Ein Bild, fünf Geschichten

Das SZ-Magazin hat fünf Schriftstellerinnen und Schriftsteller gebeten, eine Kurzgeschichte zu einem Foto zu schreiben. Lesen Sie die Geschichten von William Boyd, Alina Bronsky, Helene Hegemann, Kristen Roupenian und Jan Weiler.

Die Autorinnen und Autoren unseres Literaturheftes erhielten dieses Foto als Anregung für ihre Geschichten.

Foto: Karl Kempf

Ein Haus, ein Auto, zwei braune Garagentore, Unkraut – das Foto, das wir den Autoren als Anregung für ihre Geschichten in diesem Heft geschickt hatten, scheint eher trist als hochsommerlich fröhlich. Umso spannender, wie unterschiedlich die Stimmung in den Texten ist, die entstanden sind. Und in welchen Orten, in welchen Ländern die Autoren das Haus, das Auto, die Garagentore, das Unkraut ansiedeln.

Hier finden Sie die Einstiege der vier Kurzgeschichten im Überblick. Um die ganzen Texte zu lesen, klicken Sie bitte jeweils auf den Link.

Frau Koch kommt später – eine Kurzgeschichte von Alina Bronsky

Meistgelesen diese Woche:

»Der Makler rief an, es sei etwas reingekommen, genau in ihren Preisvorstellungen. Er habe erst etwas gezögert, weil es, nun ja, ein wenig spezieller sei, aber bei der derzeitigen Lage auf dem Immobilienmarkt und ihren Suchkriterien sehe er sich nicht berechtigt, es ihnen vorzuenthalten. Sie mochten den Makler beide, weil er dem Maklerklischee von allen seinen Kollegen, die sie gesehen hatten, am wenigsten entsprach: Er hatte ein unglückliches intellektuelles Gesicht, sprach schnell und undeutlich und zuckte bei jeder Frage zusammen. Aus unerfindlichen Gründen schien ihnen gerade das vertrauenerweckend...«

Hier geht es zur Kurzgeschichte von Alina Bronsky.

ART/RAT – eine Kurzgeschichte von William Boyd

»Bethany Mellmoth blickt auf ihr Handy. Sie befindet sich in einer Gegend von London, in die sie noch nie einen Fuß gesetzt hat – was ihr ein wenig beschämend vorkommt, in Anbetracht der Tatsache, dass sie schon ihr Leben lang in London lebt. In diesen sechsundzwanzig Jahren jedoch hat es sie noch nie hierher nach Freezy Water verschlagen – bis heute. Sie hatte den Zug nach Enfield genommen, dem Bezirk am äußersten nördlichen Stadtrand, und war nach einstündiger Fahrt am Bahnhof Turkey Street Station ausgestiegen – ein weiterer kurioser Name. Und nun ist sie hier in Freezy Water auf der Suche nach der Honeysuckle Lane. So langsam kommt sie sich vor wie Alice im Wunderland oder eine andere Figur aus einem Kinderbuch. Wer lässt sich solche Namen einfallen?...«

Hier geht es zur Kurzgeschichte von William Boyd.

my heart is full now – eine Kurzgeschichte von Helene Hegemann

»Anyway, wir sind jetzt in Ostdeutschland, es gibt keine Autobahnabfahrt. Die Menschen brauchen fünfzig Minuten in die Stadt. Mit dem Begriff »Stadt« ist hier die geografische Mitte der Kleinstadt gemeint, in deren Nähe sich ihr See befindet. Sie leben am Ostufer. Manche von ihnen haben Geld, manche nicht. Man sieht hier keinem die Höhe seines Jahreseinkommens an. Am stärksten regnet es im Mai. Eine Ansammlung von nicht zu Ende verputzten Häusern, dazwischen Trampelpfade aus Schlamm, die paar Wochen später trocknen und zu Staub zwischen meterhoher Wiese werden. Jetzt ist Juni...«

Hier geht es zur Kurzgeschichte von Helene Hegemann.

Milkwishes – eine Kurzgeschichte von Kristen Roupenian

»Milkwishes war schon viele Jahre tot, als Ryan bemerkte, dass er ihren Namen vergessen hatte. Das war im Juni, als er zum 67. Geburtstag seiner Mutter nach Hause reiste. Er saß ganz vertraut mit ihr auf der Veranda, und sie redeten gerade darüber, dass sie wirklich etwas gegen das Unkraut unternehmen müssten, als Ryan den Löwenzahn zu seinen Füßen entdeckte, der zu früh weiß geworden war...«

Hier geht es zur Kurzgeschichte von Kristen Roupenian.

Schwarkes Vögel – eine Kurzgeschichte von Jan Weiler

»Wenn ich das Geld gehabt hätte, dann hätte ich es vielleicht gekauft, Schwarkes Haus. Es war nicht einmal teuer, 190 000 Euro. Wahrscheinlich hätte man noch handeln können, denn das Wertvollste daran war sicher der Garten mit den Obstbäumen. Überall in unserer Gegend haben früher diese Häuschen gestanden. Wo die Besitzer gestorben sind, haben die Erben entweder modernisiert und Briefkästen aus Aluminium neben die Tür gehängt, oder verkauft. Das Haus von Schwarke war eines der letzten, die noch so aussahen wie in meiner Kindheit...«

Hier geht es zur Kurzgeschichte von Jan Weiler.