Es gibt diese superekligen Gedanken, die sind so eklig, dass ich sie sofort wegschiebe, wenn sie mich anfallen. Aber Ekel ist ein so wichtiger, uralter Instinkt, dass es sich wiederum lohnen kann, ihn auch mal zuzulassen. Meistens lernt man dann etwas.
Also, wenn ich nach einer knappen Woche das Blumenwasser wechsle, wenn ich das ein paar Tage alte, schon leicht schmierige Wasser der am Stiel schon ziemlich schmierigen Schnittblumen wegkippe, um frisches Wasser einzufüllen, denke ich, dass ich das alte Blumenwasser wirklich gern mal probieren würde. Ich stelle mir vor, dass es furchtbar schmeckt. Zu grün, zu kompostig, faulig im Abgang. Und trotzdem, mein Drang, es zu tun, ist jedes Mal enorm. Genauso geht es mir mit Brackwasser, Wurstwasser, Spülwasser, jeder Art von schleimiger Flüssigkeit oder einfach nur Pfützen. Im vorigen Herbst war ich an einem der letzten warmen Tage noch mal im kalten Wasser eines vollkommen zugewucherten, verschlickten Elbarms schwimmen, und ich musste die ganze Zeit darüber nachdenken, wie es wäre, wenn … In dem etwas heruntergekommenen Hallenbad, das ich jeden Morgen besuche, bevor danach täglich eine Horde Drittklässler alles Mögliche im Chlorwasser lässt, kann ich hin und wieder tatsächlich nicht widerstehen und nehme einen Mund voll, spucke das dann aber in einer schnellen und hinterhältigen Aktion meinem Freund Axel ins Gesicht. Axel hat als Teenager Rohrbomben gebaut, er versteht offenbar, was mich in solchen Augenblicken reitet, und lacht nur, statt mir den Kopf unter Wasser zu drücken, wie ich es eigentlich verdient hätte.
Als ich noch ein Kind war und im Spessart aufwuchs – wir hatten nicht viel außer Wald und Dreck – tranken wir gern das, was wir »Klumpatsch« nannten. Wir nannten es so, weil meine Oma uns mal dabei erwischt hatte. Sie hatte geschimpft, uns den Becher abgenommen und gesagt: »So einen Klumpatsch trinkt man nicht.« Das Wort Klumpatsch bedeutet »unstrukturierter Haufen von wertlosem Zeug«, und genau das war drin, die Basis war meistens Wasser aus der Regentonne, dann kam Ketchup dazu für die Farbe, dann noch Maggi, auf jeden Fall Gurkenwasser, viel Pfeffer und vielleicht noch ein bisschen Mutterboden. Wir rührten es in der dunklen Ecke hinter der Garage an. Ich erinnere mich nicht daran, wie es schmeckte, aber bis heute schwingen an meinem Gaumen seltsame Noten mit, wenn ich Ketchup esse.
Was gibt es daraus jetzt großartig zu lernen?
Die Antwort gab mir vor vielen Jahren wie so oft mein Sohn. Er liebte es, auf dem Spielplatz mit seinem Freund eine Mischung aus dem ganz offiziell nicht trinkbaren Spielplatzbrunnenwasser und altem St.-Pauli-Sand in sich reinzuschütten. Er und sein Freund saßen auf dem Brunnen, bereiteten das liebevoll »Matschi« genannte Gesöff in ihren kleinen Plastikeimern zu, stießen damit an, gaben wilde Wikingergeräusche von sich und schluckten, ganze Nachmittage lang, immer wieder. Natürlich hatte ich es streng verboten, sie taten es trotzdem, sie waren sogar richtig stolz drauf. Vielleicht, dachte ich damals, weil sie damit ganz bewusst einer offensichtlichen Gefahr entgegentreten konnten, weil sie sich stärker fühlen konnten als etwas, was für Menschen gefährlich ist, weil sie mit »Matschi« ihrer eigenen Verletzlichkeit die Stirn boten und Siechtum und Tod trotzten. Weil sie Wikinger waren. Und sie sind davon nicht ein einziges Mal krank geworden.
Mein liebster Moment in Dinner for one ist der, in dem Freddie Frinton das Blumenwasser trinkt, das Gesicht verzieht und dann sagt: »I’ll kill that cat.«
Ich habe keine Katze, aber ich habe Schnittblumen in Vasen, und ich werde sie benutzen.