Liebe zukünftige Lieblingsfrau,
wie genau finde ich dich eigentlich? Bist du auf Tinder? Warst du das neulich, wo ich das Date absagen musste und mich dann nicht mehr gemeldet habe? Ich hoffe, das warst du nicht, denn dann wird es schwierig. Oder besser: noch schwieriger. Schlimmer wäre eigentlich nur, wenn du die warst, bei der ich das Date nicht abgesagt habe. Und wir uns getroffen haben.
Du sahst sehr süß aus. Klein, aber genau wie auf einem der drei Fotos von dir, während ich kein bisschen aussehe wie auf einem der vier Fotos, die Tinder sich von meiner Facebookseite zog, bevor ich überhaupt verstanden hatte, wie das alles funktioniert. Ich hatte extra die große Brille aufgesetzt, weil ich sie auf einem der Bilder aufhabe, und du hast gesagt: »Ich habe dich an der Brille erkannt«, als du an meinen Tisch in der Bar kamst. Da kam ich mir hässlich vor, aber das wäre sowieso passiert. Auf den Bildern sehe ich besser aus. Als die gemacht wurden, saß ich nicht da und wollte, dass derjenige auf dem Stuhl gegenüber mich irgendwann lieb hat.
Ich finde es so schon nicht einfach. Nichts davon. Jemanden kennenzulernen, ist schwierig genug, also, jemanden ... ich weiß nicht, anzusprechen? Und dann zu reden, wenn beide wissen, dass es hier darum geht zu gucken, ob der andere jemand ist, mit dem man sich nackt ausziehen und sich gegenseitig an die Wand werfen will. Es ist, wie wenn man mit einer Familienpackung Klopapier unter dem Arm im Supermarkt an der Kasse steht und allen Blicken ausweicht, weil man immer das Gefühl hat, der andere denkt: Ich weiß genau, was du damit vorhast!
»Was trinkst du?«, hast du gefragt, und ich habe gesagt „»Whisky Sour«, und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich gefragt, ob es sexy ist, Whisky Sour zu trinken, oder ob das ein Abtörner sein kann. Du warst so angezogen, als ob du gut angezogen wärst, ohne dir viel Gedanken gemacht zu haben, und ich fühlte mich, als wäre ich so angezogen, dass man bei mir sah, dass ich genau das versucht hatte. »Wenn du einen Tipp willst«, habe ich gesagt, »dann probier den ›New York in Ashes‹. Keiner kann sich je merken, was da drin ist, und ein Teil davon könnte aus dem Aschenbecher kommen, aber wenn man es liebt, kommt man nie wieder davon weg.« Was ich eigentlich sagen wollte, war: »Ich bin wirklich ein bisschen interessant und liebevoll manchmal sogar lustig, und es lohnt sich echt, mich kennenzulernen. Wirklich. Bittebitte«, aber gesagt habe ich: »New York in Ashes«. Absurd. Das Ä am Anfang von Ashes hörte sich an, als wollte ich den hypertuntigen Juroren einer Castingshow nachäffen, wie er mein Outfit kommentiert. Du hast dann Weißweinschorle bestellt. Magst du mich?
Du hast einen schönen Mund. Und du bist Ärztin, was ich sexy finde. Du sitzt irgendwie gut, auch wenn ich nicht wirklich sagen kann, wie man gut sitzen kann, aber du machst es. Andererseits waren deine Schuhe egal, also solche, bei denen man sich nicht mehr vorstellen kann, was wohl der Gedanke war, den jemand hatte, als er sie gekauft hat. So wie bei den meisten Autofarben. Ich habe an diesen albernen, bunten VW Polo gedacht, den es in den Neunzigern mal gab, bei dem jedes Teil eine andere Farbe hatte. Die sind nicht gut gealtert, man sieht sie nirgendwo mehr, vielleicht ist aber auch nur der Witz alt geworden, und die Besitzer haben sie anders lackiert. Bin ich zu alt geworden für das alles hier?
Dann musstest du los, und wir haben am nächsten Tag noch Whatsapp ausgetauscht. »War ein schöner Abend!« Dann nie wieder was. Ich hoffe sehr, du warst es nicht. Du würdest mich anrufen, zukünftige Lieblingsfrau, wenn du es wärst, oder? Ich verspreche dir, es lohnt sich. Ein bisschen. Vielleicht.
Foto: Stephanie Pfaender