Sie checkt ihren Blackberry und sagt, oh shit. Sie muss mal wieder kurz was regeln und tut das wie immer ganz nebenbei. Ebenso nebenbei erzählt sie von ihrer »ziemlich dysfunktionalen Familie« (»Mein Vater war eher hart zu mir. Ich glaube, er hat sich bedroht gefühlt, weil wir einander so ähnlich waren. Er ertrug keine anderen starken Menschen in seiner Umgebung«), ihrem Alter (»Je älter ich werde, desto mehr Angst habe ich, den Kontakt zu jüngeren, innovativen Leuten zu verlieren«) und ihrer Ehe (»Wir sind glücklich verheiratet – wenn auch jeder für sich«).
All das wäre schon bei jedem normalen Menschen bestürzend ehrlich, bei ihr hingegen bleibt einem manchmal der Mund offen stehen. Denn hier spricht Francesca von Habsburg, geborene Francesca Anne Dolores Freiin Thyssen-Bornemisza de Kászon et Impérfalva, Tochter des 2002 verstorbenen Milliardärs und Kunstsammlers Hans Heinrich »Heini« Thyssen-Bornemisza, Ehefrau des österreichischen Kaiserenkels Karl von Habsburg-Lothringen und damit Mitglied gleich zweier legendärer europäischer Dynastien. Und zudem die Frau, von der nicht nur Freunde sagen, sie könnte die Peggy Guggenheim des 21. Jahrhunderts werden: eine der bedeutendsten Mäzeninnen zeitgenössischer Kunst, nicht so sehr Sammlerin als vielmehr Geburtshelferin von Werken, die ohne sie nie entstanden wären.
Ein gutes Beispiel dafür steht hundert Meter entfernt von ihr auf dem Eminönü-Platz, einem der belebtesten Plätze Istanbuls mit Blick auf das Goldene Horn. Eine 17 Tonnen schwere, 20 Meter lange Metallskulptur namens The Morning Line, eine kristalline Struktur, aus der eigens für sie komponierte elektronische Musik dringt. Wer der Künstler ist, lässt sich kaum noch sagen: 30 Beteiligte hat das Projekt, darunter den Maler Matthew Ritchie, die New Yorker Architekten Aranda/Lasch, Soundforscher der Universität York, die Komponisten Florian Hecker, Lee Ranaldo (Ex-Sonic Youth) und Jónsi (Sigur Rós). Und die Rolle der Francesca von Habsburg dabei? »Produzentin«, schlägt sie vor. »Impresario«, hatte gestern einer auf dem Symposium zur Eröffnung der Morning Line gesagt. »Eher Empressario«, hat sie trocken gekontert. Ihre Herkunft ist immer für einen Witz gut.
Was die 52-Jährige mit ihrer Wiener Stiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (kurz TBA 21) leistet, ist meilenweit entfernt vom Kunstsammel-Jetset, der zur Art Basel fliegt, ein paar Bildchen einpacken lässt und sie in den Partykeller der Viertvilla dübelt. Als Anschubserin und Ermöglicherin von Kunstprojekten – indem sie die richtigen Leute zusammenbringt, Sponsorengelder erbettelt und im Notfall mit dem Bürgermeister von Istanbul Tee trinkt – setzt sie ihren Namen und ihre Verbindungen als Universaldietrich ein. Im Zweifel tritt sie ein paar Türen ein, bevorzugt die zwischen den Disziplinen: Architektur, Musik, Naturwissenschaft, Video, Performance – alle sind herzlich eingeladen zu dieser Party. Damit hat sie mitten in die Kunstlandschaft eine eigensinnige kleine Enklave gesetzt, misstrauisch beäugt von den Besitzstandswahrern der staatlichen Kulturinstitutionen. Ist ihr nur recht. »Haben Sie eine Ahnung, wie viel Prozent ihres Etats Museen in den eigenen Erhalt stecken statt in die Förderung von neuer Kunst?«, schäumt sie. »Bis zu siebzig!«
Mit zehn silbernen Löffeln im Mund
Die Rolle des Fremdkörpers liegt ihr, die kennt sie schon ihr Leben lang. Wie es ja oft so ist, wenn man mit zehn silbernen Löffeln im Mund geboren wird: Glück wird damit selten serviert. Ihre Eltern, Heini und seine dritte Frau, ein schottisches Model, ließen sich scheiden, als sie sieben war, sie wurde in Schweizer Internate abgeschoben. »Ich war wahnsinnig unsicher als Kind.« Sie ging nach London, studierte ein bisschen, modelte ein bisschen, nahm Schauspielunterricht, dilettierte als Backgroundsängerin und »war sofort draußen, sobald die Leute herausfanden, wer ich war«. Ihre Reaktion: jetzt erst recht.
Sie wurde das It-Girl der frühen Achtziger, gab in ihrem Kutscherhaus in Kensington spektakuläre Partys, auf denen Michael Douglas, Iggy Pop und Grace Jones auf Politiker, Modestudenten, Fußballspieler und ein bis zwei Lords trafen. Es muss unvergessliche Auftritte gegeben haben wie den, als sie an der Hand von Visage-Sänger Steve Strange in dessen legendärem »Blitz Club« aufschlug, gehüllt in ein schwarzes Abendkleid, das eine Brust mit sorgfältig rot geschminktem Nippel freilegte. Das würde man gern noch mal sehen, doch alle Bilder aus jener Zeit, auch der berühmte Paparazzishot, der sie auf einer Soiree mit nacktem Po zeigt, sind inzwischen vom Markt verschwunden, Fotoagenturen werden auf Nachfrage recht einsilbig.
