Kernseife, rette mich

Den Ausweg aus der Klimakrise, so hoffen viele, werden neue Erfindungen bringen, die es momentan aber noch nicht gibt. Unser Autor setzt da lieber auf die bewährten Klimaschutz-Techniken seiner Oma.

Mit Kernseife einseifen und dann schön mit der Wurzelbürste abrubbeln – so gefällt's Oma und Opa.

Foto: zettberlin/photocase.de

Bei der Klimakrise gibt es im Grunde zwei Meinungen. Die eine ist, die Menschen sollten sehr viel weniger Dinge und Ressourcen benutzen und zwar schleunigst, besser 1970 als heute. Die andere ist, dass das leichter gesagt als getan und auch ziemliche Schwarzmalerei ist, denn man könnte das Klima ja auch mit »Technologien« retten, insbesondere mit »neuen Technologien«: CO2-Abbau-Fabriken, Flugtaxis, irgendeiner Idee, die einem Milliardär schon morgen Vormittag womöglich durch den Kopf schießt. Wer weiß es denn! Leute, seid doch bitte mal ein bisschen optimistisch.

Jetzt mal abgesehen davon, dass dieser Glaube an die Erlösung durch »Technologien«, die es noch nicht gibt, quasi-religiös anmutet: Der Nachteil an diesen »neuen Technologien« ist, dass sie mir nichts im Alltag nützen, sie machen das Leben nicht hier und heute besser. Das letzte Mal, als ich bei einer »neuen Technologie« diese Erwartung hatte, kaufte ich zum Sonderpreis 400 Nutzungsminuten bei einem beliebten E-Roller-Anbieter, verfuhr zwanzig davon und bekam dann die E-Mail, man sei vom Herbsteinbruch überrascht worden und insbesondere davon, dass nun keine einzige Rollerbatterie mehr funktioniere, tschüssikowsky und dann bis nächstes Frühjahr.

Neue Technologien gibt es also nicht oder sie sind enttäuschend, aber zum Glück gibt es alte Technologien, und sich mit ihnen gegen den Weltuntergang zu stemmen, ist unaufwendig und mitunter ein Vergnügen. Meine Expedition in die Vergangenheit begann damit, dass ich von der High-End-Rasierklinge als Wegwerfartikel genervt war, diesen vier- bis fünfschneidigen Wunderdingern, die aussehen, wie Sechsjährige sich ein Weltraumschwert vorstellen, lieb gemeint, vier Stück zwölf Euro usw. Ich kaufte so einen alten Rasierhobel und eine Hunderterpackung russischer Klingen, von denen jede eine bis zwei Wochen hält, und eine kostet 10 Cent. Es dauert länger, weil man sonst blutet, aber eigentlich schön, wenn die alte Technologie ein bisschen Ruhe in den Morgen bringt.

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Noch altmodischer ist natürlich das Seifenstück. Oder, wie ich nicht ganz korrekt, aber gerne sage: die Kernseife. In einem Vier-Personen-Haushalt mit einem Bad ist es nach kurzer Zeit kaum noch möglich, die Duschtasse zu betreten, da sie knöcheltief mit Plastikflaschen voller Mikroplastikglibber gefüllt ist, vulgo Duschgel, Shampoo, Conditioner. Im Drogeriemarkt gibt es jedoch für 1,69 Euro ein Seifenstück, das laut Aufdruck für Haut und Haare geeignet ist – und in dieser Form seit dem vorvorigen Jahrhundert angeboten wird. Es hat nun meine Gelflaschen ersetzt, und die Benutzung fühlt sich sehr primitiv und ein bisschen selbstbestrafend an, aber das kommt mir persönlich ehrlich gesagt entgegen. Und ich vermisse nicht das hämische Sprotzen, mit dem die Waschpampe aus der Öffnungsdrüse der fast leeren 2-in-1-Flasche pupte.

Im Küchenbereich liebe ich die unpraktischen dreieckigen braunen Papiertüten mit Fünfziger-Jahre-Aufdruck, die die Supermarktkette an den Obst-und-Gemüse-Stand gehängt hat, damit es aussieht, als würden sie einen Fuck auf die Umwelt geben. Natürlich weiß ich, dass diese Tüten keine nennenswert bessere Umweltbilanz haben als die aus Plastik, aber es macht mir Freude, darin zu Hause wie meine Oma Küchenabfälle zu sammeln und damit anschließend in einem Wettlauf gegen die Durchsuppung zum Biomüll zu rennen. Und an meine Großmutter erinnert mich auch das Käsepapier, das sie einem im Supermarkt empfehlen, weil es den Comté viel besser frisch hält als die topmoderne Plastikfolie. Vor allem, wenn ich es zur Zweit- und Drittverwertung auf dem Küchentisch glattstreiche und sorgfältig falte, fühle ich mich wie meine Großmutter 1979. Und ich vermeide Energieverschwendung und Plastikmüll.

Nun ist diese nostalgische Rückbesinnung auf alte Technologien ein gängiges Klimaschutz-Klischee: Sie zahlt ein auf das Bild vom Öko-Biedermeier, und wer weiß (ich war lange nicht dort), womöglich gibt es handgeklebte Papiergemüsedreieckstüten längst im Dreierpack bei Manufactum (8,70 Euro?). Aber ich finde, genau darum geht es: Die einfachen und meinetwegen alten Dinge nicht den Ziegenkäse-Extremisten oder dem Lifestyle-Handel zu überlassen, sondern sie für billig Geld und ohne große Geste ganz nebenbei im eigenen Alltag zu nutzen. Mehr, als es das Hoffen und Warten auf neue Technologien je könnte, schenken mir diese alten Technologien ein bisschen Handlungsfähigkeit und ein bisschen Lebensfreude im Angesicht der Klimakrise.