwas wie Transformation möglich ist.
Was verstehen Sie unter Transformation?
In Skandinavien hat man jahrtausendealte Hochöfen aus der Eisenzeit gefunden, in denen Metalle zur Herstellung von Waffen geschmolzen wurden. Bei den Ausgrabungen fand man auch die Überreste von menschlichen Knochen. Forscher gehen davon aus, dass man die Leichname gefallener Krieger ins Feuer geworfen hat. Erstens, um das Feuer noch heißer zu machen. Zweitens – und das ist der Punkt, der mich interessiert –, damit die Seele, damit der Geist des toten Kriegers in den Stahl des neuen Schwertes eingehen kann. Das meine ich mit Transformation.
Ein spirituelle Energie, die nicht totzukriegen ist.
Die weiterlebt und auf Menschen und Gegenstände übergehen kann. Nichts anderes geschieht, wenn ich Skulpturen mache. Ich lege Gefühle in Materialien, in Eisen, in Kupfer, in Vaseline. Die Vorstellung, dass diese Gefühle den Skulpturen innewohnen, fasziniert und befriedigt mich. Ich beginne erst jetzt, nach zwanzig Jahren, allmählich zu begreifen, was es bedeutet, Skulpturen zu erschaffen. Dass diese Skulpturen nicht nur einzigartig sind in dem Sinne, dass es sie kein zweites Mal gibt, sondern mehr als einzigartig, weil sie einen spirituellen Kern beherbergen, der mich als Künstler überdauert. Ich sehe mich in erster Linie als Bildhauer, nicht als Filmemacher.
»Triumph und Scheitern stehen nebeneinander; ich empfinde das als schön.«
Performance »Khu« 2010 in Detroit: Vor Publikum werden 25 Tonnen Eisen aus fünf Hochöfen zur Skulptur gegossen. Die gesamte Performance dauerte acht Stunden.
River of Fundament beginnt mit einem Leichenschmaus in Norman Mailers Haus.
Ja, wir haben Mailers Haus fast komplett und detailgetreu in meinem Atelier nachgebaut: die Küche, die Bibliothek, wir haben sogar jedes Buch, das bei Mailer im Regal stand, in genau der richtigen Ausgabe besorgt. Der Film beginnt ganz realistisch, aber nach einer gewissen Zeit ändert sich die Atmosphäre. Die Trauergäste werden durch ihre Geister ersetzt. Mailer stirbt dreimal und wird dreimal wiedergeboren. Der junge Norman wird von seinem Sohn gespielt, der mittelalte von einem schwarzen Jazz-Schlagzeuger, der alte von einem 95-jährigen Lakota-Häuptling. Die Geschehnisse dieser Trauerfeier werden von den Performances, die ich in Los Angeles, Detroit und New York gemacht habe, gespiegelt.
Worum geht es in den Performances?
Auch um Reinkarnation, nur ist es kein Mensch, der den Kreislauf der Wiedergebur-
ten durchläuft, sondern ein Auto, der Chrysler Imperial 67, der schon in Cremaster 3 die Hauptrolle gespielt hat. Die Handlung folgt dem Mythos von Isis und Osiris.
Bei der Performance Khu in Detroit wurden 25 Tonnen flüssiges Eisen zu einer riesigen Skulptur in Form des Djed-Pfeilers, einer ägyptischen Hieroglyphe, gegossen, die auch im Haus der Kunst zu sehen sein wird.
Ja, der Djed-Pfeiler steht für Beständigkeit, aber auch für die Wirbelsäule des Osiris.
Was fasziniert Sie eigentlich immer wieder an dieser trostlosen Stadt Detroit?
Detroit verkörpert mein Konzept für Schönheit. Als ich das erste Mal da war, wollte ich nur eine Salzmine besichtigen, die sich unter der Stadt befindet. Aber dann sah ich auf einmal diesen gewaltigen Reichtum an Mineralien und begriff, warum sich Henry Ford genau hier niedergelassen hat, um seine Autos zu bauen. Er hatte alles, was er brauchte, um Stahl herzustellen. In Detroit sind alle Phasen der Geschichte, sämtliche Schichten von Aufbruch und Erfolg, Hybris und Niedergang simultan sichtbar. Triumph und Scheitern stehen nebeneinander, ich empfinde das als wunderschön.
Was hat River of Fundament gekostet?
Ich könnte Ihnen eine Zahl nennen, aber sie hätte keine Bedeutung.
Was hat die Performance in Detroit gekostet?
Das möchte ich nicht sagen. Man kann sich vorstellen, dass in diesem Projekt wahnsinnig viel Geld steckt. Ich habe einen großen Teil meiner Ersparnisse dafür geopfert. Glauben Sie mir, der Film ist ökonomisch nicht intelligent und schon gar nicht lukrativ. Ich habe viel Geld verloren.