Sie lernte den Dalai-Lama kennen, der ihr zu ihrem Reichtum gratulierte. Tolles Karma, Mädchen! Und jetzt mach was damit. Das tat sie: organisierte eine Ausstellung tibetanischer Kunst, engagierte sich für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens. Dann die nächste »Was will denn die hier?«-Situation in ihrem Leben: 1993 die Hochzeit mit Karl von Habsburg mit Bibel statt Brautstrauß in der Hand, anschließend die obligatorischen drei Kinder, darunter der Erbprinz Ferdinand Zvonimir. Alles richtig gemacht und trotzdem: eine Bürgerliche, dazu eine Punk-Göre, in unseren Kreisen, skandalös!
Was hat sie nach den ausschweifenden Londoner Jahren in dieses korsettierte Leben gezogen? Die enge Verbundenheit der Familie Habsburg glaubt sie, die Nähe, die sie als Kind vermisst hat. »Ich liebe Tradition«, sagt sie ganz ernsthaft, und man möchte fast lachen. Wir sitzen, zwei Wochen nach Istanbul, in ihrer Wiener Wohnung, einer Etage in einem Stadtpalais, zum Platzen gefüllt mit Kunst und kreativem Chaos: ein Man Ray, russische Avantgarde, drei Wände voll Olafur Eliasson, ein Foto von David Bowie, ein Lucian-Freud-Porträt ihres Vaters, im Salon nebenan das Schlagzeug ihres zwölfjährigen Sohnes – ein Bohemien-Ambiente, in das sie mit ihrer seidenen Roland-Mouret-Latzhose perfekt passt.
Tradition also, soso. »Absolut. Die Habsburger waren große Innovatoren. Ich glaube, man hat einen besseren Blick in die Zukunft, wenn man ein klares Verständnis der Vergangenheit hat. Andererseits…« Sie zögert. »Mein Vater hat immer gesagt: Das Privileg des Reichtums ist Freiheit. Es gibt unglaublich viele Leute, die gefangen sind von ihrem Geld und ihrem Lifestyle – und nicht zuletzt von den Erwartungen, die an sie gerichtet sind. Mir war wichtig, mich davon frei zu machen.« Wovon genau, ist 300 Meter die Straße runter zu besichtigen: die Kapuzinergruft, Eintritt fünf Euro, Grabstätte der Habsburger: Maria Theresia, Sisi, der arme Kronprinz Rudolf … Hier hat ihr Mann um ihre Hand angehalten mit den Worten: »Wie würde es dir gefallen, hier einmal begraben zu sein?« Seit 2003 leben sie getrennt, in aller Freundschaft. »Inzwischen verstehen wir uns großartig.« So gut, dass
sie sogar Witze über die Situation macht: Noch mal heiraten wolle sie nicht, »und da ist es ganz praktisch, schon einen Mann zu haben.« Breites Lächeln.
33 amerikanische Impressionisten
Schnitt, wieder ein neues Leben: Francesca III. Nach dem Tod ihres Vaters 2002 ließ sie 33 amerikanische Impressionisten aus dem Erbe versteigern und reinvestierte das Geld sofort wieder in zeitgenössische Kunst. Doug Aitken, Pipilotti Rist, Jonathan Meese, Ai Weiwei, Douglas Gordon, Carsten Höller, Paul McCarthy – ihre Sammlung umfasst alle großen Namen, aber sie merkte schnell, dass es viel interessanter ist, Kunstprozesse in Gang zu setzen. Sie unterstützte ein Performanceprojekt von Christoph Schlingensief auf Island, ließ Kutlug Atamans Videoporträt des Istanbuler Barackenviertels Küba auf einem Lastschiff donauaufwärts fahren, kommissionierte für die Biennale Venedig den Pavillon »Your black horizon«, eine Kooperation von Olafur Eliasson und dem Londoner Architekten David Adjaye.
Es ist, sagt sie, immer ein Reden auf Augenhöhe. »Ich mag es nicht, wenn Leute beeindruckt davon sind, wer ich bin. Und umgekehrt bin ich nicht beeindruckt davon, wer sie sind.« Im Lauf der Jahre sind die Projekte, die sie mit ihrer Kuratorin Daniela Zyman fördert, immer komplexer geworden. Sie scheint das zu genießen. »Ich fühle mich unendlich wohl in Situationen, in denen ich mich nicht auskenne. Wir haben für The Morning Line mit vielen Wissenschaftlern gesprochen, und dabei ist eins bei mir hängen geblieben: Experimente scheitern nie. Jedes Experiment ist Teil eines Lernprozesses. Das hat mir die Furcht vorm Scheitern genommen.«
In der Version Francesca 3.0 macht endlich alles Sinn: Das Geld, der Name sind endlich nützlich statt nur verdammt angenehm. Ihr Talent dafür, Leute zusammenzubringen, die rastlose Neugier – essenziell für den Erfolg und die Unabhängigkeit der Stiftung. Und nicht zuletzt ihr größter Trick: »Ich bin ein Chamäleon. Ich passe überall rein.« Und sie kommt aus allem wieder raus. Sorge immer für eine Exit-Strategie, das war der Rat ihres Vaters. »Einer seiner besten. Für mich wäre das schlimmste Gefühl, in etwas festzustecken.«
Derzeit ist sie mal wieder im Aufbruch. Die letzten fünf Jahre hatte TBA 21 zwei Stockwerke unter ihrer Privatwohnung im Palais Erdödy-Fürstenberg belegt. Jetzt zieht sie auf 3000 Quadratmeter in die ehemalige Ankerbrot-Fabrik am Stadtrand und will dort einen kreativen Thinktank mit angeschlossener Ausstellung einrichten. Und dann? Mal sehen. »Das Wort ›vorläufig‹ ist mein Motto geworden.« That’s why the lady is a tramp.
Foto: Özgür Albayrak