Aber Sie werden mit dem Verkauf limitierter Kopien an Museen Millionen verdienen.
Der Film ist nicht verkäuflich.
Warum nicht?
Weil ich ihn nur so machen konnte, wie ich ihn haben wollte, wenn er unverkäuflich ist.
Menschen schauen Filme, um sich bewegen zu lassen, um etwas über Liebe und Tod, Eifersucht, Rache und Freundschaft zu erfahren. Ihre Filme verhandeln diese Seelenzustände eher nicht. Finden Sie solche Gefühle oberflächlich?
Das konventionelle Hollywood-Kino transportiert Emotionen von A nach B. Und es gibt in meinen Arbeiten durchaus Momente, in denen ich das auch versuche. Aber grundsätzlich mag ich es eher nicht, von einer Bühne oder einer Leinwand aus mit Gefühlen beworfen zu werden.
Kann es vorkommen, dass Sie zu Hause auf dem Sofa sitzen und eine romantische Komödien anschauen?
Nein, aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag es, verführt und manipuliert zu werden, ich bin nur wählerisch. Ich würde auch nicht sagen, dass ich nicht mit Gefühlen arbeite. Wie gesagt, mich interessiert es, wenn Gefühle einen Ort, eine Landschaft oder einen Gegenstand in Besitz nehmen. Sie kennen sicher Shining von Stanley Kubrick. Das ist einer der Filme, die mich sehr geprägt haben, überhaupt mag ich Horrorfilme. Keine mit Monstern, sondern psychologische, wo der eigene Körper zum Träger des Horrors wird. Bei Shining ist es kein Körper, sondern ein Stück Architektur, in dem sich der Horror abspielt, was im Grunde das Gleiche ist, weil dieses Hotel genau wie ein Körper funktioniert. Diese Spannung zwischen der Innen- und der Außenwelt, die Art und Weise, wie die Angst das Gebäude in Besitz nimmt, genau das meine ich.
Hatten Sie während der Arbeit an River of Fundament eine tägliche Routine?
Wenn ich in New York bin, läuft fast jeder Tag gleich ab. Ich fahre morgens in mein Atelier, fange gegen 8.30 Uhr an zu arbeiten, mache mittags eine Pause und fahre gegen 18 Uhr nach Hause. Ich muss das so machen, weil ich mit meiner Arbeit, vor allem mit den Skulpturen, jeden Tag in Berührung kommen muss.
Zeichnen Sie auch im Atelier?
Nein, in meinem Studio geht es zu wie in einer kleinen Fabrik. Zum Zeichnen brauche ich Stille, die habe ich nur zu Hause.
Sie gehören zu den erfolgreichsten Künstlern der Gegenwart. Wird es schwieriger, gute Kunst zu produzieren, je berühmter man ist?
Erfolg ist in der Tat ein Problem. Um überhaupt ein Gefühl für ein Projekt bekommen zu können, muss ich mich hilflos fühlen. Das ist für meine Arbeit elementar. Ich muss mich verloren, ja befangen fühlen, um in Kontakt mit meinen Instinkten treten zu können. Leider ist man weniger hilflos, je erfolgreicher man ist. Prominent zu sein ist der größte Feind von Kunst.
Was tun Sie dagegen?
Ich schütze meine Privatsphäre, so gut es geht. Ich bin kein Einsiedler, aber ich gehe selten auf Partys, nur gelegentlich zu Vernissagen von Freunden. Ich muss das so machen, weil ich nicht mehr arbeiten könnte, wenn ich eine öffentliche Person wäre.
MATTHEW BARNEY
wurde 1967 in San Francisco geboren und zählt zu den renommiertesten Künstlern
der Gegenwart. Er wollte eigentlich plastischer Chirurg werden, wechselte aber
nach zwei Semestern von der medizinischen Fakultät in Yale an die dortige School of Art. Weltweit bekannt wurde er durch seine Performance-Serie Drawing Restraint sowie den Filmzyklus Cremaster 1–5. In seiner Arbeit verknüpft Barney Phänomene aus der Biologie, Mythologie, Sexualität und Athletik zu einem quasireligiösen Welterklärungssystem. Er lebt in New York und hat eine elfjährige Tochter mit der isländischen Sängerin Björk.
Fotos: Matthew Barney and Jonathan Bepler, River of Fundament, 2014, Production Still, Foto Hugo Glendinning © Matthew Barney Courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels 839; Matthew Barney, DJED, 2009-2011, Cast iron and graphite block, 20 1/4 x 406 x 399 inches (50.2 x 1031.2 x 1031.2 x 1013.5 cm), Laurenz-Stiftung, Basel; Foto: David Regen